Tag neun im Dschungel auf der Insel. Brüche aus Wolken und Böen aus Sturm – nach der Hitze kommen nun die Unwetter, die Insel zeigt ihre wahre Fratze der zerstörischen Wut. Doch meine Mitbewohnerin und ich nehmen den Kampf gegen einige Vertreter der Elemente auf (denn Feuer war nicht dabei), ziehen gewappnet mit Motiviation, Willen und Funktionskleidung in die Schlacht gegen den peitschenden Hagel und den zerstörerischen Wind. Abermals zeigt sich, dass Laufen gegen alle Widrigkeiten die größte Befriedigung bringt und den zivilisierten Menschen den nicht zu bändigenden Naturgewalten ein wenig näherbringt. Denn es ist diese Natur zusammen mit dem menschengemachten Klimawandel, der diese Insel mit jeder Sturmflut sich ein Stückchen mehr einverleibt, bis Nordfriesen an unseren Grenzen stehen und von einer Frau, die noch wütender als jede Naturkatastrophe sein kann, mit einem Kugelhagel aus Feuersalven begrüßt wird, von Beatrix von Storch, der braunen NSDA-Milf.

Der Lohn eines solchen Kampfes, wie wir ihn heute bestritten, wird allerdings erst immer gegen Ende ausgezahlt, wie dieses von mir laufend angefertigte Video symbolisiert.

Wer bis zum Ende des Videos durchhält, bekommt zumindest eine Ahnung von der Befriedigung des Laufens.

Am Morgen haben wir im Bett unseren Kaffee hörend und „Fünf Freunde“ trinkend den heutigen Lauf geplant. Anders als die meisten Teilnehmer meiner Generation wurde ich nicht mit den „Drei ???“ groß. Ich war ein Kind der „Fünf Freunde“, die heutzutage inhaltlich stark kritisiert werden für das Weltbild, das sie vermeintlich transportieren. Unabhängig davon wuchs ich also auf mit fünf Freunden, die entweder gerade irgendwelche Schmuggler überführten oder sich auf seltsamen Felseninseln herumtrieben. Doch der eigentliche Bösewicht war für mich immer Onkel Quentin, mit dem nie gut Kirschen essen war. Seine Wut, seinen Jähzorn ließ er auch gestern Abend wieder an den fünf Freunden aus. Onkel Titus ist da wirklich ein utopischer Gegenentwurf zu. Und dass Justus Jonas irgendwie auch einer der fünf Freunde ist, verwirrt …

Da meine Mitbewohnerin und ich die Insel bereits komplett umwandert haben, war die Herausforderung, eine Strecke zu finden, auf der es noch Neues zu entdecken gibt. Wir wurden fündig.

Legt man mehrere Objekte übereinander, sind nicht alle vollständig zu sehen.

Ich „plane“ normalerweise meine Läufe nicht, doch in fremden Regionen kann das durchaus sinnvoll sein. In einem kleinen Heftchen mit dem Titel „Laufen auf der Insel“ wurden uns mehrere „Top-Laufstrecken“ anheimgestellt. Die meisten Top-Laufstrecken waren wir versehentlich schon gewandert, sodass ich überlegte, nach einem Heftchen „Top-Wanderstrecken“ zu suchen, damit wir entsprechend joggen können. Doch dann wurden wir fünfig: die neunte Top-Laufstrecke bot alles, was wir uns vorstellten: Dünen, Strand, Wald und Asphalt. Und das alles, während eine kleine Sturmflut über die Insel hereinbrach!

Einen kleinen Umweg erlaubten wir uns kurz nach unserem Start, als wir auf einem Campingplatz, auf den mich sonst keine elf Pferde bekämen, eine Hangelmöglichkeit fanden.

Und die stellte sich als schwerer heraus als zunächst angenommen, was den fixierten Griffen geschuldet ist, die deutlich mehr Kraftaufwand erfordern. Nach neun Tagen der Kraftsport-Zwangspause habe ich heute wieder Blut geleckt. Doch meine Kräfte sollten noch gebraucht werden – der Sturm ging erst los. Und dann war da noch der Campingplatz-Aufseher, der gar nicht auf die Idee kam, dass zumindest die Möglichkeit hätte bestehen können, dass wir zahlende Gäste waren. Was wir natürlich nicht waren.

„Entschuldigung! Sie da! Moin!“, rief uns ein bärtiger Mann zu.

„Und ich sach noch!“, sagte ich zu Meiner Mitbewohnerin, da ich noch sachte, dass wir da an sich nichts zu suchen hätten.

„Sie sind nicht befugt!“, rief er.

„Befugt zu was?“, fragte ich zurück.

„Hier zu hangeln.“

„Aber ich kann es doch!“

„Das hat ja damit nichts zu tun! Die Fähigkeit zu hangeln ist kein ausreichendes Kriterium, um hier auch hangeln zu dürfen!“

„Aber ein notwendiges!“, ich bauernschlau zurück. Und das beeindruckte den bärtigen Mann, der offensichtlich über mein Schachmatt nachdenken musste. Bis er sagte:

„Das beeindruckt mich überhaupt nicht. Sie sind hier nicht Gast, ich kenne hier jedes Gesicht! Wenn Sie bitte den Platz sofort verlassen würden!“

„Und was ist mit ihr?“, fragte ich auf meine Mitbewohnerin zeigend.

„Sie darf bleiben. Sie ist hier ja Gast! Sind Sie doch, oder?“

„Äh.“

„Ist sie nicht. Sie hängt mit mir drin in der Sache. Wenn ich erwischt werde, ziehe ich immer alle mit rein.“

Ich schmunzelte dabei in der Hoffnung, dass der bärtige Mann den Spaß der Lage versteht, da wir ja nun wirklich cainen Ärger machen wollten.

„Jaja!“, sagte der und deutete uns freundlich dieses Mal den Weg zum Ausgang.

Sollte der bärtige Mann auch bloggen, nennt er mich in seiner Sicht der Dinge vielleicht auch den „bärtigen Mann“. Es ist im Übrigen ja so: Bärtige unter sich verstehen sich per se schon einmal besser als ein Bärtiger mit einem Aal. So, ich muss voran machen in dieser Erzählung.

Der bärtige Mann vom Campingplatz. Und ich.

Inzwischen zog Regen auf und Regen bedeutet hier offenbar immer auch Hagel. Groß waren die Hagelkörner nicht, sondern eher klein, aber dafür mannigfach vorhanden, was wir insbesondere im Gesicht spürten, wenn wir durch die Dünen auf und ab liefen. Und das war dann auch der Moment, wo es wirklich geil wurde, wenn ich das in meiner Euphorie einmal ganz untypisch für mich ausdrücken darf. Man muss es erlebt haben: das Anrennen gegen den starken, nassen Wind bei gleichzeitigem unsteten Weg die Dünen hoch durch den nachgiebigen Sand. Da geht es nicht mehr um ein möglichst hohes Lauftempo, da geht es darum, überhaupt voranzukommen. Hören tat man nichts beziehungsweise viel: das Rauschen des Windes, wenn er machtvoll über die Insel fegte und an unsere Ohren krachte.

„Wir laufen bis zum Strand, okay?“, rief ich meiner Mitbewohnerin zu.

„…“

Ich konnte sie nicht verstehen.

„WAAAAS?!“, rief ich noch lauter.

„ICH HAB DICH NICHT VERSTANDEN!“

„ICH SAGTE: BIS ZUM STRAND!“

„DER WIND IST EINE EINZIGE WAND?!“

„NAHAIN! ALSO DOCH, AUCH, ABER WIR LAUFEN BIS ZUM STRAND!“

„IMMANUEL KANT?!“

„HERRGOTT! BIS ZUM STRAAAAAAAAND!“

„DEUTSCHLAAAAAAND?!“

„STRAAAAAAAAAAAAAAAAAAND!“

„FLASCHENPFAND?!“

„STRAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAND!“

„ICH HAB AUCH SAND IM SCHUH!“

„HERRMANDALI! EINFACH HINTER MIR HER!“

„LASS UNS DOCH HOCH BIS ZUM STRAND!“

Wir waren uns also einig und kamen zum Strand, von dem heute ein großer Teil Opfer der Flut war: Deutlich schmaler als sonst zeigte sich der weiße Sand, für dessen Qualität er im Übrigen weltweit bekannt ist.

Beeindruckend die Wellen. Für Tsunami-Überlebende natürlich Kinderkacke:

Von hier aus liefen wir einige wenige Kilometer Richtung Süden am Wasser entlang, wobei die Reichweite der Wellen unberechenbar war, was natürlich den Reiz ausmachte. Meine Mitbewohnerin holte sich einen nassen Fuß und mein entsprechendes Gelächter ab. Karma, denn später an der Straße trete ich in eine lächerliche Pfütze, die sich als randvoll gefülltes Schlagloch erwies.

Kurz hinter dem Ortseingangsschild gab auch unsere Funktionsklamotte auf. Wir waren durchnässt, sodass meine Mitbewohnerin sich am Ortseingangsschild Westerlands aufhängte, wovon es ein Foto gibt, das ich jedoch nicht zeigen werde, da währenddessen Dinge passiert sind, die im Konflikt mit dem Gesetz stehen könnten … Sie sagte nur:

„Bau ich gleich wieder dran …“

Der Leser darf spekulieren …

Nach so einem Lauf, an dessen Ende man durchgefroren ist, gibt es nichts Schöneres, als sich in der Strandhütte am Berg wieder aufzuwärmen und dabei den nächsten Lauf zu planen, den morigen, mit dem wir diesen Urlaub dann auch beenden werden. Was ich auf jeden Fall benötige, ist eine neue GPS-Uhr. Zu oft habe ich uns ins Nirgendwo navigiert …

Zugeschlagen: Die Garmin Forerunner X3000 mit GHV+ und UnifyTERRIFIX.

Zentriert möchte ich abschließend noch diesen Hinweis ausrichten: 870 weitere Geschichten finden Sie auf www.seppolog.com!