06.30 Uhr

Ich bin viel zu früh wach – auf der einen Seite. Auf der anderen Seite ist halb sieben bei mir aber auch Ausschlafen, da ich „unter der Woche“ um vier aufstehe. Nicht so meine Mitbewohnerin, die unter einem Berg von Decken neben mir liegt und selig schläft. Und ich befürchte, sie möchte in diesem Moment auch gar nichts anderes tun. Also wecke ich sie besser nicht. Aber ich hüstele etwas, was ja kein aktives Wecken ist. Selbst schuld, wenn ihr Schlaf so leicht ist, dass sie von meinem wirklich zarten Hüsteln aufwachen sollte. Tut sie aber nicht. Ich hüstele nun nicht mehr, ich huste. Das kann sie mir ja wohl kaum verbieten, und wenn sie davon wach werden sollte, täte es mir sehr leid, aber Husten ist nun einmal ein Reflex, den man niemandem vorwerfen kann.

Sie wird aber nicht wach. Ich bewege also nun meinen Körper im Takt mit meinem Husten und setze somit das Bett in Wallungen. Das kann bei starkem Husten schon mal vorkommen und man darf Husten auf keinen Fall unterdrücken, weil man sich sonst irgendwie einen Leistenbruch holt. Das kann sie ja nicht wollen. Aber sie wird nicht wach von dem Gewackele.

Ich greife zu dem Massageöl, das auf meinem Nachtschränkchen steht und halte es unter meine Nase. Es ist ein sehr „scharfes“ Öl, das nun meine Nasenschleimhaut berührt, sodass ich sehr heftig niesen muss. Dabei wackele ich und ziehe ihr ruckartig die Bettdecke weg.

„Was ist denn los?!“, fragt sie. Endlich ist sie wach.

„Oh, entschuldige, ich musste urplötzlich heftig niesen. Bist du davon wach geworden?“

„Wo ist meine Decke?!“

„Du hast sie wohl im Schlaf weggeschoben, keine Ahnung, frag mich nicht.“

„Wie viel Uhr ist es? Vor neun stehe ich nicht auf heute!“

„Kurz vor.“

„Kurz vor was?“

„Fast neun.“

„Was heißt fast?“

„Zwanzig vor sieben.“

„Gute Nacht. Geh Doom spielen oder so. Lies was.“

„Ich habe diese Woche keine Zeitungen bekommen. Sie beliefern uns nicht mehr. Vielleicht wegen der Baustelle.“

„Dann schreib was. Schreib irgendwas.“

„Aber was?!“

„Schreib doch, wie du mich an Wochenendmorgen immer terrorisierst.“

„Ich habe Schnupfen! Wie kannst du jemanden, der krank ist, zum Terroristen abstempeln?!“

„Terroristen sind doch krank, oder etwa nicht?!“

„Jeder Terrorist ist krank, aber nicht jeder Kranke ist terror- … terror- …“

„Terroristisch.“

„Richtig.“

„Ich schlafe jetzt weiter. Guck doch ‚Binge reloaded‘, kommt doch heute raus.“

Das finde ich eine gute Idee.

07.00 Uhr

Ich stehe in der Küche, die Kaffeemaschine läuft schnurrend vor sich hin, die Chicken-Nuggets brutzeln glücklich im Erdnussöl in der Pfanne und auf dem Handy läuft Folge eins von „Binge reloaded“, das ich nun auf dem Fernseher fortsetze. Nach wenigen Minuten ist mir klar, dass diese Sendung leider nicht ans Original herankommt.

07.40 Uhr

Binge Reloaded habe ich abgebrochen und zum Flop erklärt, was ich sehr bedaure. Mir ist wieder langweilig. Ich erhebe mich vom Sofa, schleiche zur Schlafzimmertür, öffne diese und horche.

Sie scheint wirklich wieder zu schlafen. Aber wie kann ich mir sicher sein?

„Hallo?“

„Waaaaaas?!“

„Schläfst du noch?“

„JA! BIS NEUN!“

„Okay. Ich warte so lange.“

Ich gehe zurück ins Wohnzimmer. In einem Instagram-Live-Video sehe ich jemandem zu, wie er im Regen über den Münsteraner Markt am Domplatz läuft. Was für ein armer Trottel, denke ich.

„Läuft beim Regen über den Markt. Um diese Zeit. Manchen Menschen geht es wirklich noch schlechter als mir.“

Ich esse meinen letzten Chicken-Nugget, was mich sehr traurig macht. Erst waren es so viele, dass ich glücklicher kaum sein konnte, doch nun habe ich nur noch diesen einen. Als ich zu essen begann, war ich der festen Überzeugung, dass es so viele Nuggets sind, dass ich am Ende nicht traurig sein müsste darüber, dass sie alle sein würden. Ich hatte mich geirrt, der Schock sitzt sogar sehr tief. Rückblickend waren es die besten Chicken-Nuggets meines Lebens. Ich hätte sie mehr genießen sollen. Nun wünschte ich, ich wäre der arme Teufel vom Markt. Dann könnte ich direkt neue kaufen.

08.00 Uhr

Ich kann nicht einmal Sport machen, da mein Trainingsplan für heute einen Regenerationstag vorsieht. Ich beschließe, noch mal nach meiner Mitbewohnerin zu sehen, denn es ist ja bald neun. Ich will gerade die Klinke der Schlafzimmertür drücken, da höre ich aus dem Zimmer nur ein:

„Untersteh dich“.

Ich beschließe, ihrem Rat zu folgen, mich zu unterstehen und gehe zurück ins Wohnzimmer. Es ist Wochenende. Ich muss es sinnvoll nutzen. Die Zeit rennt. Gleich ist schon wieder Sonntagabend. Ich plane also den Tag.

Wir kaufen heute den Weihnachtsbaum. Wir kaufen ihn immer bei „Blumen Risse“ am Willy-Brandt-Weg, da die eine perverse Auswahl haben. Vor zwei Jahren dauerte der Baumkauf eine Minute. Vergangenes Jahr mehrere Stunden. Wir standen im kalten Regen und musterten einen Baum nach dem anderen. Ich hatte schweren Husten, der sogar in ein Würgen überging. Ich war viel zu krank zum Baumkauf, aber wir fanden einen ganz netten. Und heute regnet es wieder. Aber ich habe keinen Husten.

Meine Mitbewohnerin übernimmt immer mehr hoheitliche Aufgaben in unserem Haushalt. Sie ist es auch, die die Lichterkette um unseren Baum legen wird, weil ich es nicht kann. Ich sage ganz unverblümt: Ich bin zu doof dazu. Ich finde die Erkenntnis ja selbst erschütternd, aber mein Hirn scheitert an der Aufgabe, die Kette so zu hängen, dass das eine Ende am Ende wieder am anderen Ende ankommt, wo sich beide Ende zu einem Stecker vereinen. Ich habe meine Fähigkeiten woanders, weiß aber noch nicht wo. Vielleicht beim Saugen, denn nach dem Aufstellen des Baumes wird das Saugen von Wohnzimmer und Hausflur notwendig sein. Oh Gott, da grault es mir jetzt schon vor. Zumal ich weiß, dass mich der Baum in rund vier Wochen zu Tode nerven wird. So ein Baum ist ja doch sehr präsent. Eigentlich völlig abstrus, sich einen Baum ins Wohnzimmer zu stellen. Ohne Wurzeln. Ein noch größeres Dekoteil ist unseren Ahnen nicht eingefallen!? Vielleicht ein ausgestopfter Elefant? Dann würden wir alle jedes Jahr nicht zu Blumen Risse fahren, sondern in die Zoos und Elefanten kaufen. Klingt albern, aber es wäre dann ja normal.

08.30

Ich beschließe zu schreiben. Ich setze mich an meinen Rechner, der die ganze Nacht über eingeschaltet war. Auf die Weise war ich die ganze Nacht über auf Whatsapp und Instagram online. Was sollen bloß die Leute denken?! Mein Rechner allerdings führt ein Eigenleben. Er entscheidet, wann er hoch- und runterfährt. Ich habe schon alles probiert. Es sind keine „geplanten Updates“. Es sind auch nicht die Peripheriegeräte, die den Rechner aus dem Ruhezustand wecken, denn auch die Option habe ich bereits deaktiviert. Es ist ein komplett neuer Rechner und das seltsame ist, mein alter hat dasselbe getan. Wenn ich gleich auf „Herunterfahren“ klicke, wird er zwar herunterfahren, aber wenige Minuten, manchmal auch Stunden später wieder hochfahren. Ich akzeptiere das. Ich nehme ihn, wie er ist. Ich mag ihn ja im Grunde.

08.58 Uhr

Wir sind nun im Jetzt. Es ist in diesem Moment kurz vor Neun. Ich beende das Schreiben und werde nun meine Mitbewohnerin wecken. Ganz aktiv und legal. Sie wird stolz auf mich sein, dass ich bis neun Uhr gewartet habe.


Ich wünsche ein schönes Adventswochenende.

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