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Reichskanzler a.D. Heinrich Brüning dreht sich nervös in seinem Grab auf dem Münsteraner Zentralfriedhof herum. Noch nie war eine Nacht in den vergangenen 50 Jahren, in denen der Münsteraner Ehrenbürger hier ungestört seine Totenruhe genießen will, derart unruhig. Etwas stimmte nicht an der Himmelreichallee …

Heinrich Brünings Grabstätte auf dem Münsteraner Zentralfriedhof
Wenige Kilometer entfernt sucht Ordophob Ohßem sein Mobiltelefon. Auch seine Nacht ist unruhig. Bis in den späten Abend hinein war er mit seiner Buchhaltung beschäftigt, die im Wesentlichen aus Ausgaben besteht. Sein Blumengeschäft am Zentralfriedhof, das mehr als bloße Tarnung ist, wirft nichts mehr ab, seitdem ein Virus die meisten Zimmerpflanzen der Erde befallen hat. Und auch sein eigentliches Standbein, die Detektei in der kürzesten Gasse der Welt, der Wankelgasse im Kuhviertel, bringt ihm wenig ein, seit auch die letzten Schurken nach der Sanierung des Bahnhofviertels Münster verlassen haben.

Kuhviertel Münster mit Überwasserkirche im Hintergrund
Schuld ist allein der Oberbürgermeister mit seiner „digitalen Liste der Zerstörung“, wie er sie selbst schon im Wahlkampf nannte. Die Westfälischen Nachrichten schrieben unlängst in einem Porträt über eben diesen:
„Größte Gefahr für den Münsteraner Gebäudebestand dürfte wohl OB-Kandidat Vlothow sein, dessen ‚First Lady‘, wie sie sich selbst schon vor der Wahl nennt, ihn auf die Idee jener ‚digitalen Liste der Zerstörung‘ brachte. Freimütig und schamlos erzählt Vlothow von den sonntäglichen Spaziergängen mit seiner Frau, bei denen sie abrissreife Immobilien im Stadtgebiet suchen. Welche abrissreif sind, entscheide dabei stets seine Frau, die ihn dann bitte, diese in seiner Notiz-App zu notieren, damit er sie nach der Machtübernahme abreiße und durch einen schicken Neubau ersetze. Man weiß nicht, wer künftig gute Chancen auf das OB-Amt hat: Vlothow selbst oder doch seine machthungrige Frau. Wählerinnen und Wähler sind jedenfalls gewarnt: vor dem ‚Trump von Münster‘.“
WN, 15. August 2019
Nicht weit vom Schlossgarten wohnt Viktor Vlothow in der Oberbürgermeisterresidenz, die er sich zu seinem Wahlsieg selbst schenkte. Die Finanzierung leistete die „Sondersteuer für Bedürftige“, die für das Jahr 2019 rückwirkend erhoben wurde. Auch für den OB ist dies eine unruhige Nacht.
„Die Sondersteuer fliegt mir um die Ohren. Die Westfälischen Nachrichten sind mir auf der Spur. Was glaubt denn der Münsteraner?! Dass ich als Oberbürgermeister in einer Mietwohnung bleibe?! Wenn ich Staatsgäste empfange oder du deine Freundinnen, dann braucht es doch repräsentative Räumlichkeiten! Montag kommt der Papst vorbei, soll der auf unserer Couch pennen?! Natürlich nicht! Übrigens, ich muss die Marienkirche von der digitalen Liste der Zerstörung nehmen. War eine Bedingung von Franziskus. Achso, am Dienstag bin ich bei den Stadtwerken zu einem Empfang. Die haben da seit einigen Monaten einen unfassbar fähigen Mitarbeiter in der Unternehmenskommunikation sitzen, den wollte ich mir mal ansehen …“
Es ist kurz nach Mitternacht, als Heinrich Brüning unter seinem Grabstein liegend Schritte hört. Ungewöhnlich um diese Zeit …
Wenige Minuten später vernimmt auch Buchantiquar Salomon Solder Schritte vor seinem Antiquariat gegenüber der Überwasserkirche. Es sind die Schritte derselben Gestalt, die eben noch Reichskanzler Brüning vernahm.

Mal Wilsberg, mal Solder ...
Nicht ungewöhnlich um diese Zeit, denkt Salomon Solder, doch wird er jäh zum Umdenken gezwungen, als ein Mann an seine Tür klopft.
Ungewöhnlich um diese Zeit, denkt Solder. Er entscheidet, nicht zu Tür zu gehen. Was er zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: Diese Entscheidung hat sein Leben gerettet. Der Mann vor seiner Türe trifft ebenfalls im Dunkel der Nacht eine folgenlose Entscheidung:
„Dann töte ich ihn eben nicht.“
Kriminalität in Münster: chancenlos.
Salomon Solder beobachtet hinter dem Regal mit den antiken Ausgaben Vlothows Biografie stehend, wie der Mann, für ihn nur als Schatten erkennbar, sich zum Sichtfenter der Tür vorbeugt und dieses mittels Atemluft befeuchtet, um dann mit dem Finger eine Botschaft zu hinterlassen.
Solder wartet einige Minuten, bis der geheimnisvolle Fremde sich entfernt hat, schleicht zur Tür und betrachtet die hinterlassene Botschaft, den Finger. Er ist ratlos. Geht zum Bücherregal und holt das Buch „Gaunerzinken für Anfänger“ hervor. Vielleicht steht dort, was ein hinterlassener Finger dem Adressaten deuten soll. Beim Öffnen des Einbandes fällt ihm eine Visitenkarte entgegen. Laut liest er vor:
„‚Die drei Detektive. Wir übernehmen jeden Fall. Erster Detektiv: Justus Jonas. Zweiter Detektiv‘ … Vermutlich ein Lesezeichen oder so … Moment, da ist eine zweite Karte … ‚Detektiv Doppel-Null. Ordophob Ohßem, Wankelgasse‘ …“
„Doppel-O!“, ruft pötzlich eine laute Stimme, „Buchstabe O! Nicht die Zahl 0!“
„Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?“, stellt Salomon Solder den Eindringling zur Rede.
„Ich bin Ordophib Ohßem, Privatdetektiv. Sie haben mich gerufen?“
„Eigentlich nicht. Ich habe hier lediglich Ihre Visitenkarte gefunden.“
„Und als nächstes hätten Sie mich gerufen, habe ich Recht?“
„Ja. Tatsächlich. Aber woher konnten sie das wissen?!“
„Nun, ich bin Detektiv.“
„Sind Sie nicht der Blumenhänder vom Friedhof?“
„Sie meinen den Friedhof an der Himmelreichallee? Am Aasee? Nahe dem Mühlenhof?“
„Das ist aber viel Lokalkolorit auf einmal!“
„Was haben Sie dort in der Hand?“
„Einen abgetrennten Finger.“
„Lassen Sie mal sehen.“
„Aua! Das ist meiner! Nehmen Sie doch den abgetrennten!“
„Pardon … ein abgetrennter Finger also …“
„Es klopfte eben ein Mann an die Tür … ich öffnete der Unzeit wegen nicht. Er ging fort und hinterließ diesen Finger.“
„Geheimnisvoll. Doch die Botschaft ist klar.“
„Ist sie das?“
„Ein klassischer Gaunerzinken. Der hinterlassene Finger des Ganoven sagt: ‚Fast hätte ich Sie getötet!'“
„Großer Gott! Ich bin dem Tod von der Schippe gesprungen!“
„Typisch Münster. … Ich muss das jetzt fragen: Wo waren Sie zum Zeitpunkt des Tathergangs?“
„Ich war hier.“
„Ein ganz mieses Alibi, Herr Solder! Ganz mies!“
„Aber ich bin das Opfer!“
„Sicher? Wenn Sie das Opfer sind, warum fehlt Ihnen dann der Zeigefinger?!“
„Mein Zeigefinger? Oh, beide da. Er klemmt nur zwischen diesen Buchseiten, aus denen die Visitenkarten fielen.“
„Verstehe. Da haben Sie aber Glück gehabt. Aber umso mehr gilt es nun, den Beinahe-Mörder von Münster zu finden!“
Ordophob Ohßem tritt vor die Tür, bückt sich und inspiziert den Münsteraner Pflasterstein, der nicht nur die Frauenstraße zu einer Ruckelpiste für Radfahrer macht.
„Erde“, sagt er nachdenklich, „Der Beinahe-Täter hat Erde hinterlassen.“
„Sie meinen, er kommt aus dem Wald?“
„Nein“, sagt Ohßem und kostet eine Fingerspitze der Hinterlassenschaft, „Das ist Friedhofserde. Ich nutze sie in meinem Blumengeschäft. Der Täter war vor Kurzem noch auf dem Friedhof. Herr Solder, gehen Sie zu Bett, verschließen Sie alle Türen. Ich weiß, in Münster verschließt man keine Türen, doch in dieser Nacht wird es nötig sein. Ein Beinahe-Mörder geht um! Doch ich bin ihm beinahe auf den Fersen!“
„Gott segne Sie, Herr Ohßem. Und unseren Bürgermeister.“
„Was hat der denn damit zu tun?“
„Er hat mein Ladenlokal von der digitalen Liste der Zerstörung gestrichen.“
„Sie glücklicher. Ich habe Freunde in Berg Fidel. Die werden nun umgesiedelt, da er ganz Berg Fidel auf seine digitale Liste der Zerstörung gesetzt hat.“
„Da stehe ich hinter. Berg Fidel ist das Verbrechen eines Düsseldorfer Architekten … Schlafen Sie gut, Herr Ohßem.“
„Eine Spürnase wie ich schläft nie, Herr Solder.“
Es ist kurz vor fünf. Ordophob Ohßem schlendert über die Promenade. Noch ist er der einzige, der unterwegs ist, nur ein einsamer Jogger kreuzt seinen Weg. An dessen Schrittlaut erkennt er das Laufschuhmodell.
„Adidas Ultraboost 19, hab ich Recht?“, ruft Ohßem.
„Absolut!“, ruft der Jogger zurück, „Absolut, Herr Ohßem!“
„Ja, die Stadt kennt mich“, sagt Ohßem zu sich selbst, „Doch sie hält mich für den freundlichen Blumenverkäufer vom Zentralfriedhof …“

Die Promenade bei Nacht.
Dass auf diesem Zentralfriedhof in diesem Moment eine dunkle Gestalt mit neun Fingern zurück in ihr Grab verschwindet, ahnt Ohßem jedoch nicht.
Was für eine hochspannende Geschichte! Die Fortsetzung gibt es schon bald im gut sortierten Buchhandel! Beachten Sie auch diesen Text, der sich mit dem Phänomen „Münster-Krimi“ befasst.
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Als der neugierige Mensch, der ich bin, stelle ich nach kurzer Recherche fest, dass sich Brüning in seinem derzeitigen Domizil unter anderem in der Gesellschaft von Reiner Klimke, Jürgen Möllemann und Mucki Banach befindet!? Das reicht für eine recht illustre Doppelkopfrunde …
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Wir sind ja erst bei Folge 1 … :) Und warte ab, irgendwann mische ich die Runde auf!
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Na denn, man darf gespannt sein. :-)
Im Übrigen hätte ich an Ordophobs Stelle eher eine Art Fundbüro oder aber ein Pfandleihhaus eröffnet – früher oder später hätte jemand dort mit Sicherheit ein Mobiltelefon abgegeben …
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Da der Blumenladen schlecht läuft …
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Auch wieder wahr …
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Kleiner Tippfehler: „Salomon Solder beobachtet hinter dem Regal mit den antiken Ausgaben Vlothows Biografie stehend, wie der Mann, für ihn nur als Schatten erkennbar, sich zum Sichtfenter der Tür vorbeugt und dieses mittels Atemluft befeuchtet, um dann mit dem Finger eine Botschaft zu hinterlassen.“ … Sichtfen_s_ter … sprang mir ins Gesicht … und verletzte mein Auge …aber ist nicht schlimm. Ich habe Klebstoff aufgeklebt ;-)
vg Francis
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Einer meiner Handlanger wird das korrigieren. Danke für den Hinweis.
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Ah, so, Solder… kann mich an den Namen nicht erinnern, hat der gewechselt, in den vielen gefühlten hundert Jahren? Was ja komisch wäre für ein Antiquariat, denn dort gibt’s ja nur altes von früher und so… während ein Wechsel eine Erneuerung wäre… Gegenüber ging ich zur Schule. Schlimme Zeiten waren das… äh, ja ich weiß, man sagt: ’schöne Zeiten waren das…‘. Ich kann das leider nicht bestätigen. Dies kommt mir übrigens bekannt vor, es kann sein, das ein anderer schon ähnliches schrieb/zeigte wie Du, und ich ähnlich kommentierte… im Leben ist eh alles nur ein Muster das sich ständig wiederholt. Zum Glück trifft das auf die Schule nicht zu, jedenfalls nicht bei mir. Auch nicht auf Tatorts, Krimis, Wilsbergs… (wobei, mir fällt es manchmal schwer die Stories auseinanderzuhalten. Ist aber auch nicht unbedingt so gedacht, denk ich mir, oder?) (ich hoffe übrigens, dass das Düsseldorf-Bashing sich nicht allzuoft hier wiederholt, müsste ich doch dann beleidigt sein, aus gegebenen Anlass. ) :-O
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Er ist seit 1995 dort an der Frauenstraße. Zum Düsseldorf-Bahsing: Es geht gerade erst los!
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okay, da war ich auch schon fast weg… wie das so ist, als junger Mensch… immer auf Achse und natürlich mit dem Wunsch im Herzen, der Alten Stadt an der Aa den Rücken zu kehren, wie das so ist, als junger Mensch. In die Gegend hab ich mich kaum noch verirrt, zuviele böse Erinnerungen, vor allem an die Mädchenschule gegenüber. Aber an den Namen davor kann ich mich auch nicht erinnern. Hieß der zufälligerweise Wilsberg? Oder vielleicht sogar Börne? Ach egal. .. Bin gespannt auf’s Bashing von Ddorf. (Abkürzung die nur Ddorferinnen kennen.) Meine Wut auf MS ist leider mittlerweile verraucht, werde also nicht zurückbashen können!
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