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Ich gehöre zu den ausgesprochen defensiven Autofahrern. Vermutlich nerve ich meine Hintermänner. Ich blinke bevor ich abbiege und nicht erst danach, ich halte mich an Tempo-Vorgaben (wobei ich natürlich die Höhe der maximalen Überschreitung einkalkuliere, sodass ich im schlimmsten Fall nur ein Bußgeld löhne, nicht aber Punkte kassiere) und ich halte vor Ampeln, wenn sie schon lange genug „rot“ signalisieren. Für die Unbedarften: „Rot“ bedeutet Gasgeben, um dann doch noch abrupt vollzubremsen.

Schwierig ist es bei „Gelb“. Gelb kann Grün bedeuten, wenn man die Farbenlehre bemüht und großzügig auslegt. Weit entfernt sind die beiden Töne zumindest nicht voneinander. Gestern Abend, nach einem unglücklich verlaufenen Arbeitstag, traf ich auf eine Ampel, die mir jeden Abend den Weg über eine Kreuzung weist und im Grunde immer auf Grün schaltet, sobald ich in Sichtweite der Signalanlage gerate. Ich glaubte bis gestern sogar, dass mich und die Ampel etwas sehr Tiefes verbindet. Das stete Grün konnte mit Zufall nichts zu tun haben.

Gestern war sie gelb. Ich wollte es gar nicht wahrhaben. Ich hab’s auch erst gar nicht geglaubt und ungebremst meinen Weg fortgesetzt. Was nicht sein durfte, konnte es auch nicht. Dann war da noch das Taxi. Das hielt am Straßenrand und die offenbar rotzevollen Insassen entledigten sich unfassbaren Mengen unfassbaren Mülls am Bordstein. Das ist etwas, wo ich dann doch Wutbürger werde, weil das nun wirklich unnötig ist. Meine ganze Aufmerksamkeit widmete ich somit während der Gelbphase diesem Schauspiel, sodass ich nicht bemerkte, dass ich geradewegs die Rotphase übersah. Ich kann mir aber vorstellen, dass es noch knapp Gelb war, als ich die Ampel passierte. Ich bin mir sogar fast sicher. Wenn da dieser Blitz nicht gewesen wäre.

Es nervt ja folgendes Phänomen: Ich denke oft, dass ich geblitzt werde. Meist sind es aber blendende Scheinwerfer, die man für einen Blitzer hielt, oder extraterrestische Reflektionen, die einen in den Reflexionen stören. Letztlich wurde ich noch nie geblitzt, was erstaunlich ist, ziehe ich es doch mehrfach im Jahr in Erwägung. Bin mir aber nie sicher. Und habe mir sagen lassen, dass wenn man geblitzt wird, man es defintiv wisse und eben nicht mehr spekulieren müsse. Gestern wusste ich, wie das gemeint ist. Ich war mir absolut sicher, dass ein frisch installierter Starenkasten hinter der Ampel mich fotografiert hat, während ich das Rotlicht falsch interpretierte.

Bislang wäre mir ein vierwöchiges Fahrverbot im Grunde egal gewesen. Ausgerechnet jetzt ändert sich das, da ich künftig möglicherweise verstärkt auf meinen Toyota angewiesen sein werde. Mein erstes Fahrverbot, das ja auch abhängt von der Frage, wie lange es denn schon Rot war, kommt also denkbar unpassend. Was ich aber auch erst innerhalb der kommenden zwölf Wochen wissen werde.

Zuhause angekommen, beziehungsweise weit davon entfernt, da ich nicht sehr wohnungsnah parken konnte, war mir klar, dass ich nicht in den Schlaf finden würde, wenn ich nicht vorher bei der Kreuzung nachschaue, ob da wirklich ein neu aufgestellter Blitzer steht. So ticke ich leider, ich finde sonst keine Ruhe. Der alte Grübler. Eine Bürde.

Weil mir aber auf dem Weg zur Ampel massiv langweilig wurde, beschloss ich, meine Mitbewohnerin telefonisch zu kontaktieren, die aber offenbar meine Nummer auf ihrem Display sah und nicht ranging. Also rief ich Lara, meine Nachbarin und Freundin, an. Platonische. Platonische Nachbarin. Aber sie will mehr. Keine Frage. Doch ich darf nicht, ich muss monogam leben. Aber anrufen darf ich.

„Hallo Lara!“

„Seppo?“

„Ja. Sahst du meine Nummer nicht?!“

„Ja, aber ich erkannte sie nicht.“

„Du hast mich nicht eingespeichert?!“

„Ja, weil du mich ja auch nicht einspeicherst!“

„Weil ich mir die Nummern merke und manuell wähle. Ich bin ein Manual-Wähler.“

„Was gibt’s? Ich sitz auf dem Klo.“

Alle erotischen Illusionen waren mit einem Schlag fort. Wollte sie gerade fragen, was sie anhabe. Das wollte ich nun nicht mehr wissen.

„Zuviel der Information. Folgende Situation: Ich wurde an der Hüttenstraße geblitzt. Oder eben auch nicht.“

„Ist da ein Blitzer?“

„Diese Frage gilt es zu klären. Ich gehe gerade dahin zurück.“

„Mach‘ doch morgen!“

„Du kennst mich. Ich finde nicht in den Schlaf, wenn das ungeklärt bleibt.“

„Und was ist jetzt meine Rolle?“

„Googel mal einen Bußgeldkatalog. Und unterhalte mich mit deiner spritzigen Art während meines Spaziergangs. Es ist kalt.“

„Und du hast wie immer keine Jacke dabei?“

„Ja. Aber es war heute auch kein Spaziergang vorgesehen. … Ich kann dich jetzt auch gerade nicht hören. Autos.“

„…“

„Ich höre dich nicht. So ergibt Telefonie keinen Sinn. Gibt es da eine technische Vorrichtung, um gegen Lärm antelefonieren zu können?“

„…“

„Ja, bringt nichts. Ich lege jetzt auf.“

„…“

Ich legte wie angekündigt auf, denn ich mache nur selten leere Versprechungen. Kurz danach klingelte mein Handy. Laras Nummer.

„Lara?“

Kluge Frage.

„…“

„Lara? Ich höre dich nicht. Ich lege auf. Ich bin nicht der Typ für Monologe.“

„…“

Über meinen eigenen Scherz schmunzelnd sah ich mich nach dem vermeintlichen Blitzer um und stellte fest, dass es dunkel war und ich gar keine Lust hatte, die unübersichtliche Kreuzung nach Blitzern zu durchforsten. Ich fand auch keinen. Und auch keine anderen Lichtquellen. Vielleicht ein Funken der Straßenbahn-Oberleitung. Oder aber:

Das hat mich fasziniert, denn ich kenne das Phänomen. Während des Einschlafens gibt es mitunter eine Phase, in der das Gehirn einem Blitze vorgaukelt, die sogar mit einem lauten Geräusch, das freilich nur eingebildet und nicht real ist, einhergehen können. Das erlebe ich mitunter beim Einschlafen und denke jedes Mal, dass entweder ein Einbrecher mit einer Taschenlampe und einem Rumpeln mein Schlafzimmer betritt oder – auch schlimm – mich der Schlag trifft. Aber es ist nur mein Gehirn.

Und vielleicht litt ich im Moment des Rotüberfahrens genau unter diesem Phänomen. Allerdings erinnere ich mich nicht, eingeschlafen zu sein. Aber wer erinnert sich schon an Sekundenschlaf?! Nur der, der auch in der Planke landet. Und es überlebt. Nein, auch der vermutlich nicht.

Letztlich werde ich morgen, wenn ich in aller Ruhe die neue U-Bahn-Linie Düsseldorfs samt neuer Bahnhöfe begutachte, bei Tageslicht die Kreuzung analysieren.

Handy klingelte. Lara.

„Lara?“

„Ja.“

„Ah, ich kann dich wieder hören. Hier steht kein Blitzer.“

„Ich hab ’nen Bußgeldkatalog.“

„Sitzt du noch auf dem Klo?“

„Nein! Also. Bei Rot fahren wird teuer.“

„Geld spielt keine Rolle. Fahrverbot?“

„Es sind sogar fünf Jahre Strafvollzug möglich! Hast du jemanden überfahren bei Rot?“

„Ich glaube nicht. Höchstens einen sehr kleinen Hund. Der fiele ja unter Sachbeschädigung. Aber Knast? Ich werde unruhig.“

Ich wurde unruhig.

„Fahrverbot nur, wenn es schon länger rot war.“

„Aber hier steht kein Starenkasten. Ich sehe es mir morgen noch mal an. Auch so dunkel.“

„Gucken wir Sonntag U-Bahn?“

„Vielleicht betrinke ich mich Samstag.“

Und das ist heute.

Aber gerade arbeite ich. Was natürlich jetzt nicht so wirkt, weil ich ja schreibe. Aber das geht so nebenbei. Das Schreiben. Und die Abendplanung.


In diesem Sinne Euch ein schönes Wochenende! Über die Blitzer-Nummer und über die „Seppo Blog-Auszeichnung“ halte ich Euch auf dem Laufenden:

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