lessingplatz, 16uhr!

„textet“ mir mein Kumpel Merugin am vergangenen Freitag. Man „textet“ ja. Meine Mutter fragte mich gestern nämlich ob man, der user vielmehr, mit Whatsapp auch „simst“.

„Äh, nein, ich sage immer ’schreiben‘. Man ’schreibt‘.“

Aber „texten“ wäre vielleicht die bessere Antwort gewesen, ich werde ihr diese Vokabel nachliefern, wenn ich ihr mal wieder via Whatsapp simse.

was passiert da?!

simse ich Merugin per Facebook zurück.

hab den wagen! opel! vectra!

Achja, denke ich, Merugin hat endlich sein Auto. Rund zehn Jahre alt, etwa genau so lang auch kein Neuwagen mehr, und ein Kombi.

fortuna hat unentschieden gespielt.

schreibt er mir noch, worauf ein Klassiker folgt:

oh, falsches fenster

Sollte nicht an mich gehen. Zurecht, da mich Fußball, schon gar nicht drittklassiger, nicht interessiert.

Der Lessingplatz ist ganz bei mir in der Nähe, kurz vor vier mache ich mich auf den Weg und freue mich auf meine erste Probefahrt mit Merugins Opel. Obwohl Autos in mir dasselbe auslösen wie Fußball, nämlich gar nichts, sehe ich auf Anhieb, dass dem Auto etwas fehlt.

„Moinsen! Merugin, vorne fehlt was. Unter der Stoßstange. Links. Oder rechts. Je nachdem, wo man steht.“

„Ja, unter der Stoßstange. Die Minilippe rechts. Braucht man aber auch nicht.“

Minilippe. Ich als Autonarr weiß natürlich sofort, dass es sich dabei um den Stoßfänger unterhalb der Stoßstange handelt. „Stoßfänger“ darf die Minilippe allerdings nicht heißen, da Stoßfänger bereits die Stoßstange meint.

Merugins Kombis Lack ist irgendwas zwischen blau und schwarz. Fragte man eine Frau nach der Farbe, würde sie wohl von einem dunklen Blau sprechen, für mich ist sein Auto schlicht schwarz.

„Schönes Schwarz. Klassisch!“, sage ich zu Merugin, als ich einsteige.

„Rudine meinte, es sei ein Dunkelblau.“

Rudine ist eine Frau, eine gemeinsame „Freundin“. Er mag sie sehr, ich hege Groll. Groll und Hass. Und mit Farben hat sie es wohl nicht so richtig.

Merugin fährt los und erklärt mir, dass es sich um ein Automatikgetriebe handele, das er aber trotzdem schalten könne. An dem Punkt steige ich innerlich aus dem Gespräch aus, da das für mich ein Widerspruch ist. Höre noch Begriffe wie „Tipp Tronic“ und denke an das Kultgetränk „Tritop“. Fasse mir an den Kopf, um meine frische Beule zu beurteilen. Merugin sieht das und hakt nach:

„Wieder in Berlin an der Dachschräge gestoßen?“

„Nein. Waschbecken. Zuhause. Da trockne ich mir seit fünf Jahren unfallfrei die Beine nach dem Duschen ab, ohne beim Aufrichten das Waschbecken mitzunehmen, da krache ich aber heute Morgen vollekanne gegen das Becken und falle zu Boden. Was für ein Geraffel. So, was ist das für ein Knopf?“

„Das ist der Tempomat!“

Kenne ich. Ganz so unbefleckt bin ich ja nicht.

„Der ist aber kaputt, hat mir der Typ beim Abholen gesagt. Wäre aber wohl schnell repariert. Ich soll nicht draufdrücken.“

„Braucht man ja auch nicht. Ich fuhr noch nie mit Tempomat. Hab immer Sorge, dass er nicht mehr ausgeht“, erkläre ich.

„Hat dein Toyota denn einen?“

„Keine Ahnung, benutze ihn ja nie.“

Ich weiß nicht einmal, wie viel PS mein Auto hat.

Wir fahren über die Südbrücke auf die Autobahn. Merugin hat einen Plan:

„Wir fahren die Karre jetzt mal richtig aus!“

Es fängt an zu regnen. Der Scheibenwischer geht an. Offensichtlich ein Regensensor. Toll.

„Hat deiner auch ’nen Regensensor?“, fragt der Fahrer mich.

„Kann sein. Ich betätige immer einen Hebel, dann geht der Wischer an. Manchmal auch das Fernlicht.“

Der Opel Vectra erinnert mich sehr an ein altes Auto meines Vaters. Er fuhr lange Zeit einen Opel Vectra, ich wäre also fast nostalgisch geworden, wenn nicht im gleichen Moment der rechte Scheibenwischer dem linken in die Quere gekommen wäre.

„Was da los?!“, ruft Merugin aus.

Die Scheibenwischer verhaken sich erst ineinander und bleiben dann beide stehen, wovon der Regen unbeeindruckt bleibt.

„ICH SEHE NICHTS MEHR, SEPPO!“

„Fahr rüber auf die rechte Spur!!! Standstreifen!!!!“

„Wo ist die rechte Spur?! Ich sehe nur Regen!“

„RECHTS!“

„IST DA EINER?! KANN ICH RÜBERFAHREN?!“

„BLINK MIT ALLEM, WAS DU HAST! WANRBLINKGEDÖNS AN!“, rate ich Merugin.

Ich habe vor einigen Jahren schon einmal Ähnliches erlebt: Im strömenden Regen auf der Autobahn blieben meine Scheibenwischer stehen. Man sieht von einen auf den anderen Moment absolut nichts mehr und ist nicht mehr Herr seiner Situation.

Panisch greife ich Merugin ins Lenkrad und schlage auf die Hupe ein.

„WARUM HUPST DU?!“

„WEIL ICH IN PANIK BIN!!!!! Und die anderen darauf aufmerksam machen will, dass wir in großer Not sind und sie nun mit waghalsigen Manövern unsererseits rechnen müssen! Jetzt fahr nach rechts rüber!“

„Regnet es da weniger?!

„Standstreifen!!!“

Merugin schwenkt nach rechts und ich sehe plötzlich etwas seitlich auf mich zukommen.

„HALT!!!! LEITPLANKE!!!!“

„Jetzt schon?!“

„Wir waren offenbar schon auf der rechten Spur.“

Zu unserem wirklich großen Glück kommt ein Parkplatz (mit WC), auf dem wir direkt anhalten. Wir steigen aus und begutachten die seltsam künstlerisch anmutende Installation aus Scheibenwischern auf der Windschutzscheibe.

„Wie ist das möglich, dass die sich überhaupt in die Quere kommen können? Scheibenwischer sind wie Synchronschwimmer“, erkenne ich.

„Der Fahrerwischer geht noch, der auf deiner Seite ist hin.“

„Brechen wir ihn ab!“

„NEIN! Wir entwirren sie. Das wird schon gehen. So lange die Fahrerseite geht, kein Thema. Ich nehme mal an, dass sich während der Fahrt …“

Merugin erklärt mir mögliche Ursachen für den Schaden, sodass ich innerlich wieder abschalte, um meinen Geist nicht unnötig mit Kfz-Wissen zu belasten.

Wir setzen uns wieder in das Auto mit der Monowischertechnologie, die es ja durchaus gibt. Ich sehe nun nur noch die verregnete Scheibe, während Merugin freie Sicht hat.

„Fahr uns nach Hause!“, sage ich ihm, während mir Schweiß von der Stirn tropft, was er sieht:

„Achso, das ist nur vorläufig. Da, an deiner Stirn.“

„Was?! Ich schwitze nur vorläufig aus Panik?!“

„Nein, das ist Regen. Das Schiebedach. Nicht ganz dicht, wäre aber wohl schnell zu reparieren, meinte der Typ.“

„Achso.“

Ist mir irgendwie völlig egal in dem Moment, zumal wir wieder in Düsseldorf sind. Herzogstraße. Ampel. Ich schreie auf.

„AAARGGG!“

Merugin erschrickt: „WAS?!?!“

Jemand hat an das Beifahrerfenster geklopft. Schockschwerenot! Damit rechne ich im Auto nie und meist heißt es auch nichts Gutes. Ich will den Fensterheber betätigen. Die Scheibe bewegt sich quälend langsam nach unten, knackt seltsam und verharrt.

„Merugin? Die Scheibe?“

„Das ist schnell repariert.“

„Meinte der Typ?“

„Ja.“

An meiner Tür steht ein Passant, der uns durch den schmalen Spalt darauf hinweist, dass wir etwas mitschleifen. Vorne links.

Ich öffne die Tür, während hinter uns jemand ruft „Grüner wird’s nicht!“ und teile Merugin mit:

„Der Herr hat Recht. Da ist etwas, das da nicht hingehört. Am Rad in etwa.“

„EIN KIND?!“

„NEIN! Ein Teil. Moment! Es ist eine Minilippe! Es ist die linke Minilippe! Auch ab!“

„Das ist die rechte!“

„Ja, je nachdem, von wo man guckt.“

„Minilippen braucht man im Grunde nicht. Mach Fenster zu, wir fahren weiter.“

„Geht nicht. Die Scheibe bewegt sich nicht. Hast du viel bezahlt für den Wagen?“

„War erstaunlich günstig.“