„Folgende Situation“, beginne ich meine Ansage heute Morgen an Kollegen Butzi, der uns zur Arbeit fährt. Mit „uns“ meine ich meinen Kollegen Simon und mich. Und irgendwie auch Butzi, der so gesehen auch sich selbst zur Arbeit fährt. Simon und ich sind im Grunde Mitnahmeeffekte.

„Folgende Situation“, also, „Wir fahren ja gleich an diesem See vorbei“, beschreibe ich die geografischen Begebenheiten, „Da ist doch dieser Parkplatz davor.“

„Ja, und?“, fragt Butzi sehr gebannt, da ihm wie auch Ihnen nicht entgeht, dass ich einen enormen Spannungsbogen aufbaue. Denn das würde sich ja wohl jeder in dieser Situation fragen: Was will ich auf dem Parkplatz des nahen Sees? Lauschen wir also weiter meinem Anliegen:

„Also, Butzi, das ist jetzt cain Scherz. Mir ist bewusst, dass wir gerade erst losgefahren sind, aber …“

Ich hinten im Auto sitzend sehe Butzis fragenden Blick im Innenspiegel des Dreitürer-Polos mit zwei Türen (Ich weigere mich, eine Kofferraumklappe als Tür anzuerkennen.). Ich merke, ich habe seine Aufmerksamkeit, die ich nun auch vollumfänglich benötige und zu beanspruchen beabsichtige.

„Also es verhält sich so, dass ich morgens bis zu drei Liter Wasser trinke. Plus Kaffee.“

„Warum?!“

„Sportbedingter Durst. Jedenfalls ist es ja nur zwangsläufig, dass … und das muss ja nicht unbedingt was mit meinem fortgeschrittenen Alter zu tun haben … dass ich also …“

Simon schaltet sich ein: „Komm zum Punkt.“

„Nun, jedenfalls …“

Simon: „Wir sind am See vorbei.“

Ich: „Verdammt. Wie ungünstig. Butzi, mein Plan erfährt nun eine Änderung.“

„Musst du schiffen?!“, fragt Butzi.

„Korrekt. Also, du erinnerst dich an den See, an dem wir offenbar bereits vorbeigefahren sind? Da ist ja dieser Parkplatz davor. Ich will keine Umstände machen, aber angesichts des doch manchmal recht zähen Verkehrs nach Berlin rein und angesichts meines Verlangens nach einer entspannten Fahrt ins Büro würde ich mich gerne vorab erleichtern. Auf jenem Parkplatz. Und mit Erleichtern meine ich Urinieren.“

Das sage ich dazu, da ich nicht weiß, ob Erleichtern sich möglicherweise ausschließlich auf das Defäkieren beschränkt.

„Also ich muss nicht kacken, will ich damit sagen. Ich muss nur unfassbar schiffen“, setze ich zum Endspurt an.

Butzi bremst und wendet auf der Landstraße.

„Bevor du bis Berlin rumquengelst …“

Wir nähern uns also wieder dem Parkplatz, um festzustellen, dass dieser an einem Samstag anders als in der Woche recht belebt ist.

„Guck Seppo, da haste Publikum“, so Butzi.

„Da will man ein Mal auf diesem sonst verlassenen Parkplatz anhalten, da muss man ein Mal schiffen und dann müssen da so viele Menschen sein!?“, klage ich unter Hochdruck oberhalb der Leiste.

Butzi bringt den Wagen zum Stehen, wozu er unter anderem die Bremse benutzt. Ich steige aus und denke mir, nach mir die Sintflut, in zwei Wochen werde ich Berlin so schnell nicht wiedersehen. Außerdem ist die Not so groß, dass ich auf die Belange der Öffentlichkeit sowie eventueller potenziller Erregung dieser keine Rücksicht nehmen kann. Und ich rufe, da kürzlich noch Loriots „Pappa ante portas“ gesehen:

„Mein Name ist Flotho, ich schiffe hier hin.“

Bin stolz und lasse mich von einem Baum verdecken, da es sehr kalt ist und ohne Sichtschutz ein falscher Eindruck entstehen könnte, würde mir jedermann frontal zusehen können.

Und so begebe ich mich in einen Tunnel (bildlich gesprochen) und ergehe mich im Wasserlassens samt der wohligen Entspannung. Und schließe die Augen. Welch ein befreiendes Gefühl!

Dass eine Windböe jäh unterbricht. Ich öffne meine Augen, sehe an mir herab und bin eingermaßen fassungslos. Aus dem Zweitürer mit drei Türen höre ich Gelächter.

„Sauber, Seppo!“

Eben nicht. Ich schließe meine Augen wieder und sage leise zu mir selbst: „Das war doch jetzt nicht nötig.“ Werde dann lauter und rufe: „Der scheiß Wind hat mir den Strahl umgelenkt! Jetzt stehe ich hier in angepisster Stimmung und Hose!“

Ich gehe zum Auto zurück, nachdem ich alles verpackt habe.

„So kommst du mir jetzt aber nichts ins Auto, Seppo!“, sagt energisch Butzi, während sich Simon seinem Lachanfall hingibt.

„Simon“, sage ich, „Ich habe vollstes Verständnis, ich würde auch darüber lachen, aber dieser Vorfall betrifft uns alle. Ich sag auch direkt, ihr dürft es jedem im Büro erzählen, ich werde vermutlich darüber schreiben. Aber vorher muss ich irgendwie … also, wie würdet ihr an meiner statt nun vorgehen?“

Bevor auch nur einer der beiden antworten kann, kommt ein Herr mit Schnäuzer auf mich zu.

„Hier sind Kinder! Da können Sie doch nicht einfach hier hinpinkeln!“, schnauzt der Schnäuzer mich an.

Einfach war es auch nicht, wie man sieht. Ich war in Not, es musste raus, was sollte ich tun?! Kinder verstehen das vermutlich am besten.“

„Ich rufe das Ordnungsamt!“

„Warum nicht gleich die Polizei?“

Er hat sein Handy bereits in der Hand und wählt.

Ich in Richtung Auto: „Die Lage spitzt sich zu. Reicht es nicht, dass ich mir an die Hose gepisst habe?! Jetzt kommen gleich auch noch Ordnungshüter dazu! Was hat denn jetzt Priorität? Hosenwechsel oder warten auf Ordnungshüter?!“

Der Mann hat offenbar tatsächlich und sogar eine Polizeidienststelle am Apparat. Allerdings muss er jedoch Überzeugungsarbeit leisten, damit sich ein Beamter zum Tatort bewegt:

„… Kinder … Triebtäter …“, höre ich.

„Triebtäter?! Ich habe heute Morgen drei Liter Wasser getrunken! Es mag auch das Alter sein! Und überhaupt hatte ich schon immer nicht die stärkste Blase. Kann ich mal mit dem Beamten sprechen?“

Und tatsächlich übergibt, während Simon auf dem Beifahrersitz schallend lachend kollabiert, der Mann mir sein Handy.

„Ach, ein Outdoor-Handy“, stelle ich fest, „Sind die gut? Will mir auch eines zulegen … Hallo? Flotho, mein Name. Ich gestehe alles. Bis auf die Triebtäter-Nummer! Ich trank heute Morgen drei Liter Wasser und habe die Kapazität meiner Blase überschätzt. Es war wie Mundraub, nur andere Richtung gewissermaßen. Es musste raus. Ich habe einen Baum als Sichtschutz gewählt, kein Kind kam zu Schaden und der Urin war aufgrund des hohen Wasseranteils, wie ich meine, geringkonzentriert. Wir haben extra auf der Landstraße gewendet, um diesen Parkplatz dazu zu benutzen!“

„Sie haben rechtswidrig auf einer Landstraße gewendet?!“, fragt nun sehr interessiert der Beamte.

„Was?! Nein, nein! Ich habe keinerlei Kind geschändet! Auf diesem Parkplatz. Mich lediglich erleichtert, wobei ich das kleine Geschäft meine.“

Der Beamte schmunzelt und sagt dann auch recht offen:

„Solange Sie auf diesem einschlägigen Parkplatz am See von Geschlechtsverkehr absehen, sehe ich keinen Grund, wegen so einer Lapalie einen Kollegen rauszuschicken. Teilen Sie sich künftig Ihr Blasenvolumen aber gerne besser ein!“

Sagt es und legt auf. Ich gebe das Handy zurück an seinen Besitzer, der fragt:

„Und?“

„Ich soll bei der nächsten Polizeidienststelle vorbeifahren und meinen Haftbefehl abholen. Aber vorher …“, ich richte meinen Blick wieder gen Butzi und Simon (letzterer bepisst sich weiter vor Lachen) und sage:

„Aber vorher, Butzi, folgender Plan: Wir müssen zurück ins Haus, ich muss mich umziehen. Wobei … irgendwie trocknet es recht schnell. Meint ihr, ich könnte die Hose einfach anlassen?“

Simon weint derweil vor Lachen, während Butzi mit seinen Desinfektionsspray aus dem Autofenster wedelt:

„Du kommst mir mit vollgepisster Hose nichts ins Auto! Geh zu Fuß zum Haus und wir erwarten dich dort!“

Und so geschieht es dann auch. Doch kaum sind wir wieder auf Höhe des Parkplatzes:

„Ihr werdet lachen, Freunde, aber …“

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