
Ich bin wahrlich cain Freund dieser trüben Jahreszeit. Auf meinem Instagram-Feed kam mir am Freitag der Beitrag einer früheren Praktikantin entgegen, der nasses, halbmatschiges Laub auf der hiesigen Promenade zeigt – und sie mittendrauf; untertitelt mit „Meine absolute Lieblingsjahreszeit!“. Selbstverständlich habe ich diesen Beitrag umgehend gemeldet, der Facebook-Konzern wird sich nun der Sache annehmen und das leichtgläubige Mädel aufsuchen und vermutlich – sofern ich die Facebook-AGB richtig verstanden habe – erschießen. Weil: Der Herbst ist mist, denn er wabert unentschlossen zwischen Sommer und Winter. Nicht warm, aber auch nicht kalt, dabei irgendwie feucht und sowieso: grau.
„Dann lieber trockene Kälte und Sonnenschein!“, teile ich meiner Mitbewohnerin an diesem Samstag mit, den wir mit dem Wechsel auf Winterreifen und bei meinen Eltern in Hiltrup verbringen. Die Arbeitsaufteilung ist dabei klar und ein Meilenstein der Frauenbewegung: Sie wechselt mit meinem Vater die Reifen, während ich auf dem Rechner meines Vaters „Teamviewer“ neu installiere und diverse Viren und Trojaner entferne.
„Ich habe auf keinen Anhang geklickt!“, hatte mein Vater mir noch versichert, „Dieser Virus war einfach aus dem Nichts heraus da.“
„Und dieser PDF-Anhang?“, fragte ich.
„Ja gut, also da habe ich draufgeklickt, da ich ihn für eine wichtig Botschaft hielt.“
Die Neuinstallation von Teamviewer, mittels dem ich von mir Zuhause aus auf meines Vaters Rechner zugreifen kann, war notwendig geworden, da es zu Beginn der vergangenen Woche einige Probleme auf dem elterlichen Rechner ferngesteuert zu lösen galt. Doch nichts wollte gelingen. Ich muss allerdings erwähnen, dass es mitnichten die Schuld meines Vaters oder gar dessen vermeintlichen Unvermögens angesichts der IT war, sondern diese bei einem Dritten lag. Wie dem auch sei … unten im Hof werden die Reifen gewechselt, oben in meinem alten Kinder-, jetzt „Computerzimmer“, die Teamviewer-Versionen. Es muss alles zügig ablaufen, denn: Meine Mitbewohnerin und ich wollen noch neue Weihnachtsdeko kaufen. Und hier schließt sich der Kreis zum Beginn. Weihnachten ist mein Rettungsanker in dieser miesen Jahreszeit. Um auf den Frühling zu warten, ist es mir noch zu früh. Weihnachten jedoch ist nahe. Sehr nahe.
„Wo feiern wir denn dieses Jahr Heiligabend?“, fragt meine Mutter beim Essen.
„BLASPHEMIEEEEEEEE!“, rufe ich empört, „Ich kann nicht anders, als diese Frage als reine Provokation zu verstehen, Mutter!“
Ich nenne meine Mutter tatsächlich „Mutter“. Zum einen, weil sie es hasst, zum anderen, weil es sich vor rund 25 Jahren einmal so ergeben hatte. Es hat mit einem Loriot-Film zu tun.
„Aber, Mutter!“
Weihnachten läuft, Stammleser wissen das, bei uns nach dem immer selben Drehbuch ab.
„Natürlich feiern wir wie die vergangenen 40 Jahre hier bei Euch. Ich verstehe Deine Frage nicht!“, erkläre ich ihr.
„Es ist ja schon einiges anders in diesem Jahr“, fährt sie fort.
„Ja, was denn?! Also bei mir ist alles wie immer. Ich treffe genau so viele Menschen wie noch vor März-„
„Stimmt“, unterbricht schmunzelnd meine Mitbewohnerin, bevor ich fortfahren kann:
„Und ich sage mal vorsichtig: Die Jüngsten seid ihr ja nicht mehr. Ich sehe also keinen Grund, am Weihnachtsdrehbuch jetzt irgendetwas umzuschreiben. Solche Traditionen, solche Rituale sind die einzige Konstante im Leben. Es ist die einzige Zeit im Jahr, in der man mal wirklich von anderen Menschen in Ruhe gelassen wird!“
„Jetzt kommt gleich das mit dem Tür Zunageln“, flüstert meine Mitbewohnerin meiner Mutter zu.
„Heiligabend wird schön die Haustür zugenagelt, da lassen wir niemanden rein, damit wir hier ganz besinnlich Weihnachten feiern können. Mit Weihnachtsbaum, mit Gabentisch und mit Geschenken. Nebenbei: Josef, was macht dein Taschenmesser?“
Zunächst: Ich nenne meinen Vater beim Vornamen. Auch das hat Gründe und hängt mit Ephraim Koshins bestem Freund Jossele zusammen. Historisch gewachsen, es steht da kein linkes Familienbild dahinter, in etwaige Formen lasse ich mich sicher nicht einpressen.
„Das Taschenmesser … ja … also das habe ich … immer bei mir“, stottert Josef, obwohl es kein Geheimnis ist, dass wir alle wissen, dass ich ihm jedes Jahr zu Weihnachten absolut unbrauchbare Dinge schenke, die ich wiederum ausgesprochen praktisch finde. Beispielsweise diesen Unkraut-Flammenwerfer, den er sich bei der ersten Benutzung allerdings versehentlich über den Fuß gezogen hatte. Die Verbrennungen zweiten Grades führten letztlich dazu, dass dieses Geschenk von nun an ein unbenutztes Dasein fristen sollte. Und das Taschenmesser? Es ist ein sehr großes, muss der Leser wissen, da ich ihm natürlich nicht mit so einem Billo-Teil kommen wollte, sondern es musste schon das Schweizer Offiziersmesser mit 64 Funktionen sein. Das ich übrigens auch besitze. Und ja, solange man niemanden töten will, braucht man es sooft nicht, obwohl ein Kollege von mir gelegentlich seinen Rollkoffer damit reparieren konnte.
Es könnte die Pest wüten, und auch sie wäre kein Grund für mich, Weihnachten anders zu verbringen als in den vergangenen vier Dekaden. Und ich sage an dieser Stelle, was ich nun im sechsten Jahr an dieser Stelle sage: Wie Norman Bates stopfe ich – wenn es so weit ist – meine Eltern aus, setze sie an den Weihnachtsbaum und feiere auch in meinem hohen Alter noch mit ihnen Heiligabend.
Als meine Mitbewohnerin und ich nun im Anschluss und mit Winterreifen zu „Engel & Schautermann“ fahren, dem Münsteraner Deko-Spezialisten für Weihnachten am „Drubbel“, kommen wir an der Lambertikirche vorbei – Sie sehen sie oben im Bild -, die eines der unzähligen Wahrzeichen dieser fantastischen Stadt ist und als „Gegenkirche“ zum Münsteraner Dom fast direkt neben diesem erbaut worden war. Sie ist satte zwei Meter höher als der Kölner Dom und markiert den Beginn des Prinzipalmarktes bzw. dessen nördlichen Abschluss – je nachdem, aus welcher Richtung man kommt. Wir kommen jedenfalls von Süden und erblicken erstmals in dieser Saison:
die Weihnachtstanne!
„Jetzt wird Weihnachten“, sage ich bedächtig zu meiner Mitbewohnerin. Noch fehlt die Beleuchtung im Baum, aber dies ist der Startschuss in die Besinnlichkeit. Kommende Woche ist der erste von in diesem Jahr vier Adventen, dann werden auch wie unsere Wohnung in eine Weihnachtshölle verwandeln. Dazu stellen wir in diesem Jahr unser Deko-Konzept um auf zurückhaltende Farben (weiß) und viel Kerzenschein. Kerzen sind inzwischen bei uns erlaubt, seit wir jeden Raum mit einem Feuerlöscher ausgestattet haben. Und so heißt es auch in diesem Jahr wieder:
Sicherheit überall zu jeder Zeit/ Im Namen der Besinnlichkeit. Der Protex 3000-Feuerlöscher.
Vergangenes Weihnachten gekauft, da ich es abstrus finde, dass Rauchmelder zwar vorgeschrieben sind, doch Feuerlöscher nicht. Wenn ich doch schon darauf hingewiesen werde, dass es brennt (oder die Mitbewohnerin rauchintensiv kocht), liegt es doch nahe, dass ich dann nicht tatenlos zusehe, wie die Wohnung zum Flammenmeer wird, sondern womöglich und dort, wo möglich, eingreifen kann!
Das in diesem Jahr keine Weihnachtsmärkte stattfinden, trifft mich einigermaßen hart, wenn auch weniger hart als die Standbetreiber, doch hatte ich mich schon auf den neuen, sechsten Markt in Münster gefreut, der eigentlich dieses Jahr seine Premiere gehabt hätte. Nun gehe ich nicht unbedingt gerne über Weihnachtsmärkte, aber gerne an ihnen entlang, zumal Münster zu Weihnachten im Grunde ein einziger Weihnachtsmarkt ist. Auch das Rudelsingen wird mir abgehen, wenngleich ich nie mitgesungen habe. Vor zwei Jahren sah das so aus:
Bei 0:23 bin ich übrigens zu sehen.
Immerhin, ganz unweihnachtlich wird es nicht bleiben, der Prinzipalmarkt wie auch der Rathausplatz werden Schauplatz eines Lichtspektakels: Kommendes Wochenende geht es bereits los, wenn Schneeflocken an die Fassaden projiziert werden.
Weihnachten lasse ich mir nicht nehmen.
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Stichwort: Schneeflocken an der Fassade. Die wollte ich doch auch! Schnell los, bevor sie ausverkauft sind!
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Jetzt muss ich dem Unkraut zwischen den Pflastersteinen wohl doch weiterhin mit spitzem Werkzeug zu Leibe rücken…
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Auf Dauer gesünder …
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Ja ist denn schon Weihnachten? Monatelang habe ich nix von Seppolog gehört und nun schickt mir mein System auf einmal fünf wöchentliche Zusammenfassungen. Dabei hatte ich den Typen schon (fast) vergessen. Was für eine Überraschung!
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2020 hat auch seine guten Seiten.
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Ja, ist denn schon wieder Weihnachten? Neben Besuch bei Elterns habe ich noch eine faszinierende Paarallele entdeckt. Auch mein altes „Kinderzimmer“ ist jetzt „Computerzimmer“ von Papa.
Gottlob brauchen wir kein Team-Viewer, da er außer E-Mail praktisch nix dran macht.
Aber immerhin hat er, anders als die Berliner Verwaltung, kein Windows XP mehr. :-) :-)
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Oh, ein Tippfehler. Kommentare nachträglich bearbeiten geht wohl nicht, daher künftig größte Vorsicht. Bevor mir noch was Gehässiges rausrutscht.
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Ich hätte es nicht bemerkt!
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Bei jenem Teamviewer-Problem ging es tatsächlcih um einen E-Mail-Anhang …
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