Meine Mitbewohnerin gibt mir zu bedenken, dass ich die Selbstschussanlage wohl ohne ihre Hilfe werde installieren müsse, denn sie sei auf der Suche nach dem Hund auf den Kinderseiten der „Süddeutschen am Wochenende“. Deren hunde- und kinderlieben Redakteure verstecken dort jeden Samstag einen kleinen, gezeichneten Hund: mal zwischen den Textzeilen eines Artikels, mal aber auch wirklich kaum erkennbar mitten innerhalb Artikelfotos. Wenn man uns fragt, wie wir unsere Samstage verbringen, ist die Antwort meist:

„Wir suchen einen Hund. Und dann ist es spät und wir gehen zu Bett.“

Ich aber möchte mir endlich den Traum einer Selbstschussanlage außen vor unserer Wohnungstür verwirklichen, um endgültig Ruhe vor ungebetenen Gästen zu haben.

„Kein Problem, der Anlage liegt eine Montageanleitung bei, das kriege ich schon hin!“, versichere ich überoptimistisch meiner Mitbewohnerin. Selbst daran glauben tue ich allerdings nicht so richtig, denn ich muss bohren und dübeln.

Der Dübel ist eine deutsche Erfindung, deren Zweck es ist, Dinge derart fest an Wänden zu befestigen, dass es physikalisch praktisch unmöglich ist, sie wieder zu lösen. Mit Dübeln verbinde ich zwei Erinnerungen. Die Kindheitserinnerung macht den Anfang: Ich sehe meinem Vater zu, wie er ein Regal an die Wand dübelt. Ich bin noch sehr jung, sodass man mir besser keine Bohrmaschine in die Hand gibt, da ich möglicherweise und hoffentlich versehentlich meinem Vater in den Kopf bohren könnte. Oder mir selbst. Vielleicht auch in die Hand oder quer durch den Hals. So oder so wäre wahrscheinlich Tod die Folge. Also sah ich nur zu und staunte nicht schlecht, wie fest das Regal in der Wand saß. Mein Vater erklärte mir daraufhin das Prinzip des Dübels und sagte, dass sogar ein Panzer nicht schwer genug wäre, um dieses Regal ins Wanken zu bringen – wegen des Dübel-Prinzips.

Noch heute verbinde ich deshalb Dübel mit Panzern. Andere stoßen mit Panzer in die feindlichen Linien vor, ich hingegen stelle sie ins Regal, um dessen Stabilität zu testen. Aber ich habe keine Panzer. Sie sind sehr teuer und passen nur hochkant durch die Wohnungstür.

Die zweite Erinnerung stammt aus dem Jahr 2012. Wir ziehen gerade in unsere erste gemeinsame Wohnung in Düsseldorf ein, in die Sonnenstraße, die es übrigens nicht mehr gibt, seit wir dort nicht mehr wohnen. Denn man hat sie aufgegeben. Wie dem auch ist, damals dübelte ich das erste

und letzte

Mal selbst ein Regal an die Wand. Loch gebohrt. Schutt weggesaugt. Dübel reingeschoben. Schraube rein und Regal eingehakt. Und da ich nun keinen Panzer zur Hand hatte, hängte ich mich kurzerhand selbst ans Regal.

Nachdem das Regal auf meine neue, darunter stehende Musikanlage gekracht war, kamen mir erste Zweifel an Vaters Panzer-Theorie auf. Meine Mitbewohnerin, die abends dazustieß, stellte allerdings fest, dass das Regal gar keine Chance hatte, irgendwas auszuhalten, da ich einfach die falsche Dübel-Größe gewählt hatte. Mit anderen Worten:

„Das hast du verkackt“, sagte sie damals.

Seitdem dübelt sie im Haushalt. Und ehrlicherweise übernahm sie im Laufe der Jahre auch alles andere, was man dem handwerklichen Bereich zuordnen würde. Ich hingegen kann ganz gut putzen und dekorieren. Ich find’s komisch, dass viele Frauen das für minderwertige Arbeit halten. Haben ihnen irgendwelche Feminist*innen eingetrichtert …

Und nun soll ich also die Schieß-Module meiner neuen Selbstschussanlage alleine in die Wand des Hausflures dübeln? Ich meine, ein Regal ist das eine, aber die Vorstellung, eine gerade wild um sich feuernde Waffe fällt aus der Halterung an der Wand, ist keine schöne. Sie könnte plötzlich durch unsere Wohnungstür ballern, hinter der ich gerade stehe, um mir das Gemetzel durch den Türspion anzusehen. Das wäre ein ganz schönes Eigentor.

Ich beschließe also, mir Hilfe zu holen.

„Ich gehe kurz zu Peter!“, rufe ich meiner Mitbewohnerin zu.

„Dieser verdammte Hund wird von Woche zu Woche kleiner!“, ruft die nur.

„Er ist auf Seite-„

„Untersteh dich! Ich will ihn selber finden!“

Ich ziehe mir mein grau-weißes Käppi über die Stirn, was ich schon seit 1998 so mache. Nur mache ich es heute, weil ich auf einem Foto, das mich von hinten zeigt, kürzlich sah, dass ich allen Ernstes einen „Hubschrauberlandeplatz“ auf dem Kopf habe, den mir die frontale Spiegelansicht stets verschweigt. Allerdings ist es mit ohne Haar ab etwa vier Grad wirklich zu kalt am Kopf, sodass eine Bedeckung das Mittel der Wahl ist.

Und es sind drei Grad, als ich Peters Bauwagen erreiche. Ich klopfe an seiner Tür und schmunzele, weil mich seine seltsame Gitarre begrüßt, die neben der Tür hängt. Schon als Kind fand ich die Gitarre merkwürdiger als die Tatsache, dass Peter in einem Bauwagen lebt. Damals habe ich den Bauwagen immer nur aus der Ferne beobachtet; rangewagt hatte ich mich nie, weil ich Angst vor Peters dickem und oft übellaunigem Nachbarn hatte. Doch der ist leider tot. Und naja, Peter irgendwie auch. Aber manche sterben dann doch nie so richtig.

Peter öffnet.

„Hallo Peter!“

„Seppo! Hallo!“

Peters Latzhose ist voller Sägespähne. Er bastelt wohl wieder etwas.

„Ja, also ich säge gerade an meinem Tisch herum. Das eine Tischbein war länger als die anderen. Darum wackelte der Tisch immer so. Jetzt hab ich es eben gekürzt und nun ist es zuuuu kurz. Jetzt muss ich die anderen drei Tischbeine ansägen“, erklärt er, „Aber was treibt dich zu mir? Drehen wir etwa? Manchmal fangen die einfach an zu drehen und ich merk’s nicht. Und schwupps, am Ende ist wieder ’ne Folge fertig, ohne dass ich es mitbekommen habe.“

„Äh, nein, also ich habe folgendes Anliegen. Ich brauche jemanden, der handwerklich begabt ist.“

„Was ist mit deiner Mitbewohnerin?“

„Die sucht heute den Hund. Das kann dauern.“

„Achso, aber der ist doch heute direkt auf der ersten Seite! Springt einem doch sofort ins Auge!“

„Ja, ich weiß, ich hatte ihn auch sofort gefunden. Jedenfalls brauche ich Hilfe beim Dübeln.“

„Neue Möbel?“, fragt Peter.

„Nein, meine neue Selbstschussanlage ist gekommen.“

„Ach, so eine hatte Herr Paschulke auch. Bis er sich einmal ausgesperrt hatte und dann von seiner Selbstschussanlage für einen Einbrecher gehalten wurde. Tja, ich vermisse ihn.“

„Alle vermissen ihn.“

Nun schweigen wir ein bisschen traurig. Dabei beobachte ich den Frosch im Glas. Den hatte Peter schon früher, als ich noch Kind war. Ein Wetterfrosch eben. Nur klettert der Frosch kaum dass er oben auf seiner kleinen Leiter ist, wieder herunter, um sofort wieder hochzusteigen.

„Es gibt wechselhaftes Wetter“, scherze ich.

„Nein, er ist nicht mehr ganz er selbst. Ich habe ein Gehirnexperiment an ihm durchgeführt. Es war nicht in Gänze erfolgreich.“

„Morgen scheint die Sonne“, sagt der Frosch.

„Aber immerhin kann er jetzt sprechen.“

„Hm.“

Wieder schweigen wir. Etwa drei Stunden lang. Draußen auf der Straße durchbricht von uns unbemerkt ein Löwenzahn den Straßenasphalt.

„So, also was ist nun“, unterbreche ich die Stille, „Hilfst du mir?“

„Ja, klar! Bist du zu Fuß hier? Oder mit dem Auto? Ich habe gehört, du nimmst für jede noch so kurze Strecke das Auto.“

„Ja, das erzähle ich immer ganz gerne, um die ganzen Möchtegern-Ökos zu provozieren. Ich bin aber zu Fuß hier.“

„Dann nehmen wir mein Tandem und fahren damit zu euch“, schlägt er vor.

Da wir öfter zusammen mit dem Tandem Radtouren machen, weiß ich, was nun kommt. Ein Lied. Denn alle 28 Minuten muss Peter ein Lied singen. Ich mag das. Es hat etwas sehr Vertrautes.

Eigenbrödler Seppo, er mag nicht gern Besuch
Wer unangemeldet kommt, den belegt er mit ’nem Fluch
Und neuerdings setzt er ’ne Schippe drauf
Und schießt jedem in den Baaaaaaaaaaauch!

Legt. Peter, es muss ‚legt‘ heißen. Er ‚legt‘ ’ne Schippe drauf! Man setzt keine Schippen drauf. Und als Mann mit ’ner Latzhose, der in einem Bauwagen lebt, wäre ich mit dem Begriff ‚Eigenbrödler‘ gegenüber anderen mindestens zurückhaltend.“

Peter lacht und so muss ich auch lachen. Ungünstigerweise neigen wir beide dazu, den Blick gen Himmel zu schwenken, wenn wir lachen, sodass Peter leiiiiider in den Gegenverkehr schawengelt und wir so direkt mit Pantau zusammenstoßen, der gerade vom Hutmacher kommt.

Und so liegen wir nun alle am Boden und stellen schnell fest, dass zumindest keiner gestorben ist.

„Ja, hallo, hallo, was ist denn mit euch los!“, ruft Pantau etwas erschrocken.

„Das geht auf meine Kappe“, entschuldigt sich Peter.

„Ja, das tut es. Er ist alleinig schuld“, bekräfigte ich.

„Jetzt ist mein neuer Hut vollkommen zerknickt!“, stellt etwas geknickt Pantau fest, „Komme gerade vom Hutmacher.“

„Wissen wir“, sage ich.

„Ach?“

„Ja, steht acht Zeilen weiter oben schon. Sag mal, hast du Lust mitzukommen, meine neue Selbstschussanlage zu installieren?“

„Ja, warum nicht? … Ich frage mich gerade, wie man sich vergewissert, dass eine solche Anlage funktioniert“, fragt sich Pantau gerade.

„Eine gute Frage, die ich mir schon stellte. Ich hatte mir überlegt, nachher den schnöden Ramon anzurufen und ihn zu bitten, vorbeizukommen.“

Pantau blickt mich erstaunt an. Auch Peter scheint erschrocken ob meiner Kaltblütigkeit zu sein. Doch dann zwinkere ich den beiden keck zu, wie es so meine smarte Art ist (Frauen wissen das und werden regelmäßig schwach, wenn sie mich sehen und ich ihnen keck zuzwinkere …). Jetzt scheinen beide zu merken, dass ich nur gescherzt habe und so fangen wir alle drei an zu lachen, während der Abspann läuft und die Musik einsetzt.

Doch im letzten Bild sieht man nur noch mich: diabolisch lachen. Und vielleicht erzähle ich bald einmal, wie der schnöde Ramon unangemeldet bei mir klingelte, nur um sich zu erkundigen, woher denn nun dieses verdammte Holzbrettchen stammt. Und Sie, verehrter Leser, haben keine Ahnung, was ich damit meine! Das geschieht eben, wenn der Autor zu Beginn nur eine Überschrift im Kopf hat, die er bis zum Ende des Textes vergessen hat.

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