goldt

„Ich schreibe heute im Bett“, teile ich meiner Mitbewohnerin gerade mit, die wie ich davon fasziniert ist, dass ich meinen neuen Job direkt mit einem Urlaub antrete.

Also sitze ich in diesem Moment in dem Bett, in dem ich mich seit etwa zwei Uhr letzter Nacht aufhalte, die vergangenen zwei Stunden in sitzender Position, da ich besinnlich die „Die Zeit“ lese, in deren erster Ausgabe des neuen Jahres, das noch gar nicht begonnen hat

Warum tun eigentlich im Netz alle so, als würde ab dem 1. Januar 2017 kein Prominenter mehr sterben?! Statistisch betrachtet gibt es zum 1. Januar an mehr Prominente als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte, sodass das große Sterben jetzt erst losgeht!

ich im Feuilleton auf ein Interview mit Max Goldt gestoßen bin. Ich wurde in der Oberstufe schon einmal mit Max Goldt verglichen. Und zwar in der Weise, dass Gemeinsamkeiten im Niveau von Schrift- und Ausdrucksweise festgestellt wurden, und nicht etwa horrende Unterschiede. Wie das mit Vergleichen mit wirklich Großen so ist, lehne ich sie aus einer unbedingt gebotenen Bescheidenheit ab, da Max Goldt allein in diesem Interview zu einer Hochform aufläuft, von der ich nur träumen kann und das auch tue. Es ist dennoch zwecklos, sich mit dem Meisterhaften zu vergleichen, man kann daran nur scheitern. Ich gehe seit jeher einen anderen Weg, der zufällig auch viel bequemer ist: Nicht nachahmen sollte man, sondern einen eigenen Stil entwickeln – und das unter der Prämisse, dass man Kritik weitestgehend ignoriert, da sie meist destruktiv ist und erschreckend häufig Neid zum Ursprung hat. Ich mache es mir sogar so einfach, dass ich auf Negativkritik mitunter damit reagiere zu sagen:

„Dann habe ich es wohl für dich nicht geschrieben.“

Der entscheidende Kritiker bin ich mir selbst, denn nur ich kenne ja auch meine Ansprüche. Und ich versuche nicht einmal, es irgendjemandem rechtzumachen, der nicht meinen Namen trägt. Und außerdem: Man findet sein Publikum und dieses findet einen selbst. Daraus ergibt sich automatisch, dass keine Seite es der anderen rechtmachen muss.

Das Beitragsbild, aus der aktuellen „Zeit“ abfotografiert, zeigt eine auch auf mich zutreffende Aussage Goldts:

Man freut sich ja, wenn etwas fertig geworden ist. Macht ja keinen Spaß zu schreiben. Aber es macht Spaß, etwas geschrieben zu haben.

Das stimmt im Gros, obwohl mir dieses zu schreiben in exakt diesem Moment tatsächlich Spaß macht, ich bin sogar leicht aufgeregt. Ein nicht seltenes Phänomen: Ich bebe beim Schreiben, was auch am massiven Kaffeekonsum liegen kann. Ich verspüre eine leichte Aufgeregtheit oder gar Aufgedrehtheit, die mich dann allerdings auch denken lässt:

„Vielleicht wird der Text megascheiße.“

Wegen der Erwartungen. Es sind die Erwartungen an mich selbst. Die gestrige Geschichte, die meinen Heiligabend beschreibt, ist zu meiner leichten Überraschung der meistgeklickte Text der vergangenen Monate geworden. Die Überraschung war nur deshalb leicht, da der Leser gerade einen womöglich ähnlichen Heiligen Abend verlebt hat, der ihn an Familie Hoppenstedt erinnert haben dürfte. Es waren ja nicht zuerst die Hoppenstedts, sondern es war erst deren Vorbild da: wir alle mit unseren Bräuchen. Loriot hat sich ja nur genau angesehen, wie die Deutschen Weihnachten feiern und es überspitzt, aber zutreffend wiedergegeben. Und wie unfassbar politisch er dabei vorgeht, ist bewundernswert. Explodierende AKW sind heute aktueller denn je und Konsumkritik gab es offenbar auch schon immer, was die heutige peinlich entlarvt und vor allem relativiert.

Dieser gestrige Artikel also hat meine Erwartungen ein wenig übertroffen und setzt mich nun unter Druck, was die Beschreibung meines Brillenkaufes vergangene Woche angeht. Ich hatte es mit einem unfähigen Brillenexperten bei Fielmann zu tun, mit einer Brillenmode, die mit meinem eher länglichen Gesicht derzeit nicht konform geht sowie einer fehlenden Ersatzbrille, weil ich mich vor Wochen auf diese draufgesetzt hatte, nur um dann kurz vor Weihnachten mit meiner Erstbrille in Folge unglücklicher Umstände aufs Gesichts zu fallen, sodass ich nun zwei Risse im Glas, das Kunststoff ist, habe. Mit anderen Worten: Ich brauchte dringend eine neue Brille und kaufte letztlich gleich zwei, da ich mich nicht entscheiden konnte. Beide Brillen gefallen mir im Übrigen nicht. Brillen sollen aber letztlich nur eine Funktion erfüllen. Sich Brillen mit denkbar dicken Rahmen und fensterschreibengroßen Gläsern ins Gesicht zu montieren, nur um irgendwie hip auszusehen, finde ich gelinde gesagt ziemlich albern und ich gehe davon aus, dass wir in zehn bis zwanzig Jahren über diese Modeerscheinung – wie das ja immer so ist – zurecht lachen werden.

Der Brillenkauf gibt für eine Geschichte viel her, ich muss sie nicht einmal durch Übertreibung pimpen. Was bei Loriot Herr Hallmackenreuther war, ist bei mir jener Verkäufer, der mir im Wesentlichen dadurch auffiel, dass er unsagbar dreckige Fingernägel hatte und in Bezug auf Brillen – Achtung, mieser Wortwitz! – keinen Durchblick – hahhahaha! – hatte. Aber dennoch oder genau deshalb genoss ich die Situation: weil ich Teil einer unfassbar alltagskomischen Szene sein durfte und die ganze Zeit dachte: „Das schreibe ich alles nieder!“

Das hat aber zur Folge, dass meine eigenen Erwartungen nun so hoch sind, dass ich Angst vor dem Schreibprozess habe und deshalb lieber mich auf einer Metaebene bewege, zumal da noch ein Mammutprojekt auf mich wartet. Ich will unbedingt die Geschichte meiner Phase der Arbeitslosigkeit niederschreiben. Damit überraschen, wie freundlich der Staat in Form der Arbeitsagentur mir gegenüber auftrat. Was ich nicht ironisch meine und mich wieder in dem Denken bestärkt, dass es sehr entscheidend ist, wie jemand in den Wald hineinbläst. Oder ruft?! Der Leser weiß, was ich meine. Und unerwähnt darf nicht bleiben, wie mir das Amt, das eine Agentur sein möchte, zwei Monate kein ALG zahlte, weil es glaubte, ich sei überraschend doch vollbeschäftigt. Ich fand mich plötzlich in der Situation wieder, der Agentur beweisen zu müssen, dass ich wirklich arbeitslos bin, was es mir partout nicht glauben wollte! Was mich nervlich an eine gewisse Grenze getrieben hatte (denn es blieb ja jegliches Einkommen über zwei Monate aus!), finde ich heute, jetzt im Bett sitzend, wahnsinnig komisch. Ich werfe es dem Amt übrigens in keinster Weise vor.

Meine Lektorin schreibt mir nun, um 14 Uhr, ich solle „in keiner Weise“ statt „keinster“ schreiben. Ich verweigere dieses.

Mir liegt es nicht, verblendend auf „die da oben“ zu schimpfen. Wer das tut, offenbart eine lächerliche und peinliche Hilflosigkeit und macht sich selbst kleiner als notwendig. Reiße er sich am Riemen, jammere er nicht so herum. Erbärmlich. Ich kotze … Ich war halt plötzlich ein kleines Rad in einem monumentalen System, wo ein kleiner Fehler große Wirkung haben kann. Ich sehe dennoch nicht, wie man das Gemeinwohl besser organisieren könnte. Bei rund 80 Millionen Menschen.

Wie bei Goldt: Ich wäre froh, wäre das bereits fertig geschrieben! Es ist wie beim Laufen: Das Laufen selbst ist etwas zäh, doch danach freut man sich ungemein, es getan zu haben.

Max Goldt spricht über Schreibblockaden. Bis gerade, bis ich das gelesen hatte, wusste ich, was der Begriff meint. Jetzt weiß ich es nicht mehr. Sind Schreibblockaden eine Folge von Ausgetrocknetsein, wie man gemeinhin so glaubt, oder wie Goldt es äußert, die Angst vor dem Scheitern, gerade weil so viele Ideen im Kopf herumeiern? Letzteres muss ja der Fall sein, denn es muss etwas vorhanden sein, das etwas oder sich selbst überhaupt erst blockieren kann. Eine Leere kann unmöglich zur Blockade führen. Dieser Gedanke kommt jetzt von mir. Bin ich ziemlich stolz drauf, denn Goldt ist nicht darauf gekommen. Bin wohl doch besser als er …

Meine Schreibblockade, wenn es denn eine war oder ist, versuchte ich zu lösen mit einer Schreibpause. Exakt 28 Tage hielt ich durch und genoss es, bis es mich vorgestern dann nicht mehr losließ. Man sitzt dann sehr besinnlich da, sieht sich „Sons of Anarchy“ bei Netflix an, bekommt aber vom vielen Morden in der Serie nichts mehr mit, weil man gedanklich Sätze formuliert. Ohne Scheiß geschah mir kürzlich folgendes: Ich lag im Bett und schlief. Kracher! Er schlief! Nein, geht ja noch weiter. Ich träumte. In diesem Traum formulierte ich Sätze. Ich glaube, ich bloggte oder so. Plötzlich gelang mir ein massiv lustiger Satz – so viel Eigenlob ist okay, weil mir dessen Wirkung auf den Leser ja wie oben beschrieben egal ist  ;) – ein so lustiger Satz also, dass ich zunächst im Traum, dann auch real laut auflachte. Ich wurde lachend wach, rief mir den Satz in Erinnerung und lachte abermals. Das Tragische: Ich habe ihn innerhalb weniger Sekunden vergessen, bin aber nach wie vor davon überzeugt, dass noch nie in der Menschheitsgeschichte ein derart lustiger Satz geträumt worden ist.

Und so stelle ich beruhigt für mich fest, dass vier Wochen der Schreibabstinenz genügen, um dieses Verlangen, das es ist!, wieder spüren zu dürfen. Und dann liest man besinnlich ein Interview mit Max Goldt. Und schreibt selbst.

hoerbar_haare
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Seht Euch das mal an: das.