seppotreue

Am 18. März dieses Jahres rief ich die Bundesseppoblik Deutschland aus. Erst heute wird mir klar, was für ein seltsamer Zufall es war, dass das Gründungsdatum meiner neuen Republik auf den gerade für die deutsche Demokratie wichtigen 18. März fiel. Wer denkt, die deutsche Demokratie, der deutsche Parlamentarismus, hatte seinen Anfang zur Gründung der BRD, der irrt: Auf den 18. März 1848 fällt die Deutsche, die März-Revolution mit Ausruf der Pressefreiheit, dem Ende der Zensur sowie die Installation eines Parlamentes. Die deutsche Demokratiegeschichte ist älter, als man gemeinhin so annimmt.

Und so gesellt sich jetzt auch der 18. März 2016 in die Reihe historischer Daten. Ein größenwahnsinniger Staatenlenker – ich – ruft seine Republik aus, da er mit den Entwicklungen in seinem Geburtsland BRD nicht mehr grenzenlos zufrieden ist. Ja, ich glaube, das war der Grund.

Nun bin ich Staatsoberhaupt über eine Bevölkerung von drei Menschen: meiner Mitbewohnerin, Botschafterin Lara (meine Nachbarin mit Wohnung als Botschaft im befreundeten Deutschland zwei Etagen über mir) und mir. Ich finde es nur naheliegend, dass ich auch Bundesseppo bin, will mich aber sobald wie möglich auch demokratisch legitmieren, also wählen lassen. Deshalb schlafe ich mit Großteilen meines Volkes, um ganz nah dran am Wähler zu sein.

Das Staatsoberhaupt wird auch in der Bundesseppoblik Deutschland nicht direkt gewählt, sondern es gilt, meine Partei, die Seppotreuen, zu wählen. Ich bin Parteimitglied und würde mich nach gewonnener Wahl zum Bundesseppo wählen. Das dürfte ein Spaziergang werden, da keine weitere Partei zur Wahl antritt. Es wäre jedoch peinlich, würden meine zwei Untertanen erst gar nicht ihre Stimme abgeben. Die Folge: Mein junger Staat würde führungslos kollabieren, der Anschluss (schlimmes Wort) an die BRD wäre unvermeidlich. Darum ziehe ich nun in den Wahlkampf – Seppo wählen heißt Gutes wählen.

Etwas irritiert hat mich die Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland meiner Staatsgründung auf einem kleinen Teil ihres ehemaligen Territoriums so gar nicht reagiert. Ich hatte bereits Kaffee aufgesetzt, da ich beispielsweise Herrn Gauck zu einem Antrittsbesuch erwartet hatte, könnte mir aber vorstellen, dass er derzeit nicht dazu kommt, das seppolog als offizielles Staatsorgan zu lesen. Ich bin sicher, er wird durch Hörensagen von meiner Republik in Kenntnis gesetzt werden.

Am Wochenende hatte ich einiges damit zu tun, mein Volk davon überzeugen, sich selbst als mein Volk überhaupt zu betrachten und mich als Staatsoberhaupt zu akzeptieren. Daher habe ich mich unter die Menge gemischt und stand Rede und Antwort.

Meine Mitbewohnerin: „Abgesehen davon, dass ich mir zunehmend Sorge um deinen Geisteszustand mache, weiß ich nicht, warum ich plötzlich nicht mehr Deutsche sein soll.“

Bundesseppo: „Weil einige der Deutschen gerade sich eher rückwärtsgewandt bewegen. Technologie-Feindlichkeit, wohin man sieht, Reformstau, Veganismus und Fremdenhass brechen sich Bahn.“

„Veganismus und Fremdenhass. In der Reihenfolge?“

Verdammt. Der Pöbel hört aber unangenehm genau hin! Ich brauche einen Wahlkampfleiter, der mich auf kritische Nachfragen vorbereitet. Also engagiere ich Hercules, einen Freund von mir, der zwar Pizzabote ist, dadurch aber viel Kontakt zu Menschen hat, während ich ja eher jemand bin, der sich im Elfenbeinturm versteckt. Das nimmt das Volk natürlich wahr und so sagte auch meine Mitbewohnerin:

„Du bist keiner von uns!“

Ich treffe mich auf bundesseppoplikanischen Boden also mit Hercules, der seinen Lebenspartner Sägemann (beides im Übrigen Spitznamen) mitbringt. Denn auch Sägemann hat die Schnauze voll von verirrten Wählern in der Bundesrepublik. Beide sind nun bundesseppoblikanische Bürger. Demografie-Problem?! Haha, dass ich nicht lache. Meine Bevölkerungszahl explodiert geradezu!

„Hercules, du musst mich irgendwie auf volksnah trimmen. An sich habe ich keine Lust, mich mit dem Mob abzugeben, aber wählen muss er mich ja. Wir brauchen einen Slogan.“

Hercules: „‚Für eine Welt ohne schlimme Dinge‘!“

„Gekauft. Das überzeugt. Das ist knapp, das ist konkret, jeder weiß, was er wählt, wählt er mich! Toll!“

Sägemann: „Bisschen inhaltsleer, oder?“

Ich: „Sägemann, machst du auf Regimekritiker?! Ich kann dich jederzeit ausweisen, du weißt, wo die Tür ist.“

Sägemann wird rot vor Wut. Ich befürchte einen bewaffneten Aufstand, gehe also zum Wasserhahn in der Küche und drohe mit Einsatz des Wasserwerfers. Sägemann zeigt sich eingeschüchtert, entschuldigt sich und ruft:

„Für Seppo! Für eine Welt ohne schlimme Dinge!“

„Na also, geht doch. Ich merke schon, das Volk ist reif für einen Personen-Wahlkampf. Hercules, alles wird auf mich abgestimmt. Schaffe das Unmögliche: Mache mich zum Sympathieträger!“

Am Wochenende gab Hercules mir Training in Menschlichkeit. Halte ich an sich für völlig unnötig, aber nur so kann ich meine Mitbewohnerin überzeugen, die Seppotreuen zu wählen. Überdies plane ich eine Zwangsmitgliedschaft in meiner Partei, da es nach außen beeindruckend wirkt, wenn das gesamte Volk Parteimitglied ist. Die Idee einer Seppo-Jugend verwerfe ich allerdings umgehend. Zumal die Jugend fehlt.

Hercules: „Seppo, du musst natürlich aufpassen, dass dir das alles nicht zu Kopf steigt. Wenn du dich als Autokrat gibst, könnte die Wahlbeteiligung ganz schnell bei null liegen.“

Ich: „Und wenn ich einfach etwas verspreche? Wenn ich das wöchentliche Putzen des Badezimmers übernähme? Und jeden Morgen Kaffee koche? Ich meine, ich würd’s nach der Wahl ja nicht tun, aber ich könnte es versprechen!“

„Wir müssen an deine Wiederwahl denken. In welchen Abständen wird eigentlich gewählt?“

„Alle zehn Jahre? Kürzere Legislaturperioden bedeuten Reformstau. Das wird das Volk verstehen.“

Hercules gibt zu bedenken, dass – auch wenn es mir nicht liege – bescheidenes Auftreten sehr gut ankomme bei meiner Mitbewohnerin.

„Wie wäre es, wenn du ihr in den Wahlkampfwochen mal was Gutes tun würdest?“, schlägt er vor.

„Aber ich schlafe doch bereits regelmäßig mit ihr. Was denn noch?!“

„Versprich ihr das Blaue vom Himmel, eine güldene Zukunft. Dass du immer für sie da bist und so weiter. Das eben, was Frauen hören wollen. Du musst gerade bei der weiblichen Wählerschaft punkten. Frauen sind die Zukunft!“

„Ja, vor allem sind Frauen meine Zukunft. Insbesondere diese eine Frau. Wobei ich Lara auch nicht von der Bettkante … an sich sehe ich mich als männlicher Führer über einen Harem.“

Hercules: „Das Wort ‚Führer‘ solltest du nicht mehr benutzen. ‚Harem‘ kommt bei Frauen auch nicht immer gut an. Zumal meine Wahlforschung ergeben hat, dass Monogamie ein gesellschaftlicher Wert in der Bundesseppoblik ist. Dem solltest du dich tunlichst unterordnen.“

„Unterordnen ist eigentlich meine Sache nicht. Ist es denn monogam, wenn ich nacheinander statt gleichzeitig mit mehrern Frauen schlafe?“

Hercules: „Ja, so könnte man es dem Volk verkaufen, aber ich fürchte, wir haben es mit einem eher schlauen Volk zu tun. Beschränk‘ dich auf deine Mitbewohnerin, denn ich glaube, Lara will überhaupt nicht.“

Somit habe ich das zurückliegende Wochenende damit verbracht, meine Mitbewohnerin zu umwerben. Nach elf Jahren Mietverhältnis kann es schon einmal passieren, dass man das Werben etwas vernachlässigt, da man nur noch an seine Parteikarriere denkt. Dieser Fehler soll mir nicht unterlaufen.

Sonntagmorgen. Town hall meeting. War eine Idee von Hercules, geklaut aus den USA. Ich bestand zwar darauf, nicht jeden Ami-Scheiß in meine neue Republik zu übertragen und schlug daher vor, mich auf einem Marktplatz dem Volke zu stellen, doch mein Wahlkampfleiter gab zu bedenken, dass die Bundesseppoblik über keinen Marktplatz verfügt. Dass es aber, so mein Einwand, auch keine Stadthalle gebe, interessierte Hercules nicht. Er bestand auf den englischen Begriff. Ich überlege, Hercules nach gewonnener Wahl hinrichten zu lassen.

Ich stelle mich den Fragen meiner Mitbewohnerin, also meinem Volke. Dabei versuche ich, zu lächeln. Diese Variante der Mimik ist mir von Natur aus leidere nicht vergönnt, die ganze Nacht habe ich mit Hercules also Lächeln einstudieren müssen.

Mitbewohnerin: „Hast du einen Schlaganfall? Du guckst so verkrampft!“

Ich: „Ich lächele.“

„Lächele besser nicht.“

Hercules sitzt schräg hinter mir und flüstert mir ins Ohr: „Lass‘ dich vom Pöbel nicht verunsichern. Lächle weiter. Du hast ein schönes Lächeln.“

Hercules ist schwul, ich fühle mich angemacht und – weil ich ja homophil bin – ebenso geschmeichelt.

Das Volk: „Was gedenkst du, gegen die schlecht isolierten Fenster zu unternehmen?“

Ich bin völlig verunsichert. Über die Fenster hatte ich gar nicht nachgedacht. Ich bitte Hercules, meiner Mitbewohnerin Alkohol einzuschenken, um sie milder zu stimmen. Ich selber habe schon einen im Kahn.

„Die isoliere ich, sobald ich gewählt bin.“

Mitbewohnerin: „Wer wird Botschafterin der Bundesseppoblik Deutschland?“

„Lara.“

„Ach. Die, die du mal ‚blonder Porno-Engel‘ genannt hattest?“

Das Volk ist aggressiv. „Schenk‘ ihr mehr Alkohol ein. Opium.“, weise ich Hercules an. Doch der scheint sich von mir zu distanzieren. Also setze ich alles auf eine Karte und verspreche:

„Ab sofort gibt es Sex mit Vorspiel!“

Das Volk ist begeistert! Sie ruft: „Seppo wählen heißt Vorspiel wählen! Darauf nagele ich dich fest!“

„Sehr gerne.“


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