Es ist Samstag, viertel nach zehn. Im Grunde die Zeit, zu der es an unserer Wohnungstür läuten müsste. Weil es das immer tut, Samstag für Samstag. Doch seit rund fünf Wochen ist das – trotz der Offensive der Zeugen Jehovas – ausgeblieben. Denn so lange gönnte ich meinem Geist eine Pause. Und da schreibt man mal fünf Wochen cain Wort, tritt völlig überraschend und aus heiterem Himmel eine vor zwei Jahren angekündigte neue Datenschutzverordnung in Kraft, von der alle kalt erwischt wurden. Die DSVGO, nein, DVGSO, Quatsch, die DSGVO ist das Stuttgart 21 der Internetszene. Auch Stuttgart 21 war transparent geplant, die Pläne vorab überall einsehbar. Doch als es dann losging, der erste Baum gefällt wurde, war der Aufschrei natürlich groß, weil sich vorher niemand dafür interessiert hatte. Denn, das ist wohl eine Wahrheit, der Deutsche ist phlegmatisch, was ich nicht nur negativ sehe. Aber wie Stuttgart 21 hat auch die DSGVO gute Seiten, sehr gute sogar. Doch wie das so ist, spricht man nur über die negativen Aspekte, die es natürlich auch gibt. Da entstehen gerade Kollateralschäden, die manchen Berufszweigen das Genick brechen können, weil sich zwei Jahre lang kaum jemand darauf vorbereitet hat. Ich nenne hier die „nicht institutionalisierte“ Kameraarbeit von Werbeagenturen oder kleinen Produktionsfirmen, die mit Bewegtbild arbeiten und nicht mehr ohne Weiteres das tun können, was doch immer problemlos ging: Menschen ablichten. Allem Anschein nach hat die nationale Politik nicht zum ersten Mal etwas verschlafen.

Und so wurde auch ich am 24. Mai, einen Tag vor Inkrafttreten der Verordnung nervös. Dass Gesetz Verordnungen bricht, interessiert natürlich niemanden. Es ist wie mit der Todesstrafe in Hessen: Dessenhessen Verfassung sieht sie vor, doch gottseidank bricht Bundes- das Landesrecht, so wie auch Verordungen unter Gesetzen rangieren und (leider) Präzedenzfälle erst zeigen müssen, wie die DSGVO zur Anwendung kommen kann. Wird. Muss.

Während viele private Blogs um mich herum voreilig schlossen oder in den „privaten Modus“ wechselten, machte ich das seppolog fit für die vollkommen zurecht strengen Datenschutzbestimmungen, mit denen Europa – und das meine ich als großer Europafan völlig ironiefrei – einen weltweiten Standard gesetzt hat, der Vorbild für andere Regionen dieser unruhigen Welt sein wird, spätestens dann, wenn man qua nationaler Anpassungen, die ja durchaus vorgesehen sind, die Fehler der DSGVO, nein, der DSGVO beseitigt haben wird. Ich las mich ein in die Thematik und stieß auf gnadenloses Halbwissen, auf Panikmache und im Wesentlichen Unsicherheit. Und ich zog einen Anwalt zu Rate, der allerdings ratlos war, und schrieb mir eine neue Datenschutzerklärung, obwohl ich mit Ihren Daten gar nichts tue.

So weise ich nun in der hiesigen Erklärung darauf hin, dass der Leser des seppologs permanent durchleuchtet wird. Ich lese über Google Analytics, das ich gar nicht nutze, und über Akismet, das für mich Spamkommentare filtert, da viele Nazis mich in den Kommentaren beschimpfen in einem Deutsch, das eines stolzen Deutschen eigentlich unwürdig ist. Und für die Kenner: Ich habe sogar die „Gravatar“-Funktion über Bord werfen müssen, weil ich gelesen habe, dass sie ein schwerer Eingriff in Ihr Privatleben ist. In meinen Kommentarspalten ist damit Ihr Profilbild nicht mehr zu sehen. Verstanden habe ich das nicht, aber wie gesagt, am Vorabend des Inkrafttreten der Verordnung saß ich schweißgebadet vor meinem Rechner, da ich las, dass mir bis zu 20 Millionen Euro Strafe drohen, wenn ich Gravatare weiterhin zulasse. In Hessen übrigens wird man standrechtlich erschossen, wenn man gegen die DSGOV, nein, DSGVO verstößt. Und die AfD rechnet vor: Mit jedem Verstoß gegen die Verordnung gelangen 300 Millionen Flüchtlinge in unser Land, die 400 Millionen biodeutsche Frauen vergewaltigen und 500 Millionen Fachkräfte arbeitslos machen. Weil Flüchtlinge ja, das weiß die AfD, nichts anderes tun als zu vergewaltigen und unsere Jobs wegzunehmen. Und dann nehmen die Roboter den Flüchtlingen die Jobs weg. Und dann vergewaltigen die Roboter die Flüchtlinge. Was geschieht erst, wenn illegale Roboter unsere Sozialsysteme ausnutzen wollen?! Und wie reagiert die AfD, wenn sie herausfindet, dass Deutsche auch kriminell sein können?!

Kennen Sie diesen „Disclaimer“, der sich auf jeder privaten Homepage befindet? Er ist rechtlich weder vorgeschrieben, noch ist er überhaupt irgendwie relevant. Er war irgendwann Ende der Neunzigerjahre das Ergebnis von Panik. Anfang des neuen Jahrtausends hatte ich eine Seite im Netz, die sich „planetNEX“ nannte, einen Vorläufer des seppologs. Damals sagte mir jeder, du brauchst diesen Disclaimer! Es hat 20 Jahre gedauert, bis ich erfahre, dass er keinerlei juritistische Bedeutung hat. Aber man fühlte sich besser mit ihm.

Gerade schreibt mir meine Mitbewohnerin, die übrigens nun auch DSGVO-konform lebt. Sie kehrt heute zurück. Sie war lange weg. Sie komme aber etwas später, denn:

„Heute marschieren die Braunen durch Goslar“, schreibt sie.

Offenbar hat das Auswirkungen auf den Bahnverkehr. Nazis sind der Oberleitungsschaden unserer Gesellschaft. Aber mit Genugtuung vernehme ich auch hier, dass die Zahl der Gegendemonstranten um einiges höher ist …

Ich schreibe ihr zurück, dass ich gerade „blogge“. Und zwar ganz DSOVG-konform. Ob denn mein Kopf wieder frei sei, fragt sie zurück. Ich sage, nein, wann sei er das schon, aber es juckte mich schon wieder. Außerdem hat mich die Schreibpause drei Abonnenten gekostet und das hat mich in den vergangenen zwei Wochen fast so nervös wie die DSOGV, nein, DSVGO gemacht. Noch erschreckender aber finde ich, dass ich in meiner inaktiven Zeit mit dem seppolog in den deutschen Blogcharts Plätze gutgemacht habe!

Die vergangenen schreibfreien fünf Wochen – gerade sehe ich, dass es derer gar sechs waren! – habe ich meinen geistigen Schwerpunkt auf einen anderen Aspekt verlagert und dabei festgestellt, dass mir das Schreiben kein Stück fehlt, was mein Selbstverständnis ziemlich erschüttert hat. Doch ich habe mich in etwas anderes geflüchtet, was ich im seppolog jedoch – das habe ich mir vorgenommen – nie wieder erwähnen möchte, obwohl es mein Lebensthema geworden ist. Daraus entsteht ein innerer Konflikt, der das Potenzial hat, die DSGVO zu sprengen, während Hessen wieder einmal versucht, die Todesstrafe aus seiner Landesverfassung zu verbannen, weil Todesstrafe wenig einladend wirkt.

Meine Mitbewohnerin hat sich derweil innerhalb der vergangenen Zeilen durch den braunen Mob gewühlt – sie trägt den schwarzen Gurt und beherrscht mehrere Kampfsportarten – und sitzt nun im Zug Richtung Hannover. Während sie hier abwesend war, wurden zwei bis drei Menschen niedergestochen. Wir leben in Düsseldorf-Oberbilk wie auch jene zwei, drei Opfer dieser Messerattacken, die alle überlebt haben, soviel ich weiß, denn die tägliche Lektüre der Polizeipressemeldungen gehört bei mir zum morgendlichen Ritual.

Die erste Messerattacke fand diese Woche am Lessingplatz statt. Wir wohnen mit Blick auf diesen und sehen uns oft die dortigen Schlägereien von unserem Schlafzimmerfenster aus an. Die Gewalttaten wurden auch bei Facebook diskutiert. Die wichtigste Frage dort war, ob die Täter Ausländer seien. Das ist sehr wichtig, da wir immer wieder neues Futter brauchen, um etwas gegen Ausländer zu haben. Dass die Kriminalität unter Ausländern, aber auch insgesamt!, in Deutschland deutlich gesunken ist, stört natürlich das Bild, das in diesem eigentlich so fantastischen Land wieder salonfähig geworden ist, während wir der Anschläge in Solingen gedenken.

Unter dem Publikum der körperlichen Auseinandersetzungen in unserem Viertel finden sich auch viele Kinder, denn der Lessingplatz ist eben nicht nur Drogenumschlag-, sondern auch Spielplatz, was ich für eine gesellschaftlich fragwürdige Vermengung von Interessen halte. Sandburgen und Spritzen vertragen sich nicht. Als Kind habe ich gerne im Sand gebuddelt und das Schlimmste, was dabei geschehen konnte, war, in Katzenkacke zu greifen. Gegenüber einer verseuchten Spritze ein kleines Übel. Früher war alles besser.

Nun ist eine Stunde vergangen, viel Zeit für einen Text dieser Länge. Ich werde diesen Blog künftig anders bestücken, mich befreien von Klickzwängen. Ich werde mir auch künftig das absolute Killerthema verkneifen, obwohl es meinen Alltag voll ergriffen hat: die Leibesertüchtigungen. Gut, ich könnte stundenlang darüber reden und schreiben, aber ich weiß und wusste immer, es interessiert keinen Toten. Falls doch, folgen Sie mir gerne – das muss jetzt sein – bei Instagram. Und ich grüße in diesem Zusammenhang Tim, den eine Motivation ergriffen hat, die ich gespannt beobachte.

Ich wünsche ein schönes Wochenende und freue mich auf weitere Monate mit Ihnen als Leser im seppolog!