Dieses Foto, eine Ikone schon wenige Wochen nach der Aufnahme durch den Fotojournalisten … nun ja … Sebastian Flotho, durch mich. Da fotografiere seit Jahren ohne Unterlass mich selbst – doch es ist dieses Flugzeug, das die Augen der Welt kennen: die abgeschossene Präsidentenmaschine von Ratzlav Radelsvyrer, dem „Schlächter vom Talkov“, jener Region im Osten des Kontinents, aus der der zerfallene Staat Rutzekostan noch vor wenigen Monaten die Welt mit seinen Atomraketen bedroht hatte.

Das Bild steht nicht nur symbolisch für das Grab dieses Staates, der vor Jahrzehnten in die Hände von Verbrechern fiel, er ist auch das Grab vom Präsidenten selbst. Denn so viel ist bekannt: Tatsächlich saß er in der Maschine und war auf der Flucht vor den Truppen des „Pariser Pakts“.

„Es sind deutsche Soldaten dabei, fürchtet Euch also nicht, denn die können gar nicht schießen!“, scherzte bis zuletzt Radelsvyrer. Er sollte, wie wir heute wissen, recht behalten, doch dafür schosse ein anderer – direkt ins Cockpit seiner Maschine. Ein Vorgang, der nun scharf kritisiert wird, aber dennoch geeignet war, den undurchsichtigen Bürgerkrieg im Lande zu beenden.

Stammleser des seppologs wissen um meine engen Beziehungen zu diesem Land, in dem ich als Raketenforscher tätig war, und zwar genau von dort ausgehend, wo jene kriegerische Auseinandersetzung ihren Anfang nahm: im Raketenforschungszentrum Krefeld in Deutschland.

Im „Staatsgefängnis für unfassbare Schönheiten, die leider auch Top-Spioninnen sind“ in der Münsteraner Gartenstraße treffe ich Noretzka. Sofern Sie, verehrter Leser, sich vier Jahre zurückerinnen können, werden Sie wissen, dass Noretzka, eine sagenhafte Schönheit, mich kraft dieser vor vier Jahren um den Finger gewickelt hatte, da ich dazu neige, schönen Frauen gegenüber in totale Unsouveranität zu verfallen, was ich mir inzwischen abgewöhnt habe. Noretzka wechselte kurz vor Ausbruch des Krieges die Seiten und war von nun an Kronzeugin des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag, vor dem ich ich diesen Tagen als Angeklagter stehe, was meinen Tagesrhythmus erheblich durcheinanderwirbelt. Vorgeworfen wird mir, Sie werden es der Presse längst entnommen haben, die Unterstützung eines terroristischen Regimes. Und man versprach mir, jedes Vergehen werde zur Anzeige gebracht, was – ich darf das mal so hart ausdrücken – eine riesige Scheiße ist, da mir rund 5.000 Jahre Knast blühen. Ich will meine Bedeutung in dieser Welt nicht überinterpretieren, doch letztlich mündet die Anklage in dem Vorwurf, ich habe die Raketentechnik überhaupt erst nach Rutzekostan gebracht. Jene Technologie, die an einem schönen Sommerabend Atomraketen gen Paris steuerte. Nur eine Falschberechnung der Windrichtung vereitelte die atomare Katastrophe: die Raketen landeten im Nordatlantik, verschonten so Paris und zerstörten lediglich eine unbedeutende Insel. Das wiederum machte weitere Brexit-Verhandlungen unnötig.

Nun, wie dem auch sei, es ist kompliziert, daher straffe ich den Vorgang, der sowieso den allermeisten bekannt sein dürfte. Um meinen Kopf aus der Schlinge der Justiz zu ziehen (die mit allen Vorwürfen mir gegenüber vollkommen ins Schwarze getroffen hat), wollte ich nun versuchen, die atemberaubend schöne Noretzka dazu zu bewegen, meine Rolle in diesem internationalen Konflikt in ihren Zeugenaussagen leicht abzuschwächen. Mein genialer Plan: sie mit meiner Schönheit um den Finger zu wickeln.

Im Hochsicherheitsbesuchertrakt des Münsteraner Gefängnisses trennte uns ein gläsener Panzer, die Weiterentwicklung gepanzerten Glases.

„Hallöle, Noretzka. Lange her, was?“, begann ich das Gespräch.

„Da kommt er also angekrochen. Jetzt, wo alles zuende ist und ihm das Wasser zum Halse steht. Aber: Gut siehst du aus, das muss ich dir lassen!“

Damit schien mein genialer Plan erste Früchte zu tragen: Sie erlag meinem guten Aussehen vom ersten Augenblick an! Wie gewohnt würde ich nur wenige Stunden benötigen, um eine weitere Frau mir gehörig zu machen.

„Würde ich auf Männer stehen“, fuhr sie fort, „dann wärst du sicher eine Sünde wert!“

Verdammt. Mein Plan war hinüber. Plan B musste es richten.

„Noretzka, wie lautet Plan B?“, fragte ich also, da ich selbst keinen hatte. Vielleicht hatte ich aber Glück und sie Plan B.

„Plan B? Seppo, ich brauche keinen Plan B! Dank meiner Kronzeugenrolle werde ich schon bald eine neue Identität haben und im Schatten des Zeugenschutzprogrammes verschwinden können. Du hingegen wirst enden wie die meisten Kriegsverbrecher! Du wirst dich in deiner Zelle erhängen.“

Das jedoch wollte ich vermeiden, zumal es ja nun nicht so war, dass ich den Krieg begonnen hatte. Ich meine, erinnern Sie sich noch? Wie ich Frauke Petry in diesem Zusammenhang einst besiegte? Heute spielt sie keine Rolle mehr. Gut, ich gebe zu, ihr folgten richtig harte Nazis, einige sprechen sogar regelmäßig im Bundestag, aber ich war stets auf der Seite der Guten! Letztlich war es Noretzka, die mich damals erpresste, was sie hier im seppolog alles nachlesen können.

Ich verließ das Gefängnis und stieg wieder in den schwarzen Lieferwagen, der mich zurück nach Den Haag bringen sollte. Ich war überrascht, als ich sah, wer mich da fuhr: Carla del Ponte, die schon in den frühen Zehnerjahren versucht hatte, Ratzlav Radelsvyrer anzuklagen, der sich zu dem Zeitpunkt allerdings noch nichts hatte zu schulden kommen lassen. Es ist aber ein weiteres Beispiel für ihre Weitsichtigkeit.

„Würden Sie ein gutes Wort für mich einlegen, Frau del Ponte?“

„Darum bin ich hier“, sagte sie mysteriös, „Ich weiß, dass Sie, Herr Flotho, das Flugzeug abgeschossen und damit den Krieg beendet haben. Sie waren es, der das rutzekostanische Volk von seinem tyrannischen Führer befreit hat. Herr Flotho, Sie sind von der Welt missverstanden und ich werde das ändern!“

„Carla!“, rief ich aus, „Carla, Sie sind Bombe!“

Carla sah mich verdutzt an – und lachte. Auch ich lachte. Wir lachten im Chor. Sie etwas höher, ich noch höher, da ich immer ein bisschen „wie ein Mädchen“ lache, was nicht schlimm ist … wenn es Mädchen tun.

„Ist gut jetzt“, stoppte Carla das Lachen.

Die Wochen vergingen. Sie, verehrter Leser, haben all das ja in der Presse verfolgen können. „Del Ponte riskiert Ruf für irren Raketenforscher!“, war nur eine der Schlagzeilen, die alles andere Weltgeschehen im Sommer dieses Jahres überschattet haben. Nichts hat die Menschen in Deutschland und der Welt in den Monaten ab März mehr beschäftigt als die Frage, wie es Carla del Ponte gelingen könnte, mich aus den Fängen des Strafgerichtshofes, den ich im Übrigen als große Errungenschaft betrachte, zu holen.

Epilog

Ich lasse den Raketenwerfer auf den Boden fallen. Meine Schulter verbrannt vom überhitzten Rohr, meine Schuhe zerfetzt von der ersten Fehlzündung. Ich sehe die Maschine des Präsidenten taumeln und von den Flammen zerfressen. Kurz bevor sie auf den Boden kracht, weiche ich einen Schritt zurück, um nicht in die Turbine zu geraten. Ich stehe nur da und warte drei Tage lang, bis die letzte Flamme erlischt. Nehme meine Canon Eos 90D , stecke ein Blitzlicht oben drauf, lege den Agfa-Film ein und schieße ein Foto. Das Foto, das die Welt verändern wird.


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