
„Blaues Bändel, Nordmanntanne – danach Ausschau halten, das brauchen wir“, informiere ich meine Mitbewohnerin über die genauen Kaufmodalitäten. Wir sind bei „Blumen Risse“ im Friedenspark, wo der Dalai Lama 1998 einen Baum gepflanzt hat, an dem ich mich mal fast erleichtert hätte, bevor ich das Hinweisschild sah, das den Baum als „Friedenskastanie“ auswies.
Eine solche muss es bei uns zu Weihnachten nicht sein: Meiner Mitbewohnerin und mir genügt für unser Wohnzimmer eine Nordmanntanne von rund 180 Zentimetern Größe. Wer sie mal gepflanzt hat, ist uns eigentlich egal, Hauptsache, der Preis steht fest und ich komme nicht in die Verlegenheit, feilschen zu müssen, da ich für so einen Vorgang zu weich bin und dazu neige, dem Verkäufer mehr zu geben, als er jemals gefordert hätte, da mir Weihnachtsbaumverkäufer leidtun. Denn von Januar bis November herrscht bei ihnen Flaute.
„Solltest du den Baum hochhandeln, feierst du Heiligabend eher alleine als mit mir!“, warnt mich meine Mitbewohnerin, die es an Besinnlichkeit noch etwas fehlen lässt.
„Dann rufe ich den Dalai Lama an, der schmückt mir den Baum. Überhaupt ist der wenigstens besinnlich – das ganze Jahr über! Er ist nicht nur die Reinkarnation des Dalai Lamas, er ist die der Besinnlichkeit!“
Im Eingangsbereich des Gartencenters steht eine Menschentraube.
„Was machen die denn alle hier?“, frage ich naiv, „Ein Krippenspiel?“
„Oh, da ist Frau Gernemann!“, sagt meine Mitbewohnerin, „Hallo Gastrude!“
Gastrude Gernemann ist unsere Nachbarin, die unter uns wohnt. Lustigerweise ist sie Grundschullehrerin an meiner alten Grundschule ist, wobei sich diese zwei Aspekte zeitlich aber nicht überschnitten hatten, denn sonst wäre Frau Gernemann eine sehr alte Frau, was sie aber nicht ist. Ich glaube, sie ist etwas älter als wir, aber genau kann ich es nicht einschätzen. Ich schwanke um einen niedrigen zweistelligen Bereich: Sie könnte 40, aber auch 60 bis 70 sein.
„Oh, hallo Ihr beiden!“
„Hallo, Frau Gernemann“, sieze ich mal wieder versehentlich.
„Du kannst mich duzen, Seppo. Seit zwei Jahren schon!“ lacht sie.
In der Tat gelingt mir das Duzen bei ihr nicht, was an ihrem tollen Namen „Gernemann“ liegt. Und irgendwie hält mein Unterbewusstsein sie für meine Grundschullehrerin. Zu allem Überfluss – und das ist nicht ausgedacht – hieß die wiederum damals „Zwernemann“. Und Frau Zwernemann ist tot – bei den Sternen, mann.
„Ja, sicher, pardon. Warum stehen wir hier?“, frage ich.
„Pro Person ein Wagen und es ist voll“, sagt sie leicht genervt.
„Pro Person? Uns reicht einer. Wir wollen nur einen Baum kaufen“, erkläre ich.
„Nicht schon wieder, Seppo. Es geht doch darum, auf die Weise die Anzahl der Leute im Laden zu kontrollieren“, erklärt mit wenig besinnlich meine Mitbewohnerin.
„Es mangelt dir heute an Besinnlichkeit. Ich sag’s nur … Wir sollten künftig unseren Wagen schon mitbringen“, schlage ich vor, doch die beiden Damen unterhalten sich nun über die neuen kurzen Haare meiner Mitbewohnerin, die aus meiner Perspektive gar nicht kurz sind, sondern eher mittellang. Aber bei Frauen fängt kurz schnell an. Also … nicht dass ich da irgendwo mit Kürze ein Problem hätte …
„Ich habe null komma vier Millimeter auf dem Kopf, erzähle ich auch nicht gleich jedem!“, versuche ich mich einzumischen, perle aber ab.
„Wollen Sie auch einen Baum kaufen?“, versuche ich es.
„Nein, ich brauche Friedhofskerzen“, sagt Frau Gernemann.
„Sind die nicht zu schwer? Für die Zweige? Wir haben ja eine LED-Lichterkette.“
„Ich brauche sie natürlich nicht für den Baum, sondern für das Grab meines Mannes.“
„Achso … ja … dunkle Jahreszeit und so …“
Nach rund einer Viertelstunde haben wir unsere Wagen und betreten das Handelsetablissement. Eine Verkäuferin mahnt mich zur Desinfektion der Hände. Ob es die eigenen Hände sein müssten oder ich mir welche aussuchen könnte, frage ich, was sie offenbar zu Tode langweilt, da sie mich gequält ansieht.
„Nicht, dass mir jemand diesen mühevoll ergatterten Wagen stiehlt, während ich meine Hände desinfiziere“, schiebe ich hinterher, woraufhin die Verkäuferin sagt:
„Sie können auch wieder gehen. Wir haben hier eine ziemlich kurze Zündschnur.“
Meine Mitbewohnerin schiebt betont schnell an mir vorbei und erklärt, mich nicht zu kennen.
„Sie kennt mich sehr wohl! Wir teilen sogar Baum und Bett“, erzähle ich der Verkäuferin, die zwar eine Weihnachtsmannmütze trägt, es an Besinnlichkeit aber ebenfalls schwer vermissen lässt.
Ich desinfiziere die Hände, sogar meine, und haste hinter meiner Mitbewohnerin her.
„Schon wieder ein Jahr rum! Das ist schon unser dritter Baumkauf, seit wir wieder hier in Münster sind. Dies ist ein historischer Augenblick!“
„Hmmm.“
„Als wäre es erst letzte Woche gewesen!“
„Hmmm.“
„Alles wie beim letzten Mal! Riesige Auswahl! Und wieder suchen wir zwischen den Bäumen mit dem blauen Band! Ein Meter 80 bis zwei Meter hoch. Wie hoch sind unsere Wände? Zwei 60? Oder Zwei 40? Dass ich mir das nie merken kann.“
Vor zwei Jahren fanden wir unseren Wunschbaum sofort. Vergangenes Jahr war es eine Tortur, denn Fluch der massiven Auswahl ist eben auch die Qual der Wahl. Für dieses Jahr hatte ich mir Bescheidenheit vorgenommen; Bescheidenheit und Genügsamkeit. Denn so sehr ich Weihnachten, Weihnachtsdeko und Weihnachtsbäume schätze, so sehr nervt mich der ganze Krempel unmittelbar nach Silvester. Für mich ist die ganze Nummer unabhängig vom Reintrudeln der Heiligen Drei Könige vom ersten Januar an vorbei, und zwar schlagartig. Einen vertrockneten und nadelnden Baum will ich dann nicht mehr um mich haben. Warum also groß suchen nach einer maximal schönen Tanne?!
Weil ich vor Weihnachten es für absolut unmöglich halte, dass mich das alles in nur vier Wochen schon wieder nerven könnte. Ich brauche die abolute Besinnlichkeit, diese einzige Zeit im Jahr des Entspannens, die einzige Zeit im Jahr, in der man einfach mal in Ruhe gelassen wird.
„Üppig muss er sein, der Baum. 2020 war unser Jahr, das darf sich gerne auch im Baum widerspiegeln“, erkläre ich betont feierlich und besinnlich, „Vorbild sollte die Tanne an der Lambertikirche sein!“
Die ist allerdings 2.000 Zentimeter hoch …
Wir finden prompt einen. Es ist der vierte, den wir uns ansehen und das blaue Band weist ihn als 180 bis 200 Zentimeter groß aus. 29 Euro 90. Münster-Preise. In Düsseldorf zahlten wir am Fürstenplatz in der Regel 60, wobei fünf der 60 auf Kosten meines Handelsungeschicks gingen.
An der Kasse treffen wir Frau Gernemann, die sich die Friedhofskerzen ansieht. Wie die kleinen Süßwaren im Supermarkt stehen die direkt an den Kassen.
„Wo sind denn die Fisherman’s?“, frage ich Frau Gernemann.
„Was?“
„Naja, wegen der Quengelware hier … an den Kassen … naja, egal. Haben Sie schon Kerzen gefunden?“
„Nein, viel Auswahl. Dauert noch.“
„Ihr Mann läuft ja nicht weg …“, tröste ich.
Meine Mitbewohnerin hingegen schon, sie zieht schnell an mir vorbei und zahlt.
„Bis später, Frau Gernemann!“, verabschiede ich mich.
Als meine Mitbewohnerin und ich den Baum ins Auto verfrachten, stelle ich erschüttert fest, dass die Baumspitze nicht an die Windschutzscheibe stößt – wie in den vergangenen Jahren. Das Auto ist dabei noch dasselbe und die Scheibe noch vorhanden.
„Er ist zu klein! Er passt ja klaglos in unser Auto! Wird das nun das traurigste Weihnachstfest aller Caiten?“, frage ich meine Mitbewohnerin, die für mich in solchen Momenten Anker ist.
„Ja, scheint kleiner zu sein. Endlich mal kein monumentaler Baum, der uns in der Bewegungsfreiheit einschränkt.“
In unserer ersten gemeinsamen Wohnung in Düsseldorf war der überdimensionierte Baum immer der Grund dafür, dass wir rund sechs Wochen nicht unser Wohnzimmer betreten konnten. Ich hatte die Prioritäten nach Meinung meiner Mitbewohnerin damals falsch gesetzt. Bei der Wohnungssuche vor zwei Jahren haben wir extra ein Baumzimmer mit eingeplant, das dann aber doch Arbeitszimmer geworden ist, was uns ganzjährig betrachtet sinnvoller erschien. Inzwischen ist das allerdings eher das Sportzimmer geworden …
Die letzten Hürden nehmen wir dann zuhause, wo wir feststellen, dass wir tatsächlich den schönsten Baum unseres gemeinsamen Lebens ausgesucht haben.
„Der ist nicht zu toppen. Zwar kleiner als sonst, aber er verkörpert alle gängigen Schönheitsideale. Ich wette, andere Bäume haben ihn zu Lebzeiten gehasst und ausgegrenzt, voller Neid. Grün vor Neid gewissermaßen. Schön üppig, wie Baummänner es sicher mögen. Ob dieser Baum überhaupt weiblich ist? Woran erkennt man es? Muss ich unten gucken?!“
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Früher war mehr Lametta…Aber ansonsten wirklich sehr stimmungsvoll!
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Ach der liebe Baumkauf, der steht mir auch noch bevor
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man ist froh, wenn man es hinter sich hat :)
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sorry, aber bei Frau Gernemann muss das ‚ist‘ weg. Im zweiten Satz über Frau Gernemann, kurz nach der Grundschule. Sag ich nur mal so falls es noch keinem aufgefallen ist, damit es keinem auffällt der es noch lesen möchte, vielleicht kannst ja noch ändern und einer Peinlichkeit entgehen. Heißt die echt Frau Gernemann? Das möchte ich gerne „man“ (besondere Redeweise, Ihr wißt schon) bezweifeln… aber möchte ja nicht wieder anstrengend sein.
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Für einen Fehler so viel Text. Ein Glück, möchte man sagen, dass du die anderen nicht gefunden hast ;)
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Meine Güte, habt Ihr Euch aber auch… von Ironie auch noch nie was gehört? Gehabt Euch wohl, Ihr seltsamen Leute… und frohe Weihnachten (Achtung, das war Ironie!) Das ganze hier scheint durchweg spaßlos zu sein, sowas ist mir trotz Pandemie fremd, aber ich bin ja nicht mit einem Stock im Hintern geboren wie seine scheinbar witzlose Leserschaft. Ein Glück für Euch, dass ich schon wieder entfolgt habe, somit müsst Ihr keine ironischen Kommentare meinerseits mehr lesen. Schönen Tag auch! (sorry, schönen Abend auch, ich bin ja korrekt und nicht ironisch, und wir sind ja hier weil es nicht ums Lesen geht, warum sollte man da auch Texte produzieren, unmöglich… Du hast Recht.)
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und übrigens, ich bin katholisch, hier ist man wohl beleidigt, weil die Weihnachtsbaumkauftradition nicht ernst genug genommen wurde… Idioten. Das ist wohl Münster wie es leibt und lebt…? gut dass ich da weg bin…
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@emmitsomo Besinn Dich bitte, dass wir hier besinnlich sind.
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