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Ich will kein Geheimnis darum machen. Ich bin vom großen Fotografen Roman Koslowski abgelichtet worden. Kenner der Szene wissen natürlich, ich spreche hier nicht von irgendeinem Koslowski. Ich spreche von dem Koslowski. Und der große Koslowski macht nicht einfach nur Fotos; er komponiert Fotos. Wenn er den Auslöser drückt, dann ist das eine Sinfonie aus Bildpunkten. Es gibt Menschen, die viel Geld dafür zahlen würden, um vom großen Koslowski fotografiert zu werden. Wer sich heute bei ihm anmeldet, muss mindestens zehn Jahre auf den Auslöser warten, derart gebucht ist dieser Künstler.

Ich war Gast auf einer Hochzeit. Einer Hochzeit, die mich nachhaltig beeindruckt hat. Geschlossen wurde ein gottloser Bund, da es sich um eine freie Trauung handelte, die ein Zeremonienmeister durchgeführt hat. Der hat eine durchaus tolle Rede gehalten, nur zündeten seine Gags nicht immer. Woran aber hat man dann erkannt, dass es sich um Gags gehandelt hat? An den Pausen, die er für die Lacher eingeplant hatte. Ich hatte zwischenzeitlich überlegt, aus Höflichkeit zu lachen, aber das hätte das Ganze nur noch mehr kontrastiert, sodass ich mich zusammenriss. Aber es war toll, es war rührend. Ich war noch nie bei Hochzeiten gerührt. Nicht einmal bei meinen eigenen. Bei meiner nächsten werde ich vermutlich Rotz und Wasser heulen. Daher müssen meine Mitbewohnerin und ich jetzt solange warten, bis wir keine Gefühle mehr füreinander haben, damit die Trauung möglichst sachlich über die Bühne geht. Und ich will den Zeremonienmeister von gestern! Und natürlich den großen Koslowski. Ohne den mache ich ohnehin keine Fotos mehr. Der Mann hat es nicht nötig, selber den Auslöser zu drücken, er lässt drücken. Er stellt dazu einen Buzzer auf, den das Motiv selber betätigen muss! Sensationell, dieser Mann.

Interessant waren die Toiletten. Immer mehr Etablissements gehen dazu über, statt der herkömmlichen Waschbecken oder -schüsseln diese flachen Dinger in den Sanitärbereich einzubauen. Es muss irgendwelche Vorteile haben. Allerdings frage ich mich, wie in Gottes Namen man in diese Dinger erbrechen soll, wenn man denn mal müsste. Das ist nicht zuende gedacht.

Ein noch größeres Rätsel war mir der Lichtsensor, der den Wasserfluss in Bewegung setzt. Man kennt das ja, man hält die Hand davor und schon läuft das Wasser. Allerdings war der Sensor unter dem Waschbecken und der Vorgang des Händewaschens bedingt ja nun einmal, dass man die Hände unter das fließende Wasser hält. Was aber nicht ging, da man ja mit den Händen den Sensor betätigen musste. Welch Dilemma! Entweder Waschen ohne Wasser oder Wasser ohne Waschen! Aber wir Männer wussten uns gestern zu helfen, man ging zu zweit, damit der eine den Sensor betätigen konnte, während der andere sich wusch. Ein tolles Spiel für solche Feiern, damit sich die Gäste untereinander besser kennenlernen!

Auf dem Damen-WC war das übrigens anders. Da war der Sensor direkt am Hahn. Das weiß ich, weil ich mich anfangs auf das Damenklo verirrte. Interessant war, dass ich es gar nicht gemerkt habe. Ich war auch nicht stutzig, dass ich in weiblicher Gesellschaftz urinierte. Komisch wurde es erst, als ich meine Mitbewohnerin traf. Wir gehen nie zusammen zur Toilette. Wir halten da nichts von. Wir trennen Privates und Geschäft strikt voneinander.

„Seppo, Du weißt, dass das das Damenklo hier ist?“

„Komisch, wenn Du mich ‚Seppo‘ nennst.“

„Wir sind hier in der Öffentlichkeit. Und es würde mich freuen, wenn Dir nicht ab einem gewissen Pegel später mein Kosenamen rausrutscht.“

Ja, da hat sie vollkommen Recht. Das passiert mir leider gelegentlich. Wir nennen uns nicht „Schatz“ oder so. Das erinnert mich zu sehr an meine Eltern. „Schatz“ finde ich etwas einfallslos und auch nicht zutreffend. Schätze verbuddelt man im Sand und ich würde meine Mitbewohnerin höchstens nach einem unglücklichen Unfall verbuddeln. Aber in der Regel sehe ich vom Verbuddeln ab. Das Ausheben von Gräbern ist ohnehin eher was für Fachleute. Wir haben noch viel schlimmere Namen füreinander. Und mir rutschen sie gerne raus, wenn ich angeheitert bin. Hat aber noch niemand wirklich mitbekommen. Wenn es soweit ist, droht mir Verbuddelung.

„Warum bin ich auf dem Damenklo?“

„Die Frage ist, warum Du das Offensichtliche nicht bemerkt hast.“

„Ich bin vielleicht noch so beeindruckt vom großen Koslowski. Ich wette, er darf immer aufs Damenklo.“

„Wann machst Du erste Anstalten, das Damenklo zu verlassen?“

„Sobald ich hier fertig bin. Es ist sehr schwierig, mittendrin aufzuhören, um es dann nebenan wieder fortzusetzen.“

„Aber grundsätzlich geht das doch, oder?“

„Ja. Man kommt selten in die Verlegenheit. Jetzt bin ich gerade aber auch zu nervös.“

Ja, das ist seltsam. Sobald man weiß, man befindet sich in einer peinlichen Lage, wird man unruhig, wo man gerade noch völlig gelassen in weiblicher Gesellschaft uriniert hat.

„Wenn sich das rumspricht, dass ich fehl-uriniere, wird Koslowski meine Fotos vernichten.“

„Wer ist Koslowski?“

„Der Fotograf, auf dessen Buzzer wir eben gehauen haben. Der hat mir seine Visitenkarte gegeben. Vermutlich, damit ich Ruhe gebe.“

„Du musst auch immer überall der Mittelpunkt sein.“

„Es passiert manchmal einfach. Und ich finde, nicht ich, sondern der große Koslowski hat dem Brautpaar die Show gestohlen. Hast Du eigentlich eben bemerkt, dass der Zeremonienmeister Pausen für Lacher gelassen hatte?“

Die Hochzeit begann damit, dass meine Mitbewohnerin und ich leicht unpünktlich in Münster anreisten. Wir entstiegen dem Taxi, als die Braut bereits zum Altar, der natürlich nur ein Tisch war (freie Trauung!), geführt wurde. Galant überholten wir sie im Mittelgang, sodass wir da bereits im Mittelpunkt standen. Ich ließ noch eine Pause für eventuelle Lacher und nahm dann endlich Platz.

Ich überlege inzwischen, meinen gut bezahlten Job aufzugeben, um noch mehr zu verdienen. Entweder als Buzzer für den großen Koslowski oder als eben Zeremonienmeister. Das traue ich mir absolut zu. Der Trick beim Redenschreiben ist der, dass man erst die Pausen für die Lacher setzt und dann die Rede drumherum schreibt. Das ist das ganze Geheimnis.

Was man so hört, läuft die junge Ehe bislang ganz gut. Der erste Tag ist ja der schlimmste, sagt ein altes Sprichtwort. Wenn einem bewusst wird, was man da volltrunken getan hat. Ich weiß, wovon ich rede. Wie es auch Rabea tut. Ich habe gestern Rabea kennengelernt. Sie war viermal verheiratet. Was ja nichts macht. Nur sind alle ihre Männer grundsätzlich verschwunden. Ich habe da aber nicht weiter nachgehakt, da ich Angst bekam. Interessant ist die Rabea-Nummer auch nur deshalb, weil ich am Vortag noch mit Kollegen über den Namen „Rabea“ sprach. Wir kannten alle jeweils nur eine Rabea. Und plötzlich offenbarte eine Kollegin ihren Zweitnamen: Rabea! So kannte ich also zwei Rabeas. Und einen Tag später treffe ich auf eine Männer mordende Witwe namens: Rabea! Was das Leben wohl morgen bringt! Ich hab‘ Sorge vor einer Rabea-Schwemme. Eine Rabea ist außergewöhnlich. Zwei Rabeas sind schon komisch. Drei Rabeas sind beängstigend. Aber vier? Gar fünf Rabeas? Und dann saß mir auch noch ein Sebastian gegenüber. Ich fragte ihn, ob er auch „Seppo“ gerufen wird.

„Nein.“

„Sondern?“

„Sebastian.“

„Ah. Cool.“

Und wie hieß seine Mitbewohnerin? So wie meine. Eine verrückte Welt. Die Waschbecken. Die Lichtsensoren. Der Buzzer. Das Damenklo.

„Dann gehe ich jetzt wohl mal rüber zum Männerklo.“

„Aber Du bist doch fertig?“

„Achso. Stimmt. Es reicht, wenn ich beim nächsten Drang erst wieder aufs Herrenklo gehe. Oder?“

„Ja. Aber pass da auf mit den Waschbecken. Die Männer erzählen sich hier seltsame Geschichten.“