Eine Kollegin, die ich sehr schätze, sagte vergangene Woche zu mir:

„Du, jetzt wo ich dich ja etwas besser kenne, kann ich es dir ja mal sagen.“

Oh, was würde da nun kommen, fragte ich mich. Also legte ich eine entsprechend fragende Miene auf. Augenbrauen etwas hochziehen, Pupillenradius vergrößern, Stirn in Falten legen.

„Ich hab dich mal gegoogelt“, fuhr sie fort, „und mir angesehen, was du früher im Fernsehen gemacht hast.“

Puh, das sind so Angstmomente. Als ich mich vor einigen Monaten auf neue Jobs beworben hatte, war mir durchaus bewusst, dass da im Netz Dinge von mir zu finden sind, die mich nicht für jeden Job qualifizieren – sondern eher disqualifizieren. Übrigens gehört auch dieser Blog dazu, dessen 850. Geschichte Sie gerade lesen.

„Und ich muss dir mal sagen, als ich das sah, dachte ich, ‚was für ein Penner‘!“

Ich lachte laut auf. Etwas erschrocken durchaus, aber ich wusste sofort, warum sie in mir einen Penner identifizierte. Ich fragte sie, ob sie noch wisse, was genau sie da gesehen habe.

„Ich weiß nicht, du saßt da auf einem Sofa und hast dich für den Magerwahn bei Frauen ausgesprochen und das irgendwie mit Barbies in Verbindung gebracht. Und das Ganze war so gewollt jugendlich! In einer unglaublich arroganten Art!“

Wieder musste ich auflachen. Zum einen hat sie mir ein großes Kompliment gemacht, zum anderen hatte mich das „gewollt jugendlich“ schwer getroffen. Sie bezog sich auf eine Sendung mit dem schwer bekackten Namen „NRW live“. Dieser Name war ein Zugeständnis an die Landesmedienanstalten, die damals mehrere Augen auf unseren Sender geworfen hatte, da wir mööööööglicherweise nicht ganz unseren Auftrag erfüllt hatten – nämlich den der regionalen Berichterstattung. Und in der Tat moderierten damals überwiegend 30- bis 40-Jährige eine Sendung für Jugendliche (und Bekiffte).

Doch nie hatte ich versucht, einen auf jugendlich zu machen! Von einem der sieben Moderationskollegen abgesehen waren wir alle authentisch, da lege ich großen Wert drauf. Wir konnten uns das auch leisten – weil es nichts zu verlieren gab. Das übrigens ist eine hochkomfortable Situation, um ohne Rücksicht auf Verluste so etwas wie Fernsehen machen zu können. Ich habe das immer sehr genossen, zumal ich wusste, dass es eine endliche Aktion war, die mich lediglich auf privater Ebene weiterbrachte und nicht auf beruflicher. Beruflich war das alles ein Karrierekiller – der aber Spaß machte.

Zurück zu meiner Kollegin, der ich in meiner in zahlreichen Moderationen trainierten gespielten Empörung entgegenschleuderte:

„ENTSCHUUUULDIGE MAL BITTE! ‚PENNER‘?! Also mit ‚arrogant‘ kann ich ja leben. Aber ‚Penner‘?! ‚Gewollt jugendlich‘?!“

Jetzt tat es ihr fast leid, was sie mir da vorgeworfen hatte, doch mir wurde eines sehr klar, was ich doch eigentlich immer gewusst hatte und was auch hier im seppolog nach wie vor eine Rolle spielt. Der Absender erwartet vom Empfänger meist zu viel. Ich will es erklären. Muss jedoch vorher meinen Verband wechseln. Ich leide an einem Pickel in der Größe Australiens am Gesäß …

Wenn ich Texte schreibe, so wie diesen jetzt am Samstagmorgen, dann sitze ich am Schreibtisch und schwinge meine Mine (anders als die eingangs erwähnte „Miene“) über das Pergament, wo ich Texte entwerfe, bevor mein Assistent mit dem merkwürdigen Namen „Kladdenmann“ sie hier im backend des seppologs einpflegt. Jedes Wort, das ich schreibe, spreche ich mit. Ich spreche also auch mit, dass ich mitspreche. Daraus folgt, dass ich selbst das spreche, was ich mitspreche, das ich mitspreche. Also exakt dieses. Ich spreche es in meiner ganz individuellen Betonung, variiere die Stimmmelodie und werde besonders ernst, wenn der Text ironisch wird – von diesem Kontrast lebt die Ironie – oder auch süffisant, wenn’s eben süffisant wird. Für mich ist in jeder Sekunde klar, wie der Text gemeint ist.

Und irgendwie erwartet man das als Urheber auch vom Leser. Völlig klar, das ist ein Trugschluss. Wenn Sie – erlauben Sie mir die direkte Ansprache – Texte lesen, dann tun Sie das ja seltenst mit der inneren Stimme des Autors, sondern mit Ihrer eigenen, so wie ich eben noch las, dass Spac das Auschwitz Albaniens gewesen sei. Das war ein alles anderer als süffisanter oder ironischer Text, es war ein sehr ernster Text und dementsprechend klang auch meine innere Lesestimme.

Doch wenn ich wie gestern Sätze schreibe, wie „Wer wie ich aussieht wie 30, der hat natürlich leicht reden“, dann ziehe ich selbst beim Schreiben meine linke Augenbraue hoch, um zu betonen, dass das natürlich nicht ernst gemeint ist. Denn selbstverständlich sehe ich nicht aus wie 30. Eher wie 25.

So toll das ist, dass ich mit Mimik die Selbstironie hervorzuheben versuche, so zweckslos ist das Unterfangen, da Sie es ja nicht sehen. Auch kennen Sie meine Stimme nicht, sodass Sie Texte wie diesen ganz anders lesen als ich – und als jeder andere. Und so kommt es gerne zu Missverständnissen in der schriftlichen Kommunikation. Doch genau damit kann man ja im Rahmen nicht weiter relevanter Texte durchaus spielen. Und hier kommen wir zurück zu meiner durch meine Kollegin mir unterstellten Arroganz. Ich sagte ihr:

„Nun, du hast natürlich recht. Ich bin da sagenhaft arrogant. Du kannst natürlich den Kontext nicht kennen, hast nur diesen einen Ausschnitt gesehen … also gut, ich bin in jedem Ausschnitt ein überhebliches Arschloch, aber das war eben die Rolle, die ich da einnahm. Nicht spielte! Ich musste sie nicht spielen, denn sie liegt mir. Aber dennoch spiegelte sie nie meine wirkliche Art wider, also nicht meine private.“

Das war ja das Tolle am Agieren vor der Kamera: Die Kamera funktionierte wie eine Art Maske, als Entschuldigung für alles. Vor der Kamera bin ich nahezu widerlich extrovertiert, wohingegen ich privat das absolute Gegenteil bin. Aber das Spiel mit der Provokation, mit der Arroganz und dem gezielten Beleidigen des Zuschauers und eigentlich auch der Kollegen war im Grunde mein ganzer Inhalt – neben der üblichen Selbstdarstellung – in der (und jetzt kommt es!) Hoffnung, dass der eine oder andere Zuschauer genau das durchschaut. Und natürlich ging dieser Plan auf, wie er es auch hier in meinen Texten tut. Ich bin zwar nie sicher, ob es das Gros ist, aber ein erheblicher Anteil der Adressaten kapiert das Spiel. Dieses Spiel fordert allerdings Opfer: dass es nämlich andere nicht verstehen und mich wirklich für ein Mega-Arschloch halten. Das allerdings ist mir auch heute noch gleichgültig, da es mir im Grunde genügt, selbst zu wissen, dass alles kalkuliert ist.

Und eigentlich wird das immer einfacher. Denn die Caiten, in denen wir uns bewegen, werden politisch immer korrekter. Es ist simpel, ein gewisses Aufsehen zu erregen, da irgendwer sich immer beleidigt fühlt. Ich erlebe das derzeit oft; dass da eine gewisse Toleranzgrenze verschoben wurde – in die falsche Richtung. Humor ist immer ein Ausdruck von Fehlern, von Widersprüchen. Ohne diese beiden Aspekte funktioniert er nicht. Aber genau sie darf man ja nicht mehr ansprechen, ohne in Kauf zu nehmen, dass sich irgendwer echauffiert.

(Es ist grotesk: Wir empören uns zunehmend über Nichtigkeiten, während auf der anderen Seite Nazis schon planen, welchen Journalisten sie an welche Laterne hängen, wenn sie erstmal die Macht an sich gerissen haben, was sie nicht mal tun müssen, da der Deutsche, von dem ich immer weniger halte (was ich sehr bedaure), sie ihnen ja praktisch demokratisch aufdrängt. Arme Irre. Man möchte weinen.)

Kürzlich fuhr ich ausnahmsweise mit dem Auto zur Arbeit. Mein Weg zur Arbeit erstreckt sich über zirka dreieinhalb Kilometer, die man gerade in Münster mindestens genau so schnell mit dem Fahrrad zurücklegen kann. (Nebenbei stellte ich fest, dass ich mit dem Auto wider Erwarten ein paar Minütchen schneller war …) Ich erntete viel Protest für meine Autofahrt! Und da habe ich realisiert, dass die soziale Kontrolle inzwischen so intensiv geworden ist, dass man besser für sich behält, dass man mit dem Auto statt dem Rad gekommen ist. Ich muss mir von Menschen, die dreimal im Jahr um den Globus fliegen, meinen ökologischen Fußabdruck vorwerfen lassen. Dabei fliege ich nicht mal! Für einen Flug könnte ich Hunderte von Kilometern autofahren.

Ich erinnere mich an eine Situation, als eine frühere Kollegin mir vorwarf, dass ich Kaffee aus einem Pappbecher trank. Sie rechnete mir vor, welchen Schaden ich damit anrichtete, leicht schmatzend, da sie im selben Moment einen Fertigsalat aus einer Plastikschale mit Plastikgabel aß. Und genau deshalb bin ich kein Fan dieser sozialen Kontrolle, die oftmals ohne Doppelmoral nicht auskommt. Weil wir eben alle Umweltsäue sind. Unser gesamter Lebensstandard basiert auf Ausbeutung. Ich sage das nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern ganz nüchtern und unaufgeregt. Und so wichtig es natüüüüürlich ist, dass jeder sein eigenes Konsumverhalten überdenkt und anpasst, so wichtig ist es mir, nicht oberlehrerhaft von anderen permanent darauf hingewiesen zu werden, womit ich gerade wieder mal künftigen Generationen die Lebensgrundlage nehme. Ich meine, was haben meine ungeborenen Kinder jemals für mich getan?!

Klar, Forderungen an Konsumverhalten kann man an seine Mitmenschen richten. Weil man sich selbst dann etwas besser fühlt, wenn man eine Avocado frisst, die um die ganze Welt transportiert worden ist. Man kann solche Forderungen aber auch an die stellen, die dafür der korrekte Empfängfer ist: die Politik. Es müssen die großen Weichen gestellt werden und das geht eben nur über Verbote. Über Steuern. Undsoweiter. Ureigenste Aufgabe der Politik. Ich empfinde es als extrem albern, darauf zu setzen, dass der Konsument freiwillig auf Plastiktüten im Supermarkt verzichtet, so vorbildhaft das ja ist. Allein es reicht nicht. Es wäre effizienter, die Politik würde sie einfach verbieten. Nicht in fünf Jahren, nicht mit Übergangszeit, sondern jetzt. Unser Wohlstand würde nicht Schaden nehmen. So wie die Poltik symbolträchtig Strohhalmen den Garaus gemacht hat. Nicht lange diskutieren, nicht ewig lang auf Einsicht bei allen Konsumenten setzen, sondern: machen. Ich schreibe aber in vorauseilendem Gehorsam dazu: Selbstverständlich sollten wir alle auch freiwillig ressourcenschonend leben. Das will ich gar nicht in Abrede stelle. Es ist nur leider so, dass der Erde damit nicht geholfen ist. Es ist dafür etwas zu spät. Aber dennoch nicht zwecklos.

Und hier schließt sich der Kreis, falls Sie glauben, ich sei etwas abgeschweift. Würde ich heute noch moderieren (im Übrigen fehlt es mir gar nicht), dann würde ich mich vor die 200.000 „Seher gestern“ setzen und ein Plädoyer für die in Plastik eingeschweißte Gurke halten, die ich mit dem Privatjet vom „Rewe City“ nach Hause transportiere, wo ich die Gurke im Kühlschrank vergesse und schließlich wegwerfe. Würde dann noch der Kassiererin einen sexistischen Spruch drücken, um das Ganze abzurunden.

Aber würde ich das ernst meinen? Und dieses Spiel, das mag ich so. Im Gesicht des Gegenübers zu lesen, wie unfassbar scheiße es mich plötzlich findet. Wie angeekelt es von mir ist. Während ich es bemitleide. Weil es mich ernst nimmt. Warum nimmt es mich so ernst? Weil es nur so auf diese Angriffsfläche gewartet hat! Das das ermüüüüüdet mich einfach nur noch.

Es gibt zweifellos Lebensbereiche, wo ich mir Humor verkneife. Weil ich zugeben muss, dass es mir massiven Schaden zufügt, wenn ich bei brisanten Themen einen Scherz mache, der als solcher gar nicht erkannt wird. Oft genug schon passiert. Peinliches Schweigen, fassungslose Gesichter … kenne ich alles. Das sind schmerzhafte Momente, wenn man eine Situation völlig falsch eingeschätzt hat! Ich kann es mir leider nicht leisten, vollumfänglich rücksichtslos zu sein. Aber: Man erkennt relativ schnell, wie weit man bei wem gehen kann. Bei jener oben angesprochenen Kollegin kann ich seeeehr weit gehen – was auch umgekehrt gilt. Und nur weil sie das auch weiß, hat sie mich einigermaßen ungehemmt „Penner“ genannt.

Man wird aber relativ schnell einsam.

Als ich vor viereinhalb Jahren hier die ersten Texte schrieb, kam meine Mitbewohnerin eines Abends etwas verstört nach Hause und teilte mir mit:

„Meine Kolleginnen denken, ich wäre mit einem riesigen Arschloch zusammen!“

„Wie?! Meinen sie mich?!“

„Ja! Die haben deinen Blog gelesen! Und denken jetzt, dass du öffentlich darüber schreibst, wie du mit unserer Nachbarin Lara ein Verhältnis anfängst!“

Ach, Lara … Nun, das ist des Pudels Kern. Dieses Opfer bringe ich mit einer seltsamen und soziopathischen Lust. Und auch deshalb habe ich während meiner Bewerbungsphase zu Beginn dieses Jahres die Spuren meiner Vergangenheit im Netz nicht gelöscht. Da sie alle auf meinem eigenen Youtube-Kanal liegen, wäre das ein Leichtes. Und sicher, den einen oder anderen potenziellen Arbeitgeber wird es verstört haben, zumal ich in praktisch jeder Bewerbung auf meine Homepage hingewiesen hatte. Aber ich bin nicht bereit – und da ist ein für mich ungewohnter Idealismus – mich gänzlich zu verstellen. Hier und da, klar, da passe ich mich an. Aber wenn es hart auf hart kommt, bleibe ich mir treu – versuche es wenigstens -, denn für mich steht bei allem Ernst des Lebens außer Frage, dass man gerade die ernsten Situationen mit Humor umschmücken muss. Denn es zeigt sich doch beim Menschen schon relativ früh, dass er danach verlangt: Streckt man einem Baby die Zunge raus, kann man mit diesem einfachen Mittel schon große Lacher ernten. Es ist dem Menschen ein Bedürfnis. Auch, wenn ich manchmal auf solche treffe, die irgendwie ein massives Problem mit Humor haben. Es gibt womöglich zwei Arten von Menschen (natürlich gibt es viel mehr): Solche, die in allem den Ernst suchen, und solche, die überall noch nach der Pointe trachten. Leider heißt es von letzteren oft, sie nähmen nichts ernst, doch das Gegenteil ist der Fall. Das kann ich Ihnen aus ganz persönlicher Erfahrung sagen! Ich nehme alles sehr ernst, viel zu ernst, und genau deshalb flüchte ich mich ins Gegenteil. Humor ist auch Flucht. Guter Humor ist Flucht nach vorn.

Haben Sie all die Widersprüche in diesem Text bemerkt? Das macht Humor eben aus. Er ist ein interessanter Genosse.

Ich habe im Fernsehen auch einmal sehr ernst aus Wolfgang Bochert gelesen, „Nachts schlafen die Ratten doch“. Wer die Geschichte kennt, weiß um den Ernst. Doch genau den hatte man mir in diesem für mich sehr ernst gemeinten Moment auch nicht abgenommen. Wie man es macht …

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Und das hier bleibt natürlich eine einmalige Geschichte.

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