Vor einem Jahr featurete das seppolog exklusiv die Geschichte des großen Show-Dinos Seppo, dem es fernliegt, von sich selbst in der dritten Person zu schreiben. Denn Show-Dino Seppo ist nicht nur Show-Dino, nein, er ist trotz seines atemberaubenden Ruhms auch

ganz Mensch geblieben.

Beispiellos sein kometenhafter Aufstieg zu einer maßgeblichen Showgröße, während private Fernsehsender ein aalglattes Gesicht nach dem anderen verbrennen, weil einige Programmmacher mehr auf Gesicht als auf Typ setzen. Und so wurde selbst der sagenumwobene Seppo Opfer der Knallhartbranche. Den Karrieregipfel gerade erklommen, ganz oben, wo vor ihm noch niemand zuvor gewesen, setzte er Maßstäbe – vor allem in gekonnter Selbstdarstellung. Doch dann kam der Fall, der wie sein Emporkommen ohne Beispiel war.

Ein halbes Jahr Sendepause liegt hinter ihm. Wir treffen Seppo in einem Berliner Biergarten, wo er gekonnt einen Weißwein schlürft.

„Ich trinke ja kein Bier. Schmeckt mir nicht. Ich substituiere Bier mit Wein. Aber auch nicht oft. Doch wenn, dann richtig. Mir kann niemand weismachen, Alkohol trinke man nicht, um einen Rausch zu bekommen. Mir fiele kein anderer Grund ein. Wenn ich genießen will, trinke ich Mineralwasser aus unserem Sprudler.“

Er sagt, „aus unserem“. Offenbar gibt es sie noch, trotz der Krise, trotz des Absturzes. Die Mitbewohnerin.

„Natürlich. Sie ist mein Dings. Wie sagt man? Sie ist mein Korsett. Ohne sie würde ich womöglich in mich zusammenfallen. Schreiben Sie das. Mit dem Korsett. Wenn Sie das nicht schreiben, autorisiere ich nichts und verklage Sie in Grund und Boden. Nein, kleiner Spaß. Aber schreiben Sie es!“

Dann blickt er in den Himmel. Er sinniert. Und wirkt zufrieden. Doch wer ihn kennt, der sieht seine Narben.

„Klar, Suff ohne Ende die letzten Monate. Drogen auch. Das härteste Zeug. Im Grunde hab ich alles genommen. Gleichzeitig. Weggeballert. Frauen. Ohja, Frauen am Fließband. Morgens eine Brünette aus der Wohnung gejagt, obwohl abends mit ’ner Blonden in die Kiste gestiegen. Überblick verloren. War die eine Frau weg, hab ich mir die nächste gekauft. Man kann Frauen kaufen. Das war mir so klar nie. Aber schreiben Sie das nicht. Das wirkt unsympathisch. Obwohl es ja stimmt. Schreiben Sie irgendwas mit ‚Trug die Huren stets auf Händen‘ oder so. ‚Hure‘ darf man ja sagen. Oder besser, ‚Er diente stets den Liebesdienerinnen‘. Oder geht das auch nicht mehr? Seit #metoo? Schreiben Sie, ‚Er schlief mit Männern‘. Dann sind wir auf der sicheren Seite. Ich will mich keineswegs öffentlich zu #metoo äußern. Wenn rauskommt, wer sich bei mir alles hochgeschlafen hat! Mein lieber Mann! Weinstein hat in einen Blumentopf gewichst! Nichts gegen mich. Wo ich allein überall … aber schreiben Sie das nicht. Wegen der Frauen. Ich brauche ’ne saubere Weste.“

Er lächelt verschmitzt. Und dann sinken seine Mundwinkel nach unten.

„Ich war ein richtiges Arschloch. Kaputt. Fast vier Wochen war ich blind. Crack mit den Augen geraucht. Ich hab 130 Kilo gewogen! Und dann auf 50 runtergehungert. Ich hab meinen Hund getötet. Im Suff. Angezündet. Nicht extra, aber hatte Wunderkerzen in sein Fell eingeflochten. Sowas macht man. Im Suff. Der hat lichterloh gebrannt! Rannte zu den Vorhängen und das Ende vom Lied? Bude abgefackelt. War der Versicherung so nicht zu vermitteln. Nichts gezahlt. War aber auch latte, musste ohnehin dann in den Knast.“

Beschaffungskriminalität. Und dann hat er auch selbst gedealt.

„Von irgendwas musste ich ja leben! Sollte ich mich in die Fußgängerzone stellen und da rummoderieren?! Hab ich mal gemacht. Kam in die Klinik dann. Die haben mich nicht für voll genommen. Nackt moderieren in Fußgängerzonen?! Fand das Ordnungsamt nicht tragbar und so wurde ich auf ’ner Tragbaren weggetragen.“

Sagt es, schmunzelt wieder und schenkt nach.

„Die Flasche mache ich leer! So viel ist schon mal klar! Aber mir geht es gut. Ich komme wieder zurück auf den Bildschirm! Obwohl ich mit fast 40 im Grunde zu alt bin.“

Dass Seppo wirklich auf die 40 zugeht, will man ihm gar nicht glauben. Er zeigt uns Bilder. Fotos, entstanden während seinen Absturzes. Fotos, die einen alten Mann zeigen, einen gebrochenen, der bricht.

„Achten Sie auf meinen Schritt in der Hose: eingenässt! Ich bin teilweise wochenlang nicht mehr zur Toilette gegangen. Einfach laufen lassen. Ich sag Ihnen, ich war ganz unten.“

Und dann kam der Wendepunkt.

„Es war an einem Donnerstag im Oktjulgust, dem Schaltmonat. Ich stand nackt auf einer Balkonbrüstung des Obdachlosenwohnheims. Randvoll mit Stoff. Mit Stoffen aller Art. Ich wollte springen, verlor das Gleichgewicht und fiel nach hinten auf den Balkon. Direkt auf meine Katze. Ihr Tod hat mein Leben gerettet. Und da war mir klar, dass ich leicht abgerutscht war. Nicht nur von der Brüstung, sondern vom Lebensweg. Eigentlich wusste ich, dass ich etwas kann. Nämlich moderieren.“

Seppo nüchterte aus und stieß dann im Internet auf einen jungen Mann, der sich bei Instagram mit freiem Oberkörper anbiedert. Sofort habe dieser ihn motiviert, zumal er als „tackoseppo“ fast ein Namensvetter ist.

„Hab ihm ein T-Shirt geschickt. So als Gag. Und dann Kontakt bei Instagram mit ihm aufgenommen. Er hatte mir den Eindruck vermittelt, dass man mit Sport und Disziplin das Leben enorm aufwerten kann. Auch seinen Geist transformieren kann. Und so kamen wir ins Schreiben. Und nach und nach führte er mich in seine Trainingsprogramme ein.“

Und tatsächlich, Seppo erscheint an diesem sonnigen Tag keinen Tag älter als 30. Und erst jetzt sehen wir, dass Seppo gar nicht auf einem Stuhl sitzt.

„Das ist eine Übung, der wall-sit! Trainiert den core. Ich brauche keinen Stuhl mehr“, sagt er und lacht laut auf, „Verzeihen Sie, wenn das eingebildet klingt, aber ich sag Ihnen was: Wenn ich wie ein Irrer bis zu sechs Stunden pro Tag trainiere, dann habe ich jedes Recht, mir einen darauf einzubilden. Ganz so wie der Briefmarkensammler stolz auf seine Blaue Mauritius ist, bin ich stolz auf meine Ergebnisse. Die Nummer mache ich nur für mich.“

Das Gelächter seines Umfeldes lasse ihn kalt, erzählt er uns schulterrunzelnd.

„Das habe ich eingepreist, das war mir klar, dass das kommt. Es ist berührt mich aber nicht. Lachen auch nicht alle. Wirklich gute Freunde sehen es positiv. Der Rest wird aussortiert.“

Überhaupt, die Gelassenheit, die er uns gelassen demonstriert, scheint echt zu sein. Sie ist erfrischend. Dieser Mann hat sich vom Urteil anderer gelöst.

„Was soll ich mich damit belasten? Irgendwann stirbt man und stellt fest – kurz vorher vielleicht -, dass das alles eigentlich keine Rolle spielt. Dank der vielen Drogen ist mir das klar geworden. Und das lebe ich seit einiger Zeit voll aus. Glauben Sie mir, Sie werden glücklicher sein, wenn Sie das einmal begriffen habe. Wer mich belächelt, der findet für mich gar nicht mehr statt.“

Seppo ruht in sich. Und dann blickt er nach vorn.

Zusammen mit drei weiteren Moderatoren wird er ab kommendem Dienstag wieder eine Show moderieren. Nicht im Fernsehen dieses Mal, sondern bei Twitch.

„Moment, man hat mir das erklärt. Sie müssen da auf www.twitch.tv/unserhaus2 gehen und dann läuft das da. Oder mit der App halt. Bei Twitch. Jüngere Kollegen haben mir das mehrfach erklärt. Habe dann oft genickt, aber nichts verstanden. Mit 37 Jahren werden Sie heute schon nicht mehr unbedingt immer ernstgenommen. Dabei kannte ich Twitch vorher schon. Gehört zu Amazon, ist also eine riesen Nummer. Ist die Zukunft. Oder Gegenwart. Eigentlich ist es die Gegenwart. Und Zukunft. Ja, so können Sie mich zitieren. Gegenwart und Zukunft. Oder klingt das irgendwie scheiße? Schreiben Sie, wir wären Pioniere mit unserer Show, die es so noch nicht gibt bei Twitch. Vier Stunden live! Aus einem riesen Studio! Wir sind alle extrem motiviert. Das sage ich, damit Sie es auch schreiben. Es stimmt aber auch. Bisschen Neuland für mich, was aber natürlich ein Vorteil ist. Ich bin auch Neuland für Twitch.“

Um gaming wird es gehen, „Haus2“ ohne Leerzeichen die Sendung heißen und sich als „Gamer-WG“ präsentieren. Wir werden stutzig, Seppo: ein Gamer?!

„Klar! Ich hab mal ‚Commander Keen‘ eins bis vier gespielt! Und shooter ohne Ende. Aber nur die simplen. Außerdem bekomme ich eine Fitness-Rubrik in der Show. Weil Gaming ja viel mit Fitness … ich weiß es nicht. Letztlich muss es nur unterhaltsam sein. Unterhaltung vor Inhalt, immer meine Devise gewesen. Ob’s Erfolg haben wird, ist schwer zu predicten.“

„Predicten“?! Anglizismen aus Seppos Mund waren bislang eine Seltenheit.

„Ja, also vieles um mich herum verstehe ich auch nicht. Es wird jedenfalls eine Menge predictet in dieser Branche. Ich nicke einfach nur und tue so, als wüsste ich, worum es geht. Die jungen Leute würden einen Deutsch-Vokabeltest nicht mehr bestehen. Vielleicht wird man mich in der Show Englisch untertiteln müssen. Aber das sind Feinheiten., kann man noch nicht predicten. Schade eigentlich, dass Deutsch so aus der Mode gefallen ist! Die Sprache der Künste und der Wissenschaft. Für viele wohl zu schwierig geworden. Artikulation wird unterschätzt. Dabei ist Artikulation die halbe Miete. Ich zumindest höre gerne Menschen zu, die wirklich reden können. Wie Dings, der Dings. Namen vergessen. Leider verstorben. Gibt es doch nicht! Ich muss ihn googeln.“

Überhaupt googele er oft, verrät er, nachdem er „Roger Willemsen!“ ausruft.

„Ich fahre an einem ‚Bauhaus‘ vorbei – Baumarkt, ich meine nicht den Bauhausstil! – und muss dann direkt nachgucken, wem Bauhaus gehört und wer eigentlich der größte Baumarkt Deutschlands ist. Ständig googele ich Dinge. Es nervt mich geradezu! Dafür könnte ich ihnen aber nun die Konzernstruktur von ‚Hellweg‘ erklären. Und ich kann ihnen sagen, dass die Bahn etwa 700 Millionen Euro Gewinn gemacht hat! Stehe am Bahngleis und frage mich, macht dieser Laden eigentlich Gewinn?! Ich bin übrigens Bahn-Fan. Schreiben Sie das, die zahlen dafür. Ich bin’s vor allem deshalb, weil ich das ewige Gezeter der Leute nicht mehr ertragen kann. Ewiges Gemeckere nervt mich, lenkt vom Wesentlichen ab, von den guten Dingen, die wir nicht mehr sehen. Und dann wählen diese Idioten … naja, Sie wissen ja.“

Seppo hebt das Weinglas an. Es zerbricht in seiner Hand.

„Sehen Sie?! Haha, ich bin einfach zu stark geworden.“

Während er die klaffende Schnittwunde routiniert versorgt, überlegen wir, ob er uns verarscht hat. Er sieht uns an und:

„Ja, hab ich. Standard-Gag von mir. Wie das Stolpern. Glas in der Hand zerdrücken. Ist nur blöd wegen des Bluts. Aber es sind diese einfachen Dinge, die Humor ausmachen. Stolpern! Stolpern geht und funktioniert immer! Ganz simples Handwerk. Sie müssen nichts Neues erfinden! Es ist alles schon da, man muss es nur aufgreifen!“

Verbiegen wolle er sich nicht. Dazu sei er zu alt. Die Konturen seiner Persönlichkeit seien bereits gefestigt.

„Wer sich verbiegt, um Erwartungen zu erfüllen, der hat schon verloren. Der Zuschauer registriert fehlende Authent-, nein, Authenzi-, nein, Authenti-, also Echtheit. Wenn Ihre echte Persönlichkeit beim Publikum nicht ankommt, dann gelingt es Ihnen auch nicht mit einer aufgesetzten. Dann ist das eben so, dann brauchen Sie einen anderen Job. Und wenn ich nicht ankomme, dann nehme ich das ohne Gram hin. Gram kommt von Instagram.“

Seppo spricht oft von Instagram an diesem Nachmittag. Das müsse man jetzt, weil das die Zukunft sei.

„Oder schreiben Sie ‚Gegenwart‘. Alles was jetzt Zukunft ist, wäre ja noch nicht da. Also Gegenwart.“

Plötzlich steht Seppo auf. Während wir noch denken, er sei nur zur Toilette, fährt er volltrunken nach Hause. So kennt man Seppo: Er ist immer der, der den Polnischen macht.


Ab kommender Woche ist Seppo wieder auf Sendung. Halten wir ihm beide Daumen für sein nunmehr zweites Comeback! Und schauen Sie auch bei tackoseppo vorbei, denn auch dort wird die neue Sendung eine Rolle spielen! So, jetzt will ich aber ’nen Kaffee. Dazu muss ich mich bis Wagen 25 vorarbeiten.