Ich rufe Kraftold Kramer an. Ich darf caine Cait verlieren, mir ist etwas aufgegangen. Kraftold ist mein Manager und er muss umgehend darüber informiert werden, dass ich nun ein neuer Mensch bin. Er soll das wissen. Er muss das wissen.

„Künstleragentur Kraftold Kramer, Kraftold Kramer am Apparat?“

„Kraftold! Seppo hier. Müsstest du an der Nummer sehen. Bin ich nicht eingespeichert?!“

„Seppo! Nun … also was heißt eingespeichert!? Nicht direkt. Ich habe auch den Eindruck, dass das mit dir nichts mehr wird. Also wir sind eine Künstleragentur und du bist … ja, was bist du eigentlich?!“

„Moderationsmaschine!“

„Wir haben hier eine Kartei, auf der ‚Selbstdarsteller‘ steht. Und rate mal, wessen Kartei das ist!“

„Gut, ich gebe zu, das ist etwas … wobei, es funktioniert ja eigentlich. Aber ich sattle um! Ab sofort firmiere ich unter ‚Sebastian Stern‘! Mit einem Sternchen hinter ‚Stern‘!“

„Das hatten wir schon! Du wolltest Ansager werden. Und was soll ein Sternchen hinter Stern?! Dann sucht doch jeder nach der entsprechenden Fußnote!“

„Ja, lustig, oder? Ein Hingucker halt!“

„Nicht, dass es dir als Davidstern ausgelegt wird.“

„Der Davidstern an sich ist ja nichts Schlimmes …“

„Warum nicht ‚Sebastian Stahl‚?“

„Weil das irgendwie nach Porno klingt. Obwohl Stahl bei mir durchaus zuträfe. Da können wir noch drüber reden.“

„Und was wird Sebastian Stern* tun?“

„Er wird Motivationstrainer!“

„Hhahahahahahah-„, Knacken in der Leitung, nervöses Besetztzeichen.

„Kraftold? Hallo?“

Offenbar wurden wir unterbrochen.


Es war am vergangenen Sonntag, als ich wie jeden Sonntag an einer Klimmzugstange im Düsseldorfer Stadtwald hing. Vor wenigen Jahren noch habe ich maximal einen Klimmzug geschafft, inzwischen verbiege ich die Stange. In seppoFIT habe ich hier meine Körpertransformation, nicht ganz ernstgemeint, verbreitet und stelle nun nach wenigen Monaten fest, dass sie gelungen ist: zehn Kilogramm verloren sowie Körperfettanteil reduziert und durch Muskelmasse ersetzt, die meiner Mitbewohnerin klares Denken mitunter unmöglich macht. Ich bin da durchaus stolz drauf, da ich es selbst vor zwei Jahren nicht geglaubt hätte, hätte man mir damals gesagt, auch ich könnte meinen Schwabbelbauch durch zumindest Ansätze eines Waschbrettes ersetzen. Vor einigen Wochen stand ich fassungslos vor dem Spiegel, weil ich urplötzlich V-Muskeln am Unterbauch hatte. Das letzte Mal fiel mein Unterbauch durch einen Leistenbruch auf, dieses jedoch gefällt mir deutlich besser. Ich darf jetzt nur nicht sterben.

Auch meine Mitbewohnerin, die Kampfsportlerin ist, weist ähnliche Effekte auf. Doch viel entscheidender und viel wichtiger sind die Effekte, die Sport auf den Kopf hat. Wenn man mich fragt, warum ich sechs Tage pro Woche Sport mache, dann fällt mir die Antwort allerdings schwer. Es sind vielschichtige Gründe, bei denen es eben nicht zuvorderst um kosmetische Erfolge geht, die aber auch eine Rolle spielen, da sie nun einmal der sichtbare Ertrag der investierten Kosten sind. Doch die Dinge, die es zum Sport braucht, lassen sich auf alles im Leben übertragen. Man wird härter im Nehmen, man geht Herausforderungen deutlich optimistischer an, wenn man einmal gemerkt hat, was allein durch Sport alles möglich ist. Auch auf nur eine Sporteinheit zu verzichten, kommt für mich inzwischen nicht mehr in Frage; es wäre eine Niederlage. Es hat sich somit eine Disziplin bei mir entwickelt, die ich für meine Person früher für unmöglich hielt. Diese Disziplin übertrage ich mehr und mehr auch auf andere Lebensbereiche.

Zumal Sport eine gnadenlose Waffe gegen Stress jedweder Art ist. Ich kann für meine Person konstatieren, dass ich vieles überhaupt nur ertrage, weil ich Sport mache. Je höher die Belastungen in meinem Privatleben, im Alltag, desto mehr kontere ich mit Sport und fühle mich bestens.

Und als ich da so hing am Sonntag und merkte, wie mühelos ich mich an einer Stange hochziehen kann, war mir klar, dass man die Dinge grundsätzlich einfach nur anpacken muss. Was alles erreichen wir nur deshalb nicht, weil wir es nicht angehen?! Phlegmatismus ist ein bequemer, aber falscher Freund. Hätte ich vor 15 Jahren das Laufen nicht angefangen, wäre ich körperlich jetzt vermutlich fünf bis zehn Jahre älter, was ich im Vergleich mit anderen – ohne mich über sie stellen zu wollen – unweigerlich feststelle. Hätte ich dann vor rund 16 Monaten nicht meinen Kraftsport intensiviert, würden mir inzwischen aussortierte Hemden noch passen, in die heute mein Schultergürtel nicht mehr passt. Ich würde zusehen, wie Jahr für Jahr mein Bauch weicher wird und es mir schönreden mit „Ist halt so, wenn man älter wird“.

Ist es eben nicht.

Man muss es nur anpacken, man muss machen. Das Wissen darum hat wohl jeder, doch es wurde mir nie klarer als am Sonntag, als mir eine Idee kam, die meine Mitbewohnerin und mich gnadenlos beflügelt und unser Leben komplett ändern wird. Und ich spreche hier weder von Nachwuchs noch Heirat.

Manche Wünsche bleiben unerfüllt, weil ihrer Verwirklichung meist eine enorme Anstrengung vorausgeht, die man vielleicht scheut. Und viel zu spät wacht man auf und bereut sein Zaudern. Diese eine Nummer, die wir vorhaben, wäre die Erfüllung eines absoluten Traumes von mir und eines großen Wunsches meiner Mitbewohnerin. Verörte ich meine Lebensqualität auf einer Skala von eins bis 100 derzeit bei 90, durchbräche sie die 150, wenn wir es hinkriegen. Wir müssen es nur machen! Was wir wollen, ist weder utopisch noch physikalisch unmöglich. Es bedarf nur enormer Einschnitte, doch letztlich wäre der Ertrag unermesslich höher als die Kosten.

„Warum machen wir es einfach nicht?! Wir wollen es langfristig ohnehin! Warum nicht sofort? Warum sich selbst im Wege stehen?!“, fragte ich sie.

„Okay. Könnte klappen.“

Oha. Ich hatte mir eigentlich mehrere Argumentationsmuster zurechtgelegt, um sie von meinem waghalsigen Plan zu überzeugen. Doch das war offenbar gar nicht nötig, meine Mitbewohnerin steht voll dahinter.

Sport ist das Gegenteil von Lethargie. Sport motiviert über den Sport hinaus. Ich kann noch so gerädert sein, bevor ich mit ihm beginne, schon nach zehn Minuten ist man in einem Rausch und voller Tatendrang (Da dieser Rausch leider nie lang anhält, muss man am nächsten Tag abermals Sport betreiben …), der sich in den Alltag hinein überträgt.

Ich will nicht missionieren. Grundsätzlich ist mir völlig egal, wie andere ihr Leben gestalten, denn das gehört zu einer Freiheit dazu. Ich habe volles Verständnis für Menschen, die Sport ablehnen, es spielt ja für mich caine Rolle. Jeder soll tun, was er tun will; ich wünschte mir, dieses würde auch mir mehr zugestanden.

Das Abweichen von Normverhalten wird nach wie vor immer kritisch und meist ablehnend bewertet, was ich nicht nachvollziehen kann. Erst kürzlich musste ich mich einer Art Freund gegenüber für Eigenschaften meiner Persönlichkeit rechtfertigen, die er nicht nachvollziehen konnte, die er kritisierte, obwohl sie gar keinen Einfluss auf ihn oder andere Menschen haben. Weil ich von einer Norm oder Masse abweiche, ernte ich Unverständnis. Dieses begleitet mich nun seit mehr als 30 Jahren, was dazu führte, dass ich Fehler bei mir gesucht habe, wo aber partout keine zu finden waren. Und erst vor vielleicht ein, zwei Jahren habe ich mich davon gelöst und zelebriere mich mehr denn je, ignoriere das Urteil anderer über meine Person. Manchmal genügt es schon, sich den Urteilenden nur mal anzusehen. Dann zu schweigen und sich freuen, ihn moralisch besiegt zu haben.

Weil eines einfach zu offensichtlich ist: Jeder, aber auch wirklich jeder, hadert doch hin und wieder mit sich selbst. Gerade derjenige, der an anderen rumhadert, hadert mit sich selber doch am meisten. Ich liebe es inzwischen, wenn mir jemand sagt:

„Du machst zuviel Sport! Laufen ruiniert die Knie!“

Ich könnte mich über dieses Halbwissen aufregen. Hab ich immer getan. Laufen ruiniert die Knie?! Mein Freund, das Nicht-Laufen ruiniert die Knie! Inzwischen sehe ich mir das Gegenüber an und denke, es mag mich zwar belächeln, aber die langfristige Schadenfreude obliegt mir. Wirft es mir zuviel Sport vor?! Oder wirft es sich selbst vor, unbeweglich und teigig zu sein?! Soll ich von so jemandem Ratschläge entgegen nehmen?! Ich, wo ich mich doch seit Jahren Tag für Tag aufs Neue bestätige?

Motivationstrainer Sebastian Stern* rät also, dass man sich vom Urteil anderer löst. Es gibt immer Menschen, die viel kritisieren. Und auch permanente konstruktive Kritik geht mir auf den Zeiger. Ich lasse mich nicht mehr hemmen durch den permanenten Pessimismus, ich mache einfach. Es muss lediglich den Menschen gefallen, an denen mir was liegt. Und das sind dann auch die, von denen ich Zuspruch ernte.


„Kraftold? Wir wurden unterbrochen.“

„Seppo, gerade ganz schlecht. Habe El Behro in der anderen Leitung. Der Mann ist die TV-Zukunft!“