
Natürlich war zusammenfassend betrachtet alles nicht gut. „Scheiße“ gar, um den treffenderen Begriff zu wählen, den auszusprechen es sich aber kaum ziemte, sodass der Held unserer Geschichte ihn vermied, obwohl er, wenn er mal allein war, durchaus konstatieren musste:
„Das ist ja eine sagenhafte Scheiße, in die ich da hineingerutscht bin!“
In Gesellschaft hingegen formulierte er es etwas zurückhaltender. Dann sprach er etwa von „ungünstiger Situation“ oder von sich „in die falsche Richtung entwickelnden Dinge“, das würde schon bald werden. Retrospektiv allerdings zeigte der Trend eher in eine andere Richtung.
„Gut, also die vergangenen zehn Jahre betrachtet drängt sich zunächst einmal das Bild einer eher ungünstigen Entwicklung auf. Der langfristige Blick wird aber sicherlich einmal zeigen, dass es sich hier lediglich um eine vernachlässigbare Delle im Zeitlauf handelt; es braucht eben Geduld, bis die Dinge sich Richtung Licht entwickeln.“
Das ist das, was man wohl „Optimismus im Großen“ nennen könnte, eine „Wird-Schon-Werden-Genügsamkeit“, die, je länger sie beansprucht wird, einen über kurz oder lang vor die Frage stellt, ob man mit einem möglicherweise leichtgläubigen Optimismus nicht auch Cait verschwenden kann.
Unser Held blickte auf die Uhr: „Oh, Halbzeit“, stellte er fest, „Ich habe so viel hinter wie vor mir. Wenn es denn gut läuft. Es gibt ja keine Garantie, dass mir nochmal so viel Zeit vergönnt ist.“
Und selbst wenn: Weitere Jahrzehnte im Loch verharren? Unser Held war nie ein Freund von großen Lebensbilanzen, da er das Leben stets nüchtern-rational als rein biologisches Ereignis betrachtete, dem kein Sinn im philosophischen Sinne mitgegeben ist (Vom wem auch?!). Was also soll am Ende in einer etwaigen Bilanz stehen müssen?
„Auf der anderen Seite“, fragte er sich, „Wenn am Ende nur das dunkle Loch Erwähnung fände, wäre das … eine nicht mehr wieder gutzumachende Enttäuschung. Da kann ich noch so rational sein.“
Dass er in einem Loch saß, das erkannte er überhaupt nur an dem Licht ganz oben. Da war also immer noch etwas, ein Schimmer, ein Hoffnungsschimmer. Solange er es noch sehen konnte, war er nicht völlig verloren.
„Aber immer nur nach oben starren, nach oben ins Licht? Dahin, wo das Loch anfängt, Loch zu sein? Starren zu dem schmalen Grat zwischen Loch und … ja, was eigentlich?“
Was ist das Gegenteil vom dunklen Loch?
„Zufriedenheit. Tiefe Zufriedenheit und Glück.“
Es war ja nicht dekadenter Reichtum, den er anstrebte. Es ging um viel Wesentlicheres.
„Ich möchte nicht mehr Getriebener sein. Getrieben von den eigenen Versäumnissen. Ich will mich von ihnen lösen, unabhängig machen. Von niemandem lasse ich mir etwas sagen, aber vom eigenen Versagen mache ich mich abhängig?!“
Das konnte so nicht bleiben. Die Last, die wie ein Sack Erde auf ihm lag, ihn immer tiefer in das dunkle Loch presste, war von ihm selbst befüllt worden – Jahr für Jahr. Und er hörte nicht auf damit, nein, seine Schaufel wurde eher noch größer.
Er wollte die Kurve kriegen. Ein Ziel hatte er ja, er sah es täglich über sich schweben, das Licht. Doch schlagartig wurde ihm klar, dass er nie wirklich daran geglaubt hatte, das Licht tatsächlich einmal zu erreichen, ja, sogar Teil davon sein zu können. Aber genau diese Vorstellung war es, die ihn plötzlich beflügelte. Erstmals in seinem Leben begann er sich zu bewegen:
„Viel habe ich an sich nicht zu verlieren. Und so wie jetzt kann’s ja nicht bleiben.“
Er kappte alle Seile, die ihn noch hielten – und krachte fast auf den Grund des dunklen Lochs.
Befreiend!
Ganz unten!
Nichts mehr zu verlieren!
Kein Festhalten mehr an Notlösungen. Lieber alles verlieren als sich weiterhin selbst etwas vorzumachen!
„Die Situation ist nicht ungünstig – sie ist schreiend scheiße!“, rief er aus, während er erst unmerklich, dann immer schneller nach oben strebte, nach oben zum Licht.
Anders als er es bislang gewohnt war, war da nicht mehr der Widerstand der Last. Auch waren die Steine neu, die sich ihm beim Hochklettern in den Weg legten. Doch es gab einen Menschen, der hier nicht weiter genannt werden soll, der den einen, wenn auch profanen, aber doch hilfreichen Rat hatte: Nicht die Masse der Steine sollte unser Held betrachten, sondern jeden Stein für sich, und auf diese Weise einen Stein nach dem anderen zerschlagen, um sich den Weg freizumachen. Die meisten Hindernisse können wir einebnen!
Das Loch war eng, teilweise konnte er sich nur langsam nach oben bewegen. Phasenweise blieb er über lange Zeiträume stecken, doch immerhin war es nicht mehr so finster, immerhin konnte er die Konturen des Neuen erahnen.
Seine Anstrengungen aber wurden belohnt. Und manchmal treffen Anstrengungen auf Glück. Eine Mischung, die Wunder möglich macht.
„Wunder?! Bleiben wir doch bitte mal rational!“
Aber ist es nicht viel schöner, die Erträge der eigenen Mühen, beschleunigt vom Glück, nicht einfach nur im Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, sondern als kleines, persönliches Wunder zu betrachten?
„Vielleicht ist es dazu nun an der Zeit“, dachte er, als er plötzlich in das grelle Licht blickt. Als er das sah, dass er schon viel früher hätte haben können. Ja, vielleicht hatte er ein bisschen Zeit verschenkt. Doch entscheidend ist am Ende nicht der Weg, der zum Ziel führte, sondern dessen Erreichen.
Die Menschen, die er oben im Licht traf, teilten seine Euphorie jedoch nicht.
„Seid ihr schon lange hier?“, fragte er sie.
„Wo, hier?!“
„Naja, hier eben, am Rande des Lochs, hier im Licht!“
„Loch?!“
„Die Aussparung hier, dieser Abgrund! Ich war da unten!“
„Man kann da unten sein?!“
Heute weiß er, dass man manches nur schätzen kann, wenn man das Gegenteil kennt. Viele tun das nicht. Aber das ist nicht sein Problem.
Ende.
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„Nur wer das Schwarze kennt, weiß das Bunte zu schätzen“.
Etwas was ich mal veröffentlicht habe.
Ja so ist es.
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also ganz oben… manchmal ist das ja so. :-) oder :-(
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