Ich bitte den Leser heute ausnahmsweise um zügiges Lesen, da meine Cait ausgesprochen knapp bemessen ist und ein vorzugsweise durch Wein ausgelöster Kater mich plagt, den ich mit einer Proteinbombe nur teilweise erfolgreich bekämpft habe. Einigen wir uns also an diesem Samstag darauf, die Reise in einen unerforschten Teil meines Gehirnes schnell hinter uns zu bringen, um das gute Wetter nutzen zu können, was ich vom Sofa aus tun werde, da ich derzeit körperlich zusammenbreche.

Ich spare mir daher auch aus zeitökonomischen Gründen eine langweilige Erklärung, die aber Licht ins Dunkel bringen würde, das sich dem Leser in dem Moment vor seinen Augen offenbart, wenn er davon erfährt, dass es dem zugegebenermaßen etwas durchgeknallten Wissenschaftler Zontibur gelungen ist, mit mir in mein eigenes Gehirn zu reisen. Was so abstrus und ausgedacht klingt, ist eigentlich ein recht simples Vorgehen, um den ein oder anderen im menschlichen Gehirn stattfindenden Vorgang besser verstehen zu können. Und ja, man möchte meinem, dass wenn einem Wissenschaftler eine solche Reise gelungen ist, man doch schon einmal davon gehört haben müsste. Eingefleischte Leser erinnern sich womöglich noch an Zontibur, der hier im seppolog bereits diverse Auftritte hatte, aber eben nur selten, da er die Öffentlichkeit eher scheut, was strenggenommen nicht im Interesse der Wissenschaft ist. Man kann nur erahnen, wie viele geniale Ideen Zontiburs noch keinen Eingang in wissenschaftliche Publikationen gefunden haben, einfach, weil dieser Mann sich scheut. Und das in einer Ära, in dem es immer leichter wird, in inflationär aufgelegten Fachaufsatzsammlungen eine Öffentlichkeit zu finden, die nach pseudowissenschaftlichen „Wahrheiten“ giert, weil sie bereit ist, jeden Scheiß zu glauben. Ein bisschen Mehr an weniger Zurückhaltung stünde dem Manne – gemeint ist Zontibur, dessen Name nicht oft genug genannt werden kann – gut an, der das Dasein der Menschheit qua seiner Ideen einem Ideal näherbringen könnte. Doch was nützt da Verzagen, delektieren wir uns doch an dem, was wir haben: an der Möglichkeit, ein bislang unbekanntes Areal des menschlichen Gehirns zu bereisen, das Zontibur nicht nur entdeckt, sondern auch benannt hat. Und es beschämt meine bescheidene Person geradezu, dass er den Seppoplexus nach mir benannt hat. Ich will mich dagegen aber auch nicht wehren, zumal ich erstaunt war, auf wen wir bei unserer Reise trafen.

Auf Schornack.

Schornack geistert bereits seit einigen Wochen in meinem Kopf herum und doch findet er keinen Widerhall in meinen Texten. Dabei ist er klar umrissen und ich lüge nicht, wenn ich behaupte, dass er vor fünf Minuten vor unserem Haus herlief, als meine Mitbewohnerin sich auf zum Yoga machte. Ich würde mich ja über Yoga lustigmachen, doch geht das nicht mehr, seit sie es samstäglich betreibt, seit ich feststelle, dass sie teilweise mit Verletzungen körperlicher Natur nach Hause kommt, was meiner Einordnung Yogas in die Ecke esoterischen Schwachsinns widerstrebt. Yoga ist durchaus geeignet, Menschen zu verstümmeln, da steht es meiner 16-Kilo-kettlebell, die teilweise über meinem Kopf schwebt, in nichts nach. Aber das gehört hier nicht hin, denn wir müssen uns nun endgültig mit dem Gedanken anfreunden, dass ich in diesem Moment, im historischen Präsens also, zusammen mit einem Wissenschaftler des seltsamen Namens Zontibur in meinem Gehirn stehe.

„Großer Gott. Was ist das hier?!“, frage ich, und zwar endlich mal wieder bass erstaunt.

„Seppo, wir stehen in deinem Gehirn“, antwortet mir Zontibur, „lobus parietalis, wir befinden uns im Seppoplexus, tief verborgen im Scheitellappen, um es deutsch auszudrücken.“

„Komisch. Exakt so habe ich mir meinen Scheitellappen vorgestellt.“

„Ja, der Scheitellappen heißt Scheitellappen, weil er wirklich aussieht wie ein Scheitellappen. Der Name ist Programm.“

Und Zontibur erklärt mir weiter, dass hier das „Selbst“ sitzt, aber auch das episodische Gedächtnis verortet ist, was ich sofort verstehe und darum nicht nachhake.

„Wenn du liest und schreibst, Seppo, wird der Scheitellappen aktiv. Deine Texte entstehen unmittelbar hier!“

Ich bin begeistert und so nimmt es auch kaum Wunder, dass wir hier Schornack antreffen, der neben einem schwarzen Klumpen kauert und vor sich hin jammert.

„Dieser schwarze Klumpen da, ist das … also muss ich mir Sorgen machen?! Ist das ein Tumor?!“, ich leicht aufgeregt.

„Nein. Kein Tumor. Der schwarze Klumpen ist deine kalkulierte Arroganz. Allerdings muss ich sagen, dass er stetig wächst. Das macht mir durchaus etwas Sorgen. Aber viel interessanter ist doch der dort Kauernde!“

Ich gehe also auf den Vorsichhinkauernden zu, der plötzlich zu mir aufblickt, offenbar des Kauerns überdrüssig:

„Ach, lässt sich der feine Herr Schöpfer auch mal blicken?“, fragt er mit einer wohl kalkulierten Arroganz.

„Äh“, bringe ich heraus, mehr aber auch nicht.

„Äh?! Das ist alles, was du mir zu sagen hast? Erinnerst du dich? Ich bin Schornack. Vor Monaten von dir erdacht für dein krankes Figurenuniversum.“

„Schornack … Schornack … Ja, da klingelt was bei mir …“

„Ich sollte der immer betrunkene Obdachlose sein, der vor deinem Haus auf- und abgeht.“

Ja, stimmt. Da war mal so eine Idee. Ich schrieb auch bereits daran, habe den Text dann aber wieder gelöscht, weil er einfach schlecht war. Es ging da irgendwie um Vorfälle vor unserem Haus, in die ein Betrunkener verwickelt war. Und der sollte Schornack heißen. Weil mehr als diese Grundidee nicht vorhanden war, geriet der Text gnadenlos langweilig, sodass ich ihn voller Scham in den virtuellen Papierkorb verfrachtete. Doch Schornack blieb irgendwie in meinem Kopf. Wann immer ein Betrunkener unsere Straße passiert, was häufig passiert, so auch vor einigen Minuten, denke ich „Ach guck, da ist ja wieder Schornack!“.

„Siehst du Seppo! Den Text magst du gelöscht haben, mich aber hast du nicht zu tilgen vermocht, wessenthalben ich hier nun seit Wochen, Monaten!, sitze, kauere und darauf warte, dass du mich endlich verwirklichst. Doch du tust es nicht!“

„Äh.“

„Hast du auch nur eine vage Vorstellung davon, wie es ist, sein Dasein als bloße Idee zu fristen, ohne in die Tat umgesetzt zu werden?!“

„Nein, ehrlich gesagt war mir das nicht bewusst. Kann ich ja nicht ahnen, welche Folgen das hat. Bist du der einzige hier?“

„Nein. Meist bin ich zwar allein, aber hin und wieder kommt die übel zugerichtete Frau Dosenrund mit ihrem Mann hier vorbei.“

Dosenrund … Dosenrund … ja, da war mal was. Der Name kommt mir bekannt vor. Zontibur hilft mir auf die Sprünge:

„Das Ehepaar Dosenrund. Sie hatten ihren Auftritt in ‚Mikrokosmos im Keller‚. Du hast Frau Dosenrund zusammenschlagen lassen.“

Und Schornack ergänzt: „Die Geschichte aber nie aufgelöst. Seit eineinhalb Jahren warten die Dosenrunds verzweifelt darauf, dass du Frau Dosenrund von ihrem Kopfverband befreist!“

„Nun ja, die Geschichte war damals ein riesiger Flop, darum schwieg ich die Nummer einfach tot und es fragte auch niemand mehr nach“, rechtfertige ich mich.

„Du spielst dich auf als Schöpfer, doch verneinst deine daraus resultierende Verantwortung!“

„Ist Lara auch hier?“

Lara ist eine ehemalige Nachbarin von mir, die ich mithilfe eines Thermomix‘ umgebracht habe.

„Lara willst du gar nicht treffen, glaub mir! Die hat einen enormen Hals auf dich, weil sie noch immer kopfüber im Thermomix steckt. Aber du hast Glück. Du hast sie ja so doof angelegt, dass sie gerade im Okzipitallappen herumirrt!“

Ich lache laut auf: „Weil sie den Weg in den Seppoplexus nicht findet?! Hahahahaha! Ach, ich vermisse sie ja schon ein bisschen!“

„Das ist alles, was dir dazu einfällt!?“

„Nun ja, ich muss gerade einiges verarbeiten. Dass ich zum Beispiel in meinem eigenen Gehirn stehe und mit einer Idee von mir spreche. Mit einer schlechten Idee. Aber gut, ich will mich der Verantwortung stellen: Wie kann ich deinem Kauern ein Ende bereiten?“

„Setze mich um. In die Tat. Gib mir Leben in deinem Universum! Mach mich zu dem stets betrunkenen Irren, der auf der Straße rumgröhlt! Oder aber lasse ganz von mir, sodass ich verschwinden kann.“

Genau das gelang mir nie. Wo andere von musikalischen Ohrwürmern geplagt werden, kämpfe ich mit Worten, die mir im Kopf rumschwirren, die ich nicht mehr loswerde. „Schornack“ ist ein wochenlanger Ohrwurm.

„Ich leide auch darunter, Schornack!“, setze ich zur Offensive an, „Ich liege nachts wach und was höre ich in meinem Kopf? ‚Schornack‘! Dann fange ich an zu formulieren, spinne Geschichten und hoffe, sie bis zum nächsten Morgen nicht zu vergessen. Und natürlich vergesse ich sie jedes Mal. Ich hab schon großartige Dinge mit dir getan, nur hab ich sie nie niedergeschrieben.“

„Dann tue dieses endlich. Schreib darüber, wie du mich in deinem Gehirn triffst, während du an die Steaks denkst, die du dir heute zusammen mit deiner Mitbewohnerin zubereiten wirst.“

Er hat Recht. Ich denke heute an nichts anderes. An die saftigen Steaks. Schornack muss neidisch sein!

„Neidisch? Bist du neidisch auf meine Steaks in spe?“, frage ich deshalb.

„Wieso sollte ich?“

„Weil du nie isst. Du isst nie, Schornack. So werde ich dich anlegen. Es soll sie doch geben, diese Menschen, die nie essen. Und uralt werden. Gibt es sie, Zontibur?“

Zontibur: „Oh, was? Habe nicht zugehört, ich dachte, ich wäre schon raus aus dieser Nummer.“

„Ob es wirklich Menschen gibt, die 120 Jahre alt werden und nie etwas gegessen haben.“

„Nein, das ist Quatsch.“

„Aber Schornack hier, der hat nie gegessen. Er wohnt bei uns im Haus. Ein ganz seltsamer Typ. Man sieht ihn selten. Kommt kaum raus. Die Nachbarn tuscheln schon. Er würde nie essen.“

„Immerhin bin ich nun nicht mehr obdachlos!“, triumphiert meine Idee.

„Und nicht mehr betrunken. Ich habe endlich eine Verwendung für Schornack!“

„Seppo, wir müssen wieder raus aus deinem Hirn. Irgend etwas stimmt mit der Blutversorgung nicht.“

„Komisch, es riecht nach Currywurst und mir wird etwas schwindelig.“

„Ja, also ohne dich beunruhigen zu wollen, aber das klingt nun verdächtig nach einem Schlaganfall. Wir müssen schleunigst raus hier, es tut deinem Hirn nicht gut. Wäre doch ein Jammer, du würdest dein Sprachvermögen verlieren!“

Zontibur hat absolut Recht. Ich höre mich so unfassbar gerne selbst reden. Den Verlust der Sprache gilt es zu verhindern! Raus aus dem Hirn, Idee umsetzen!