Abgehoben, überheblich, selbstverliebt. Eigenschaften, bei denen man an jeden denkt, nicht aber an die Fernsehikone Seppo, die selbst sich gar nicht als Ikone betrachtet. Denkmal sei ein passender Begriff, wird der bescheidene Moderator zitiert, der mit seinen Moderationskünsten nicht nur jede Altersgruppe erreicht, sondern auch Fans in sämtlichen Bildungsschichten kumuliert. Ein Star zum Anfassen, nah am Pöbel, selbstvergessen – und doch für viele so unerreichbar. Dem Boulevard-Journalisten Rosonsko Rosenbaum ist es im vergangenen Jahr gelungen, Seppo persönlich zu treffen. Exklusiv und journalistisch vollkommen unabhängig veröffentlicht das seppolog, das nur zufällig von Seppo höchstselbst betrieben und bestückt wird, nun den lang ersehnten dritten Teil der großen Homestory. Nie zuvor hat Seppo sich derart in die Karten blicken lassen; eine einzigartige Gelegenheit, einem Übermenschen näherzukommen, zu erfahren, wie der godfather of tv bei all dem Ruhm noch Mensch bleiben konnte. 

Lesen Sie hier die vorangegangenen Teile der Serie:


Show-Dino und doch Mensch geblieben


TEIL V
DIE HOMESTORY (III und ENDE)


Mein Name ist Rosonsko Rosenbaum. Nie hätte ich erwartet, dass der Höhepunkt meiner journalistischen Laufbahn einmal auf der Couch eines Megastars erreicht sein würde: Gegen alle Widerstände sitze ich tatsächlich im Wohnzimmer von Seppo, den ich mit meinen Fragen offenbar derart gelangweilt habe, dass er eingeschlafen ist. Was soll ich tun? Ihn wecken?! Wie weckt man eine solche Größe? Ist Schlafen doch eine recht intime Angelegenheit. Weiß er, dass er schläft? Wird es ihm unangenehm sein, wenn er aufwacht? Ein Speichelfaden bahnt sich seinen Weg aus Seppos Mund, dessen rechte Seite der Unterlippe ungünstig nach unten hängt. Kurz überlege ich, ob Seppo Opfer eines Schlaganfalles geworden ist. Doch maßt man es sich an, einem Seppo Erste Hilfe zu leisten?

Zähe Minuten vergehen, bis ich entscheide, ebenfalls ein Nickerchen zu machen. Nur auf diese Weise kann ich die womöglich peinliche Situation entschärfen.

Um einzuschlafen, muss man zunächst so tun, als würde man schlafen … und es funktioniert, langsam dämmere ich hinüber ins Reich der Träume. Noch in einer Welt zwischen Wachen und Schlafen denke ich, wie seltsam geborgen ich in Seppos Nähe einschlafen kann.

Ein ohrenbetäubendes Gebrüll reißt mich aus dem wohl erholsamsten Schlaf meines Lebens.

„WAS ZUR HÖLLE ERLAUBT SICH DIESER SCHMUTZIGE SCHREIBERLING?! MACHT SICH AUF MEINEM SOFA BREIT UND PENNT MITTEN IM INTERVIEW EIN!“

Ich reiße meine Augen auf. Da, wo eben noch friedlich Seppo schlief, sitzt nun ein Choleriker mit hochrotem Kopf. Pralle Adern auf seinen Schläfen zeugen von unermesslicher Wut, vom Zorn Gottes.

„Ah, der feine Herr Rosenbaum haben ausgeschlafen? DARF ICH IHNEN EINEN KAFFEE BRINGEN?! BISSCHEN MORGENGYMNASTIK?!“

Ich weiß nicht, wie mir geschieht. Ist das jetzt der Seppo, vor dem man mich im Vorfeld gewarnt hatte? Wie reagiere ich nun? Weiß er nicht, dass auch er geschlafen hat? Oder will er genau davon ablenken? Ich entscheide mich für den devoten Weg. Denn den schätze Seppo sehr, sagte man mir.

„Verzeihung. Meine eigenen Fragen haben mich derart gelangweilt, dass ich darüber eingenickt bin. Es tut mir unendlich leid.“

„Ein Wunder, dass ich nicht eingeschlafen bin! Versuchen Sie es mal mit einer intelligenten Frage! Immer werde ich denselben Scheiß gefragt! Sie stellen mir Fragen, die Sie jedem anderen Showstar stellen können! Aber nicht einem Seppo!“

Mein Gegenüber ist wie ausgewechselt. Spontan denke ich an eine Persönlichkeitsstörung, während ich krampfhaft nach einer intelligenten Frage suche. Natürlich, dieser Mann hat einen ganz eigenen Anspruch an Intelligenz, an Intellekt. Was anderen intelligent erscheint, langweilt ihn. Dieser Mann ist hochgradig anspruchsvoll.

„Haben Sie hohe Ansprüche an Ihre Mitmenschen und sich selbst, Seppo?“, wage ich zu fragen. Die Antwort auf diese Frage sagt stets viel über den Antwortenden aus.

„Es ist nicht so, dass ich von den Ansprüchen, die ich an meine Mitmenschen stelle, auf die Ansprüche an mich selbst schließe. Ich gehe den umgekehrten Weg.“

„… umgekehrten Weg …“

„Heißt, Herr Rosenbaum, und nun spitzen Sie Ihren Bleistift, dass ich zunächst Ansprüche an mich selbst stelle, die ich dann auch an andere stelle.“

„Erfüllen Sie Ihre an Sie selbst gerichteten Ansprüche?“

Antwortete er eben noch wie aus der Pistole geschossen, schweigt er plötzlich, sieht nachdenklich aus. Kurz fürchte ich, er schläft wieder ein, doch dann:

„Nein. Ich erfülle sie nicht. Ich scheitere selbst an ihnen.“

Habe ich Seppo geknackt? War das die eine von hunderttausend möglichen Fragen, mit der man seine harte Schale knacken kann?

„Und Ihre Mitmenschen?“

„Sind nicht besser als ich. Wobei, doch, manche.“

Seppo senkt seinen Kopf. Ich habe offenbar einen Nerv getroffen. Das war ganz offensichtlich keine Frage, die ihn langweilt.

Wir schweigen. Man sagte mir, Seppo sei ein Typ, der nicht viel rede, mit dem man Schweigen ertragen könne. Erträgt er womöglich Gerede nicht?

„Ertragen Sie das Reden anderer?“

„Das Reden ja, nicht aber das Gequatsche. Es wird zu viel gequatscht, zu wenig gesagt. Sie werden lachen, aber ich bin schon manches Mal eingeschlafen, wenn jemand unentwegt gequatscht hat. Quatschen langweilt mich. Wenn viele Worte ohne Inhalt einhergehen. Ich ertrage es geradezu nicht. Ich lehne es nahezu körperlich ab. Das Benutzen von Sprache ist zwar mit der Komposition von Musik vergleichbar, aber es ist ja wohl nicht zu viel verlangt, transportierte Sprache wie eben auch die Musik eine Botschaft, also schlicht eine Aussage.“

Ich bin beeindruckt. Und auch Seppo ist das. Von seinen eigenen Worten.

„Erstaunlich, was ich da gesagt habe. Null Gequatsche, maximaler Gehalt. Das können Sie so schreiben. Nein, das müssen Sie so schreiben. Sonst autorisiere ich schon mal gar nichts. Das können Sie auch so schreiben. Denn eines ist mir sagenhaft wichtig: dass ich die Kontrolle über meine Person behalte.“

Hier hake ich, zurückgefunden zu meiner investigativen Routine, ein:

„Hatten Sie auch die Kontrolle, als Sie betrunken die Parkplatzschranke des Studentenwohnheimes abbrachen, in dem Sie damals wohnten?“

„RAUS! DAS GESPRÄCH IST BEENDET! DAS MUSS ICH MIR NICHT BIETEN LASSEN! ALLES NUR GEQUATSCHE, WAS DA IHREM MUNDWERK UNGEFILTERT ENTFLEUCHT! Nachdenken, mein Freund, ist manchmal alles. Zu sagen, was man denkt, immer und zu jeder Cait, ist eben kein soziales Talent! VERLASSEN SIE MEIN HAUS BEZIEHUNGSWEISE DAS FÜR DIESES INTERVIEW ANGEMIETETE!“

Seppo steht wutentbrannt auf, streckt seine Brust heraus, hebt seinen Arm und zeigt gegen die Wand:

„DA IST DIE TÜR!“

Ich stutze. Sehe nur die Wand. Seppo bemerkt seinen Fehler, dreht sich um 90 Grad nach rechts und:

„NEIN, DA IST DIE TÜR!“

Angsterfüllt packe ich meine Unterlagen zusammen, klemme sie unter Seppos Arm, nein, unter meinen Arm, und verlasse das prächtige Anwesen.

Draußen regnet es, der Himmel ist sonnenverhangen. Unmittelbar nach Verlassen dieser Szene habe ich das Gefühl, einer surrealen Welt entkommen zu sein. Unwirklich fühlt sich das Erlebte an. Und ich weiß bereits, dass ich dieses erst in einigen Jahren werde niederschreiben können. Diese Homestory ist nur ein zarter Anfang, die einem Seppo wohl kaum gerecht werden kann.

Ihr Rosonsko Rosenbaum.


Wer sich ernsthaft über Seppos Treiben informieren möchte, ist auf seiner Homepage besser aufgehoben: