Acht Uhr dreißig am Sonntagmorgen. Ich denke in Kursiv.

Ich hab meine Uhr ja noch um. Auch das alberne Lederarmband? Nein. Wo liegt es wohl? Wo bin ich überhaupt?

Ich richte mich auf und stoße mir den Kopf an der Dachschräge.

Offensichtlich bin ich in Berlin.

Was denkt wohl mein Gehirn von mir? Was hält es davon, dass ich jeden Morgen aufs Neue vergesse, dass ich mich im Berliner Bett nicht einfach so aufrecht setzen kann?!

Mein Kopf hämmert. Was für ein gnadenloses Hämmern!

Dabei waren es vielleicht eineinhalb Flaschen Wein, die ich gestern Nacht trank. Ein lieblicher von „Kaufland“, da nur „Kaufland“ hier bis null Uhr geöffnet hat.

Warum wird man ausgerechnet dann, wenn man dringend Schlaf braucht, immer so früh wach?! Und wo ist meine Wasserflasche?!

Durch eine großzügige Nachsichtigkeit habe ich in den vergangenen drei Monaten aus derselben PET-Flasche getrunken, immer wieder neu aufgefüllt mit Leitungswasser. Vergangenen Mittwoch aber entdeckte ich eine nicht unerhebliche Anhäufung von Schimmel auf dem Flaschenboden. Ich habe vermutlich wochenlang mit Schimmel angereichertes Wasser getrunken und werde nun sehr bald sterben. Da ich mir aber durchaus Überlebenschancen ausrechnete, habe ich die Flasche noch am Mittwoch entsorgt,

stehe aber nun ohne ein für Wasser geeignetes Gefäß da. Ich werde duschen. Und dabei die Dusche austrinken. Köstliches, kaltes, klares Wasser. Ich trinke alle Rohre leer. Sollen die anderen doch sehen, womit sie duschen.

Über diese Gedanken falle ich wieder in einen Schlaf, da ich auch die Möglichkeit der Selbstbefriedigung verwerfe, zu sehr hämmert der Kopf.

Zehn Uhr. Wieder wache ich auf. Nur deshalb weiß ich, dass der aktuelle Zeitpunkt mit zehn gemessen wird.

Chili! Ich habe noch mein Chili im Koffer!

Gut ausgerüstet, wie ich immer bin, habe ich auch einen Löffel im Koffer, was mir gar nicht komisch vorkommt. Und so hocke ich da im Bett und löffle erkaltetes Chili, was meinen Nachdurst nur noch mehr befeuert. Doch so das Zimmer verlassen, in die Küche gehen?! Ich sehe aus wie und bin ein Wrack, die Augen blutunterlaufen. So darf man mich nicht sehen, mein Saubermann-Image über Jahre aufgebaut wäre in größter Gefahr! Von unten höre ich Stimmen. Kollegen Christopher und Simon sind bereits wach. Die Tiefe ihrer Stimmen bedeuten mir, dass sie auch nicht unbedingt fit sind.

Nicht nur Durst, auch das Sodbrennen wird von dem Chili, gar köstlich, befeuert. Wäre ich wirklich gut ausgerüstet, hätte ich auch Natron in der Nähe. Die richtige Menge Speisenatrons in (nicht vorhandenem Wasser) aufgelöst ist eine Wunderwaffe gegen Post-Wein-Sodbrennen. Nimmt man aber zu viel Natrons, besucht man auffällig oft die Toilette. Hier also ist Fingerspitzengefühl gefragt, was aber nicht zur Debatte steht, da ich nun einmal kein Natron in meinem Koffer habe. Also schlucke ich sie wieder runter, die Galle.

Ich kann unmöglich jetzt aufstehen. Die Senkrechte wäre mein sicherer Kollaps.

Also ergebe ich mich dem Kater und schlafe weiter. Ignoriere auch die Überfüllung meiner Blase. Denn eines ist gewiss: Die Blase kann gar nicht platzen. Lediglich bei ungünstigen Unfällen kann eine Blase platzen, nicht aber wegen Überfüllung. Denn bevor sie platzen, entleeren sie sich.

Erstaunlich, dass man sie auch im Schlaf unter Kontrolle hat.

Denke ich und schlafe ein.

Halb zwölf. Ich erwache aufs Neue.

Wie oft man wach werden kann an einem Tag!

Ich stehe auf. Stelle fest, dass ich Hemd und Hose in der Nacht zuvor ordentlich über meinen Stuhl gehängt habe. Nur habe ich dann den Stuhl offenbar umgestoßen. Ich schmunzele. Wie würdelos ich wohl gestern Nacht ins Bett gegangen bin!

Ich placiere mich unter den Duschkopf. Todesmutig entscheide ich mich für eine kalte Dusche, da nichts besser gegen Kater hilft als eiskaltes Wasser. Und so stehe ich da mit Gänsehaut und kreische in mich hinein. Und dann trinke ich. Ein Teil des Wassers befreit mich von Dreck und Suff, ein anderer Teil fließt meine Kehle hinab. Dann nehme ich den Duschkopf, stelle den Strahl auf hart und intensiv und spritze mir mit Hochdruck in den Mund, in der Hoffnung, so den Pelz als Folge des Weins zu entfernen. Und wieder schlucke ich.

Kurz überlege ich, unter der Dusche zu schlafen.

Ob das geht? Im Stehen schlafen und gleichzeitig sauber werden?

Ich schließe die Augen und gucke, was passiert. Dann wird mir langweilig, sodass ich mit dem Einseifen beginne.

Das Bartshampoo! Wo ist es?!

Es steht am Waschbecken.

Ob ich es hole?

Ich lasse es. Ich bin zu schwach, um der Dusche zu entsteigen. Die Industrie hat mir allerdings weisgemacht, dass man einen Bart nur mit speziellem Shampoo waschen kann, das 20 Euro kostet. Heute mir egal, ich seife ihn mit „Carbon Clean Duschgel“ von „L’Oréal Men Expert“ ein, einem unfassbar männlichen Duschgel! Ich meine: mit Carbon! Ich wasche mich mit Kohle!

Dass ich überhaupt noch Pomade vom Vortag im Bart habe, ist ein untrügliches Zeichen von Alkoholkonsum. Man bereut es bitter, da ein Teil der Pomade zwangsläufig im Kopfkissen landet.

Schlafe ich denn mit dem Gesicht nach unten? Habe ich als erstes heute eine Nahaufnahme vom Kopfkissen gesehen? Eigentlich nicht.

Ich wechsle wieder zum harten Duschstrahl, um die Insekten aus meinem Bart zu schießen. Natürlich ist da von der Raupe abgesehen kein Tier drin, aber ich fühle mich derart dreckig, dass ich es mir einbilde.

Ich fühle mich zunehmend frisch. Die äußerliche Sauberkeit überträgt sich nun auf mein Inneres. Ich fange an, wieder scharf zu sehen, während das Hämmern im Kopf verflogen ist.

Ich entsteige nun der Dusche und greife zum Handtuch. Mir fehlt die Kraft, es hinter mich zu werfen, um wie gewohnt den Rücken abzutrocknen, sodass ich mich dazu entscheide, luftzutrocknen. Stehe also da und warte auf Trocknung.

Die Cait nutze ich. Grüße meinen Penis, der zufrieden hängt, lässig irgendwie, und massiere neue Pomade in meinen Bart, weil auch das die Industrie mir nahegelegt hat. Außerdem glänzt er dann so schön und viel mehr Glanz ist von mir heute wohl nicht zu erwarten.

Ich putze die Zähne. 13 Minuten lang, weil ich ein Pappmaul ungeahnten Ausmaßes habe. Und weil ich beim Zähneputzen immer lese, da ich sonst Langeweile anheimfalle – und das kann niemand wollen. Außerdem lese ich, wem ich gestern Nacht betrunken bei Facebook geschrieben habe. Formuliere ein, zwei Entschuldigungen, verschicke Katzenvideos als Wiedergutmachung und gehe in mein Zimmer, um mich in Schale zu werfen. Und dennoch offenbart der Spiegel Desaströses.

Ich sehe aus wie ein unermesslich großer Haufen Scheiße. Mit Bart.

 

Ich treffe Simon im Garten. Er hat Kaffee gekocht! Sensationell. Kaffee! Kaffee wird helfen. Und dann sitzen wir da und verfluchen die unerwartet heiße Sonne.

„Ob das jetzt gut ist, dass die Sonne so brennt?“, fragt Simon.

„Ich halte es für ausgesprochen beschissen“, sage ich und beschließe, doch noch auf kurze Hose umzusteigen.

Wir öffnen beide eine Wetter-App auf unseren Handys und lassen uns bestätigen, dass die Sonne scheint.

„Scheint?“

„Ja, scheint.“

Christopher kommt hinzu. Blühendes Leben in blühenden Landschaften. Drei Männer, die so agil sind, dass man weinen könnte. In der Blütecait ihres Lebens und doch Wracks. Und dann kommt Kollege Butzi, der den blühenden Baum der Nachbarn bewundert.

„Es ist einen Blumenbaum“, sage ich. Wir lachen. Denn postalkoholisch ist alles witzig.