Weil Ostern ist: Auch zum Hören!

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Karfreitag. Übrigens, es ist offenbar sehr schwierig, jedes Jahr aufs Neue zu errechnen, auf welche Daten die Osterfeiertage zu liegen haben. Las ich kürzlich drüber, dass es Carl Friedrich Gauß war, der dazu die nach ihm benannte „Osterformel“ entwickelte, sofern man Formeln entwickelt, da diese ja schon aufgrund der Gesetze der Mathematik bestehen, lediglich nur noch gefunden werden müssen. Gefunden also, er hat sie gefunden. Sie? Es ist ein Algorithmus. Er hat ihn gefunden. Ostern ist offenbar wirklich durch und durch ein Fest des Suchens. Nicht des Erklärens, sodass ich mir eine Erklärung jenes Algorithmus hier schenke, da ich ihn auch nicht verstehe; da sind mir Feiertage wie der 3. Oktober lieber, denn der ist eben jedes Jahr am 3. Oktober. Staatliche Feiertage machen es einem einfacher und auch an diesen sollte man nicht arbeiten.

Karfreitag ist ein „stiller Feiertag“, den ich heute dazu nutzte, um meine Sommerreifen aufzuziehen. Hätte ich es nicht auch morgen machen können? Nein. Das hat Gründe, die hier zu weit führen, außerdem habe morgen keine Cait, es blieb mir nur heute.

Nun wohne ich in Düsseldorf-Oberbilk. „Düsseldorf-Oberbilk“ beschreibt eine Diskrepanz, die größer nicht sein könnte. Denn Oberbilk wird dem allgemeinen Ruf Düsseldorfs nicht gerecht, Oberbilk ist das Gegenteil des phänotypischen Düsseldorfs. Soll heißen: Es ist nicht ganz ungefährlich, hier am Straßenrand – da ich über keine Einfahrt oder ähnliches verfüge -, seine Reifen zu wechseln. Dazu später mehr.

Überhaupt war es nicht unproblematisch, einen Platz zu finden, wo ich ausreichend davon habe, um mich ans Werk zu machen. Hier gibt es, wenn überhaupt, nur enge Parklücken, die es einem nicht einfach machen, das Auto mittels Wagenheber hochzustemmen. Gegenüber unseres Nachbarhauses, da allerdings ist eine Freifläche. Sie ist immer frei von Autos, da sie an sich ein Bürgersteig ist als Vorhof zu einer Schule. Dürfte Karfreitag ja nicht viel los sein und überhaupt sind ja Schulferien. Meiner zurückhaltenden Person, die risikoaverser nicht sein könnte, entsprach es also so gar nicht, dass ich mein Auto tatsächlich dorthin bewegte, um den Reifenwechsel dort zu vollführen.

Wuchte das Auto also hoch, löse die Muttern, entferne den Winterreifen hinten links und vernehme ein

„Entschuldigung?“

Da ich sehr schreckhaft bin, gebe ich ein albernes „Ho! Schockschwerenot!“ von mir, springe aus der Hocke, die mein Sportlehrer immer als „Kackstuhlhaltung“ bezeichnete, hoch und vor mir steht der Hausmeister der Schule, den ich mehr oder weniger kenne. Vom Sehen halt.

„Du weißt schon, dass das hier ein Bürgersteig ist?!“, fragt der vielleicht Mittvierziger.

„Ja, ich wechsele meine Reifen. Bin gerade bei hinten rechts. Nein, links.“

„Das ist nicht nur ein Bürgersteig, das ist auch eine Ausfahrt!“

„Ja, aber ist doch schulfrei!“

„Trotzdem würde ich gerne jetzt mit meinem Wagen hier rausfahren!“

Verdammt, ja. Der Hausmeister wohnt nicht nur zur Unterrichtszeit in einer Wohnung unmittelbar an der Schule, sondern permanent. Ich muss den Platz also räumen, damit er mit seinem Auto passieren kann. Also schraube ich Reifen und die Muttern wieder drauf, vier Stück, entlasse mein Auto aus der Schräglage und fahre es auf eine freie Parkfläche am so genannten Lessingplatz hier in der Nähe, einem großen Drogenumschlagplatz. Ich weiß natürlich, dass es keine Parkfläche in dem Sinne ist, mehr eine Fläche. Steige aus, hole den Wagenheber vom Rücksitz, löse die Muttern leicht, verkeile den Wagenheber und werde abermals erschreckt: von einem „Wiu“!

Wiu ist das, was es erst seit 2014 in NRW zu hören gibt, eine amerikanische Variante unseres Tatütatas. Die hiesige Polizei nutzt es, um schnell die Aufmerksamkeit von Bürgern zu erhaschen. Das klappt auch ganz gut.

„Schockschwerenot!“, rufe ich aus, erhebe mich aus der Kackstuhlhaltung und sehe einen – Überraschung! – Polizeiwagen, dem ein Beamter entsteigt:

„Das ist hoffentlich Ihr Auto?“, erkundigt er sich, sehr freundlich übrigens.

„Ja. Ich wechsele die Reifen. Hinten links gerade.“

„Sie wissen aber schon, dass Sie auf einer Feuerwehrzufahrt stehen?“

Nein, das weiß ich ehrlich gesagt nicht und schraube vorauseilend die vier Muttern wieder an, da ich mit einem Platzverweis rechne.

„Ich weiß einfach nicht, wo ich meine Reifen wechseln soll.“

„Es ist Karfreitag, das wissen Sie auch?“

„Ja, sicher, nur morgen ist schlecht bei mir und ich mache ja auch keinen Lärm. Es ist nur so, dass ich nur heute an meine Sommerreifen rankomme.“

Was ich nicht sage: „Wiu an ’nem Karfreitag, wenn keine Gefahr in Verzug, ist ja auch zweifelhaft …“

Der freundliche Beamte zuckt mit den Schultern seiner Kollegin, die etwas hilfreicher ist und mich auf einen freien Parkplatz, etwa fünf Meter weiter, aufmerksam macht. Ich möge es dort versuchen.

Während das Streifenhörn-, nein, der Streifenwagen wieder seines Weges fährt, lasse ich meinen Toyota herunter, nehme den Wagenheber mit ins Auto und „setze kurz den Wagen um“.

Ich bin nun genervt und ärgere mich über meinen verworrenen Zeitplan, der mir an diesem langen Wochenende das Leben zumindest nicht vereinfacht. Und da mir „hinten links“ ein schlechtes Omen zu sein scheint, beginne ich dieses Mal vorne rechts, löse die Muttern, während mich nun ein älteres Ehepaar, wie ich einfach mal vermute, aufschreckt:

„Ausländer?“, fragt der Mann.

„Schockschwerenot! … Was?“

„Haben Sie nichts besseres zu tun, als Reifen zu klauen?!“

„Doch, habe ich. Reifen wechseln!“

Damit hatte ich ohnehin gerechnet. Denn wenn man sich hier in Oberbilk in welcher Form auch immer an einem Auto zu schaffen macht, dann ist man in aller Regel kriminell. Ich habe vollstes Verständnis für diesen Mitbürger, nicht aber in dem Punkt, der sich auf die Einordnung meiner Person als Ausländer bezieht, zumal auch Inländer sicherlich hin und wieder Reifen stehlen. „Ausländer“ an sich ist ja erstmal nicht wertend, aber ich unterstelle dem Wutbürger, der da hinter mir steht, dass er es in seiner Welt als Makel betrachtet.

„Ich rufe nun die Polizei“, sagt er und er greift tatsächlich zu seinem Handy. Fragt seine Frau leise: „Wie entsperre ich das hier?“ Sie hilft ihm. Nur sie scheint das Wischmuster zu beherrschen.

„Ich wechsele lediglich auf meine Sommerreifen. Von O bis O! Hier!“

Sage „hier“ und zeige dabei auf meine Sommerreifen, die im Innenraum des Autos liegen. Er jedoch missversteht das:

„Aha, schon ordentlich Beute gemacht!“

Nun wird es komisch, finde ich, denn klaute ich Räder, würde ich sie dann in einem fremden PKW transportieren, dessen Räder ich gerade abschraube?! Die Frage stelle ich ihm und er:

„Das wird die Polizei klären! An einem Karfreitag auch noch!“

„Kennen Sie die Gauß’sche Osterformel?“, frage ich und bleibe gelassen, da ich hier schon weiß: Das schreibe ich nieder! Ich weiß ja, dass er es ist, der sich nun lächerlich macht.

Die Polizei kommt tatsächlich. Ohne Wiu. Ich bin einigermaßen erleichtert, als ich die Beamten von vorhin wiedererkenne und sage fröhlich „Hallo!“. Beide schmunzeln und klären den aufmerksamen Bürger – was ja wirklich für ihn spricht! – auf. Seine Frau ist peinlich berührt, während er den Polizisten erklärt, dass man ja heute nie wissen könne, was übrigens ein toller Satz ist, mit dem man Fremdenfeindlichkeit hervorragend erklären kann.

„Ich kauf nicht beim Juden, man weiß ja heutzutage nie!“

Die braune Brut, sie ist nach wie vor überall.

Derweil sind meine Sommerreifen nun aufgezogen, was bei Reifen schneller als bei Kindern geht, der Druck auf 2,2bar erhöht, wofür „Shell“ einen Euro nimmt, und das Auto wieder verkehrsordnungsordentlich abgestellt.

Ich wünsche den Lesern des seppologs ganz unabhängig von Religionszugehörigkeit ein schönes Osterfest! Wiu.