„Das müssen wir irgendwie ausschlachten, Seppo! Du warst noch nie näher dran am wirklich großen Erfolg! Einskommafünf Millionen Klicks bei Youtube, Alter, halte ich für absolut möglich!“
„Früher hatte ich immer so zehn, 20 Aufrufe …“, erwidere ich nachdenklich.
„Nebenbei, was trägst du da eigentlich für eine Jacke? Bist du unter die Fußballfans gegangen?!“
„Äh, ja, ähm, go, Gunners, go!“, sage ich leicht verunsichert, denn mein Manager Kraftold Kramer spricht da einen unangenehmen Fauxpas von mir an. Und so erkläre ich ihm, dass ich mir diese Adidas-Jacke bei Zalando bestellt hatte, mich zwar über die aufgedruckte Kanone wunderte, sie aber nicht weiter beachtete, bis meine Kollegin Mercedes-Beresa (nicht ihr wahrer Name, aber er reimt sich immerhin auf ihren Klarnamen) plötzlich vor mir stand und rief „Go, Gunners, go!“ und mich über die Bedeutung der Kanone aufklärte. Ich trage nun also aus Unwissenheit eine Arsenal-London-Merchandising-Fan-Jacke. Kann also sein, dass ich bald von Hooligans auf der Straße zusammengeschlagen werde. Vielleicht von Preußen-Fans. Bis dahin trage ich sie mit Stolz und wenn mich jemand auf meinen vermeintlichen Verein anspricht, sage ich einfach immer „Gut kick“ oder halt „Go, Gunners, go!“ Naja, jetzt halt zweite Liga …
Mir wurde vor einigen Tagen der Bernhard-Black-Bücherpreis verliehen, was mein Leben mehr auf den Kopf gestellt hat, als ich es überhaupt erwartet hätte, denn – seien wir mal ehrlich – ein Bücherpreis ist kein „Oscar“ und wird im Grunde nur von einem Fachpublikum wahrgenommen. Mit etwas Glück lande ich im Literatur-Spezial der „Zeit“, mehr allerdings hatte ich gar nicht erwartet.
Und dann dieser Ansturm der Fans.
„Vor allem bei jungen Leuten hast du gepunktet, Seppo. Die junge Generation ist gar nicht so doof wie deine! Die sind wieder kulturell interessiert, die stehen auf diesen Poetik-Kram. Dein ‚Brot ohne Laib‘ kommt zum genau richtigen Caitpunkt!“
„Generation P … verstehe.“
„Du musst auf die Bühne!“
„Wie diese Idioten mit diesem poetry slam-Gedöns?“
„Ja! Du kannst einer von ihnen werden!“
„Du weißt, dass ich würgen muss, sobald ich diese eingebildeten Künstler-Verschnitte auf der Bühne sehe mit ihren krampfhaft gewollten Darbietungen?“
„Seppo, anders als du sind die alle beliebt und erfolgreich!“
„Da gebe ich dir Recht, aber trotzdem muss ich kotzen, wenn ich mir diese unehrliche Scheiße ansehe. Man kann doch nicht immer jeden Dreck als Kunst bezeichnen?! Wenn du dir diesen Mist mal ansiehst, achte auf ihre Augen! Man sieht ihnen an, dass sie sich für ganz große Schauspieler halten!“
„Wir müssen ein Video drehen. Heute Nachmittag haben wir einen Termin mit ‚MSvideo‘, einer Produktionsgesellschaft. Die machen da ein ganz großes Ding raus!“
Meinen Einwand, dass ich doch arbeiten müsse und daher keine Zeit habe, wiegelt er ab: „Wir wissen beide, dass du um Punkt 15 Uhr 30 Feierabend machst.“
„Ja, eine Kollegin verachtet mich dafür. Aber gut, wer nicht in der Lage ist, schon um sechs Uhr 30 am Platz zu sein …“
Es ist 15 Uhr 45, ich steige aus dem Auto. Zwei Radfahrer nieten mich auf dem Bürgersteig vor meiner Haustür um, da es wegen einer Vollsperrung derzeit weder Straße noch Radweg gibt.
Ich schiebe meine Wohnungstür auf und es bietet sich mir ein Bild wie in „Pappa ante Portas“, als in der Villa Lohse das Finale der „Schnakenburgs“ gedreht wird. MSvideo hat meine Wohnung komplett umgestaltet, ich erkenne nichts mehr wieder.
Ich höre meine Mitbewohnerin brüllen: „Wollen Sie vielleicht noch eine tragende Wand einreißen?! … Seppo, gut dass du da bist! Was zur Hölle hast du hier vor?!“
„Äh … Moment … Ich weiß von nichts.“
Mein Manager Kraftold Kramer kommt aus der Küche in den Flur: „Jetzt beruhigen wir uns alle erst einmal wieder. Wir richten das nach dem Dreh alles wieder so her, wie es vorher war. Wobei wir diese Wand da hinten wirklich entfernen müssten.“
„Kraftold! Was passiert hier?!“, frage ich entsetzt.
„Wir drehen gleich das Video zu ‚Brot ohne Laib‘. Schwarz-weiß-Optik! Vier zu drei. Du vor einer weißen Wand. Mehr nicht! Alles ganz minimalistisch. Muss ja zum Inhalt passen! Wir haben schon ein Kostüm für dich. Du trägst einen spießigen Pullunder.“
„Tut er oft“, murmelt meine Mitbewohnerin, „Dazu braucht’s kein Kostüm.“
„Weste! Ich könnte eine meiner neuen Westen tragen!“, schlage ich vor.
„Weste?! Bist du jetzt unter die Münsteraner Bonzen gegangen?!“, fragt Kraftold.
„Ehrlich gesagt, ja.“
„Wir bleiben bei Pullunder.“
Nachdem die Wand zum Wohnzimmer eingerissen wurde, platziert mich der Regisseur von MSvideo vor eine neu errichtete, weiße Wand.
„Die alte Wand war doch auch weiß!“, sage ich.
„Sie können den Text ja auswendig, nehme ich an?“, fragt Regisseur Bingo unbeeindruckt.
„Äh … Brot ohne Laib … Voll ohne Weib …“, versuche ich es.
„Nein, nein, nein, schon falsch. Kann dem jemand mal den Text aufschreiben? Kann sein eigenes Meisterwerk nicht auswendig!“
„End ohne Zeit! Bauern ohne Kleid!“, versuche ich es weiter.
„Nein, nein, Sommer ohne Kleid! Bauern ohne Maid!“, flucht Bingo.
Ein Videoproduktionsfirmenhandlanger kommt mit einem Zettel angeeilt, auf dem mein Werk abgedruckt ist.
Kraftold erklärt mir, dass meine einzige Aufgabe es ist, das Werk vorzutragen, und zwar in der gebotenen Ernsthaftigkeit: „Der ganze Dreh hier kostet 90.000 Euro! Und weißt du was?! Das ist nicht einmal teuer!“
„Moment, die setzen mich vor eine weiße Wand. Sie drehen schwarz-weiß. Das Ding dauert nicht einmal eine Minute. Und die wollen 90.000 Euro?!“
„Ich weiß! Super billig! Das zahlst du mit links!“
„Das sind neun Zehntel der Gewinnsumme des Bernhard-Black-Preises!“
„Jaha, aber wenn das Video erst einmal viral gegangen ist, verdienst du das minütlich und kannst endlich deinen bekackten Blog aufgeben!“
„Was?! Ich habe doch gerade erst wieder angefangen!“
„Deine Leser sind sowieso alle zu alt. Jenseits der 40 im Schnitt!“
„Ja, aber ich doch auch!“
„Denk an das Morgen! Du brauchst jetzt die jungen Leute und die kriegst du über poetry slam! Ich habe schon Bühnenauftritte für dich gebucht!“
„Kraftold, derzeit ist nicht viel mit Bühne! Lockdown!“
„Seppo, du naiver Trottel! Wir machen das im Untergrund! Illegale Clubs! Pop-up-Clubs gewissermaßen! Die Szene blüht! Deine Auftritte dauern ja nur 40 Sekunden. Mehr isses nicht! Und dann schreibst du weitere Gedichte! ‚Ob ohne Hut/Leer ohne Gut/Miss ohne Mut‘ und so weiter!“
„Hallo?! Als ob es so einfach ist, ein Meisterwerk wie ‚Brot ohne Laib‘ zu wiederholen!“
„Junk ohne Food …“
„Du hast das Muster von ‚Brot ohne Laib‘ nur zur Hälfte durchschaut. Das war mir eh klar, dass die meisten das Muster gar nicht erkennen …“
Das ist übrigens wirklich der Fall. Strengen Sie sich etwas mehr an. Sie halten es für einen Witz, aber es steckt doch ein bisschen mehr dahinter …
Nach zwei Tagen ist das Video im Kasten. Innerhalb weniger Stunden hat es bereits 350.000 Aufrufe.
Erste Online-Medien berichten schon am Abend des Veröffentlichungstages über das Phänomen „Brot ohne Laib“ als Video, bevor schon am nächsten Tag die richtigen Medien darüber berichten. Interviewanfragen erreichen mich im Minutentakt, vor meiner Wohnung in der Mimigernaford-Straße in Münster belagern mich durchgeknallte Lyrik-Freaks, die „Brot ohne Laib!“ skandieren.
Habe ich den Ruhm verdient? Sicher, ich bin ein wertvoller Mensch, vermutlich sogar wertvoller als viele andere. Sollte ich als erster geimpft werden? Ja, das kann wohl nur ein Narr verneinen. Menschen, das hat mich mein Ruhm gelehrt, sind eben nicht alle gleich. Manche sind wichtiger, sind relevanter, sind besser. Ist es nur Zufall, dass ich zu dieser Gruppe gehöre?
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Gerade überspringe ich in der WN das Interview mit dem Bischof, der nach dem letzten Kommunikationsdesaster nun versucht mit gedanklicher und moralischer Tiefe daher zu kommen. Das eben heruntergeschlungene Brötchen wollte schon schwunghaft wieder heraus, als ich zum Glück auf mein Handy und das Video „Brot ohne Laib“ sah. Ist die Wand inzwischen wieder eingezogen?
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ich brauche keine wände mehr, poeten brauchen luft zum atmen, brauchen freiraum.
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Verstehe. Habt ihr einen Balkon, auf dem du dich poetisch ausleben kannst?
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Donnerwetter! (Ich versuche es mal wieder mit nur einem Wort.)
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Investigative Journalisten wollen herausgefunden haben, dass die Jury des Bernhard-Black-Bücherpreises unter anderem aus Merugin, den Fahrgescheits, Frau Gernemann und dem auf der Suche nach seinem Mobiltelefon zufällig dazugekommenen Ordphob Ohßem bestanden haben soll, und dass diese Jury über, nun, sagen wir, unschöne Informatonen über Bert Black verfügt, mit denen sie eben jenen dazu gebracht haben soll, auf sein Stimm- bzw. Vetorecht zu verzichten, was in Summe natürlich ein ungünstiges Licht auf die gesamte Angelegenheit wirft. Ich erwarte eine Stellungnahme von Texter-Thorben, sofern der nicht in Kurzarbeit ist! ;-)
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Erstaunlich wie ernst du es vortragen konntest.
Kein Wunder dass diese Produktion zwei Tage dauerte.
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Ich sehe schon… was immer ich schreibe, es ärgert Dich/Euch nur. Dann bin ich mal weg, entfolgend. Hoffe, dein Narzissmus wird nicht zu sehr gefördert, dank der vielen Preise und Leser. Münster ist ja eh nicht mehr mein Turf, also. Und Tschüss dann…
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