Direkt aus dem ICE 842 Richtung Düsseldorf: Der Chefautor des seppologs gewährt wieder einen tiefen Einblick in sein Seelenleben. Lehnen wir uns vor und genießen den sechsten Teil der heiteren Serie

Das seppoABC

„Faschowetter“ war in der weiteren Auswahl für diese Folge des seppoABCs, da sich dieser Begriff gegen eben Faschos richtet, damit also meine Einstellung durchaus widerspiegelt. Denn darum soll es ja gehen in dieser losen 29-teiligen Reihe: um Begriffe, die in irgendeiner Form etwas mit meiner Person zu tun haben. Doch „Faschowetter“ trifft mich nicht ganz so wie der letztlich gewählte Begriff, der auch diese Vorschläge meiner Mitbewohnerin schlug, die mich ja nun wirklich als einzige so richtig kennt, was, schenke ich ihr Glauben, ein außergewöhnliches Vergnügen ist:

  • Feuilleton
  • Fernsehen, der Moderator, der ganz Mensch geblieben ist
  • Feierabend
  • Fernbeziehung

Nicht schlecht, einiges davon ist sogar gelungen spitzfindig und „Feuilleton“ spricht mich am meisten an, was sehr viel über mein Selbstbild verrät. Bei der Gelegenheit erwähne ich einen Umstand, der immer wieder unterschätzt wird: Die Selbstwahrnehmung weicht in der Regel massiv von der durch Mitmenschen ab.

Ich entscheide mich für: „Friedlebender Federführer“.

Nein, das kann es auch nicht sein. Also einigen wir uns auf: „Frauen“. Seppo und die Frauen. Aber so viel Zeit haben wir nicht, da mache ich eine eigene Serie draus. Außerdem lief es mir gerade eiskalt den Rücken runter … Der Leser merkt, dass ich in diesem Moment keinerlei Ahnung habe, welches F-Wort es nun wird.

Solange mir keines einfällt, hier eine offizielle Beschwerde an die Deutsche Bahn: Sie können nicht einfach die Wagenreihenfolge ändern! Ich kenne nun alle Passagiere der Wagen 27 bis 22. Die Bahn scheint unfähig – Moment! Unfähig! Da ist mein Wort:

Fähigkeiten.

In der Tat ist es so, dass ich mich meine ersten zwei bis drei Lebensdekaden für grundsätzlich unfähig hielt. Ich muss das gar nicht spezifizieren, da es sich auf alle denkbaren Bereiche bezog; der Leser kann sich einen aussuchen und davon ausgehen, dass ich in jenem Bereich unfähig war. Besonders deutlich wurde mir das in den Bereichen, wo Körpereinsatz gefordert war, wobei ich Sex ausdrücklich ausnehmen kann: Mehrere Stellungen und Praktiken sind bereits nach mir benannt worden, beispielsweise der Fünffache Seppo mit Doppel-Penetration oder der Himmelhochjauchzende Seppo, für den man sich seeeehr viel Zeit nehmen sollte. Für viele Frauen unvergessen bleibt das Seppogeddon, auch bekannt als „der einzig wahrhafte Sex“.

Sex ist zwar auch irgendwo ein Handwerk, das nicht jede(r) beherrscht, aber grundsätzlich liegt mir anderes (!) Handwerk nicht. Ich bin unschlagbar im Aufbau von Möbeln – und nicht nur solchen von „Ikea“ -, aber sobald Wanddübel ins Spiel kommen, gebe ich meine Schlagbohrmaschine (hier bitte die Doppeldeutigkeit nicht überlesen) gerne meiner Mitbewohnerin in die Hand, die damit sehr gut umgehen kann (hier bitte keine Doppeldeutigkeit reinlesen, Familie liest eventuell mit). Noch heute muss ich mich von handwerklich Begabten belächeln lassen, mir ihre Sprüche anhören, wobei ich anders als früher nur müde zurücklächeln kann. Es geht einher mit dem alten Klischee, mit dem ich schon oft konfrontiert wurde: dass Uni-Absolventen sich für etwas Besseres halten und in der Praxis nicht viel können. Ich halte mich allerdings aus ganz anderen Gründen für was Besseres … Aber doch nicht wegen der Uni! Zweifellos bin ich stolz auf meinen Abschluss, da es an ein Wunder grenzt, dass ich mit dem chaotischen Unileben klarkam. Ich war nicht ein einziges Mal in irgendeiner Mensa und bin auch da sehr stolz drauf. Es ist nicht meine Welt.

Ich ließ mir auch oft vorwerfen, als Student schlafe man den ganzen Tag. Ja, natürlich! Mein Stundenplan hat sich nicht etwa nach dem Vorlesungsverzeichnis gerichtet, sondern danach, dass ich vor zwölf keinen Hörsaal betreten muss und das auch nur dienstags bis donnerstags. Dass ich eher der Kopfarbeiter bin, war mir schon klar, als meine Lego-Häuschen immer aussahen wie Luftschutzbunker, auch wenn die Anleitung eine Windmühle als Ergebnis vorsah.

(Natürlich gibt es auch Uni-Absolventen, die auf solche, die sich für beispielsweise eine Ausbildung entschieden haben, herabblicken. Dieser Arroganz bin ich oft begegnet und finde sie nur lachhaft, so wie es immer lachhaft ist, wenn sich die einen über die anderen stellen.)

Früher ließ ich die Sprüche der handwerklichen Profis noch an mich ran, inzwischen weiß ich zwei Dinge: zum einen, dass manche eben jener Typen darüber hinaus nichts anderes können und zum anderen, dass es da doch exakt drei Dinge gibt, die ich besser kann als die meisten anderen. Und darauf bilde ich mir tatsächlich einen ein, so wie ich jedem anderen zugestehe, sich einen im Stillen auf etwaige Fertigkeiten einzubilden. Und weil das „im Stillen“ wichtig ist, verrate ich jene drei Geschicke hier nicht – und auch anderswo nicht.

Aber exakt das Bewusstsein, das ich über diese Dinge entwickelt habe, beschreibt meine derzeitige Lebensära fraglos am besten. Insbesondere in den zurückliegenden zwei Jahren habe ich ungemein viel über mich gelernt. Hintergrund waren berufliche, aber auch private Verwerfungen, die mich klüger und mit Sicherheit auch schlauer gemacht haben. Ich habe viele Schlüsse aus meinem Verhalten und dem anderer ziehen können und nutze diese als Erfahrungen für den laufenden Lebensabschnitt, der womöglich gerade erst beginnt. Ich werde mich auf jene drei Dinge konzentrieren und anderes, was ich jahrelang vergeblich versucht habe, für mich abschließen, da ich meine Person gefunden habe und mit der muss nun eben jeder klarkommen, wenn er denn will. Und letztes werde ich mitnichten forcieren, es spielt für mich keine Rolle mehr. Aber verstellen werde ich mich nicht mehr, um welche Ziele auch immer zu erreichen. Es funktioniert eh nicht. Ich sehe mitunter Menschen um mich herum, die mit mehreren Gesichtern unterwegs sind, und ich finde es gnadenlos armselig wie peinlich und hoffe, selbst mehr Rückgrat zu haben, denn auf lange Sicht bringt es einen weiter als jedes Anpassen. Und siehe da, es macht sogar Spaß, das zu leben, was früher für mich unmöglich war. Das hat freilich auch mit Erfahrungen zu tun, die man im Kindergarten noch nicht gesammelt hat, mit 36 Jahren aber durchaus. Ich erlebe, wie andere mit strategischem und moralisch falschem  Vorgehen grandios auf die Fresse fallen, was mir auf meinem vielleicht etwas steinigerem Wege eher nicht passieren kann.

Selbstreflexion ist eine Fähigkeit, von der jeder glaubt, sie zu beherrschen, manch einer jedoch den Eindruck erweckt, ihm fehle sie völlig. Ich behaupte natürlich auch, mich selbst zu reflektieren. Nur deshalb weiß ich ja auch sehr genau, wann ich was warum falsch mache.

Korrekturen in meiner Selbstreflexion liefert mir meine Mitbewohnerin. Auf ihren Rat kann ich mich blind verlassen; unser Verhältnis ist so innig, dass da absolutes Vertrauen herrscht. Das ist insofern wichtig für mich, als dass ich anderweitig eher zum Argwohn neige, worin ich aber immer wieder bestätigt worden bin. Argwohn kann vor kolossalen Enttäuschungen schützen, was für mich inzwischen eine gewisse Priorität hat.

Es ist was dran, an dem Rat, man solle sich seiner eigenen Fähigkeiten besinnen, sich auf diese konzentrieren. Ich kenne nicht jeden, aber behaupte einfach mal ins Blaue hinein, dass jeder irgendwelche hat, die ihn von anderen abgrenzen. Aber ich zitiere auch Homer Simpson, der Recht hatte, als er seinem Sohn mitgab: „Egal, was du kannst, es gibt immer eine Million Menschen, die es besser können“. Man muss sich von dieser Million dann einfach fernhalten …

Vielleicht nennt man das alles auch letztlich: Selbstbewusstsein.


Alle bisherigen Folgen des seppoABCs: hier!