„Wichtig ist, Entscheidungen so zu treffen, dass wir nachher nicht in die Verlegenheit geraten, uns wünschen zu müssen, sie anders getroffen zu haben“, doziere ich gewohnt klug, während meine Mitbewohnerin mit Adobe Indesign den Grundriss unseres nächsten Badezimmers nachzeichnet.

„Gegenwärtige Entscheidungen haben großen Einfluss darauf, wie wir in der neuen Wohnung künftig die Morgentoilette verrichten“, fahre ich fort, als sie die Gas-Wasser-Therme oberhalb der Waschmaschine plaziert.

„Es ist von entscheidender Bedeutung, auf was wir starren, alldieweil wir künftig auf dem Klo sitzen. Blicken wir Richtung Tür? Oder Richtung Waschbecken? Diese Dinge müssen wir hier und heute entscheiden“, exklamiere ich, während sie die begehbare Dusche einzeichnet.

„Ich bin weißgott kein schwafelnder Theoretiker“, sage ich ihr, „Es gilt, tatkräftig die Dinge in die Hand zu nehmen und nicht nur über sie zu reden! Und ich spreche hier nicht nur vom Badezimmer! Nein, es geht ja um vieles mehr …“

„Fertig“, unterbricht mich meine Mitbewohnerin, „Das wird unser neues Badezimmer.“

Ich blicke zum Lenovo-Bildschirm und kraft meiner beneidenswert ungeheuerlichen bildlichen Vorstellungskraft sehe ich, wie ich künftig auf dem Klo sitzen werde. Mir gefällt die Situation. Ich spüre geradezu die künftige Erleichterung.

„In Variante A gucken wir die Tür dabei an. Wenn wir aber das Waschbecken an diese Seite installieren, würden wir in die Dusche gucken“, erklärt sie die alternative Variante.

„Das hieße aber auch, dass wenn wir aus der Dusche heraustreten, wir aufs Klo zugehen“, erkenne ich blitzgescheit. Das spräche also gegen Variante B. Variante B löschen“, weise ich sie an. „Hauptsache, ich bekomme meine Handyablage mit USB-Anschluss an der Klorollenhalterung.“

Vor drei Wochen haben meine Mitbewohnerin und ich, also ich und meine Mitbewohnerin, erfahren, dass die Wohnung im Münsteraner Südviertel frei wird, auf die wir seit etwa zwei Jahren gewartet haben. Es war eher ein gelassenes Warten, kein ungeduldiges, da wir unsere derzeitige Wohnung in Münster-Neutor sehr schätzen. Sie ist mitnichten eine Übergangslösung und liegt zum einen zehn Fußminuten vom Prinizipalmarkt, dem Zentrum der Welt also, und zwei Minuten von endlosem Grün entfernt. Das geht nur in Münster, in einer Stadt, in der man tatsächlich alles haben kann. Natürlich nur, wenn man alt, weiß und privilegiert ist. In Münster gehören wir zur unteren Mittelschicht, was der oberen Oberschicht in beispielsweise Gelsenkirchen entspricht. Münsters Oberschicht würde auch nicht im Südviertel leben, sondern im Adlerhorst, wohin es mich kürzlich joggend hinverschlug.

„Wenn du denkst, in Düsseldorf-Oberkassel oder in Meerbusch wohnten die Reichen“, sagte ich meiner Mitbewohnerin, „hast du den Adlerhorst noch nicht gesehen.“

Selbst Dekadenz, Bonzen- und Reichtum können wir hier in Münster besser und stilvoller. Und ich scherze nicht, wenn ich auf einen Unterschied hinweise: Die Bonzen in Düsseldorf (vergleichbar mit Münsters oberer Mittelschicht) demonstrieren ihren Status mit ihren Boliden auf der Düsseldorfer Ruinenmeile Kö. Ja, klingt etwas anachronistisch, aber das tun sie nach wie vor. Dass das Auto schon lange kein Statussymbol mehr ist, ist dort noch nicht angekommen. In Münster hingegen hat der Reiche, der etwas auf sich hält, im nördlichen Nienberge ein Gestüt, und bewegt sich am Wochenende reitend über den Prinzipalmarkt. Kein Witz: Die Innenstadt ist wieder für Pferde freigegeben. Wir wissen, wie Mobilität neugedacht wird.

Ich schweife ab. Ich schweife deswegen ab, weil ich auch nach zwei Jahren noch großen Spaß an Düsseldorf-bashing habe, obwohl mir dieser Beton-Moloch nie etwas getan hat. An sich schätze ich die Stadt sogar; für ihren Mut, große Bauvorhaben umzusetzen. Das nächste Highlight könnte die neue Oper am Rhein werden, die anders als die alte dann auch wirklich am Rhein stünde; da, wo derzeit die Wasserschutzpolizei weilt. Aber ist halt schade, dass die Stadt so wenig Grün bietet.

Traumatisiert sind meine Mitbewohnerin und ich von unserem Badezimmer, das wir fast sieben (!) Jahre in der Düsseldorfer Sonnenstraße benutzt haben. Heute schäme ich mich dafür, dass wir es Gästen zugemutet haben. Es war ein einziges Loch, das seit den Siebzigern nie saniert worden war. Das laste ich freilich nicht Düsseldorf an, sondern allein uns. Es musste damals, 2012, schnell gehen mit der ersten gemeinsamen Wohnung und im Vergleich mit meinem Zimmer, das ich zuvor vier Jahre lang in der Vautierstraße im guten, alten Grafenberg während meiner Volontariatszeit bewohnt hatte, war sie eine massive Verbesserung.

Meine Mitbewohnerin und ich ziehen also im Spätsommer um. Derzeit kristallisiert sich der September als Termin heraus, der sich aus Kündigungsfrist der alten und Sanierungsdauer der neuen Wohnung ergibt.

„Wie furchtbar muss es erst sein, wenn man ein ganzes Haus baut“, schwurbele ich, „Man muss ja unzählige Entscheidungen treffen und dann auch noch darauf achten, dass die Handwerkerzunft sie auch angemessen umsetzt! Es ist ja bekannt, dass alle Handwerker Pfuscher sind.“

Während ich dieses an einem Samstagmorgen im Bett sitzend schreibe, blickt meine Mitbewohnerin auf den Laptop, sieht die Überschrift „Die Nasszelle“ und sagt:

„Jetzt hab ich direkt wieder Lust, mich an den Rechner zu setzen und die Küche weiter zu planen!“

Ich muss sie bremsen in ihrem Eifer, denn erste Küchenentwürfe zeigte sie mir bereits gestern, nachdem klar war, wo sich unser Klo befinden wird.

Die erste Variante zeigte noch eine ganz normale Küche. Nichts Wildes, keine Experimente. Doch je länger sie zeichnete und parallel im Netz guckte, was alles ginge, desto abgefahrener – wenn ich das mal so nennen darf – wurde unsere künftige Kochzelle. Stand jetzt werden wir keinen klassischen Küchentisch mehr haben, dafür aber eine Theke, an der sechs Personen gemütlich zusammen essen oder Captain Morgan trinken können.

„Dafür müssen wir nur diese eine Wand rausreißen“, erklärt sie, „und nach hinten raus direkt den neuen Wintergarten anschließen. Sonst würde es empfindlich eng werden mit der Kücheninsel in der Mitte.“

„Verzeihung, Kücheninsel?! Du bist schlimmer als Tine Wittler, die fast so schlimm wie Hitler ist. Als ich sagte, wir gönnen uns eine neue Küche, meinte ich eine ganz normale Küche. So mit Herd und Spüle. Backofen.“

„Gutes Stichwort. Backofen. Die sind hier links unten.“

Die?! Es sind mehrere?“

„Ja, man hat jetzt immer zwei übereinander. Auf Hüfthöhe! Nie wieder bücken! In dem einen kann ich mein Gemüse mache und du kannst in dem anderen dein Fleisch machen.“

„Vielleicht brauchen wir noch einen dritten zum Warmhalten?!“

„In der Kücheninsel hätten wir noch Platz“, sagt sie und bewegt mit der Computermaus ein drittes Backofen-Symbolbild zur Kücheninsel.“

Ich merke, wie mir die Wohnungsplanung komplett entgleitet und greife ein. Etwa zehnmal muss ich <Strg>+<Z> drücken, um wieder eine Küche des kleinen Mannes auf ihrem digitalen Zeichenbrett zu sehen.

„Zumal wir die Küchenplanung ‚Reddy‘ überlassen werden“, dem sympathischen Küchenhersteller aus dem Münsteraner Norden.

Der Autor dieser Zeilen, also ich, ist nun umgezogen und schreibt am stationären Rechner weiter. Seine, also meine Mitbewohnerin hat sich ebenfalls ihrem Rechner gegenüber plaziert, weil sie aufgedreht, wie wir beide derzeit sind, die Küche weiterplanen will. Und sie will Tulpen.

Die Planung des Gartens habe ich eigentlich ins nächste Jahr verlegt, da ich keinen Grünen Daumen habe und mir im Grunde egal ist, was da so wachsen wird. Hauptsache, ich bekomme meinen Stangenpark. Und die Hasen. Nun wird es wohl auch Tulpen geben.

Eine Kollegin von mir, eine sehr sympathische, hat neben einem Hund, einem Kind und einem Mann noch einige Hasen in einem Hasenstall, der gefühlt größer ist als mein Zimmer damals in jener Vautierstraße. Diese sympathischen Sechsbeiner wohnen besser als ich damals, also absolut artgerecht. Natürlich will ich am liebsten einen treudoofen Hund, der mir in jeder Lebenssituation vollkommen ergeben ist, doch habe ich einen derartig verantwortungsvollen Job bei einer Tochter dieser Stadt, dass die Münsteraner Mobilitäts- und Energieversorung praktisch ausschließlich auf meinen Schultern lastet, was mich über Gebühr in Beschlag nimmt, sodass für einen Hund einfach caine Cait bliebe. Aber Hasen? Im Garten? In einem mehrstöckigen Stall, wie meine Kollegin ihn in Münster-Angelmodde hat? Das wäre doch ein Kompromiss.

„Denk aber daran, dass ihr immer jemanden braucht, der sich um die kümmert, wenn ihr beispielsweise in den Urlaub fahrt“, gab mir jene Kollegin gestern zu Bedenken.

„Wir essen sie einfach vorher und kaufen nach dem Urlaub neue“, habe ich dieses vermeintliche Problem umgehend gelöst, „Theoretisch könnte man so auch mit Hunden verfahren, wobei ich mir nicht sicher bin, ob man Hunde hierzulande einfach so essen darf. Mindestens scheint es mir nicht üblich zu sein, aber vielleicht wird das auch einfach nicht an die große Glocke gehängt.“

Verehrter Leser, Sie merken, meine Mitbewohnerin und ich haben Zukunftspläne, haben Träume. So ungern wir auch unsere derzeitige Wohnung im goldenen Neutor aufgeben, so verheißungsvoll lockt uns das Südviertel, in dem wir beide bereits mehrere Jahre Anfang des Jahrtausends gelebt haben. Und auch wie Ende 2018, als wir nach Münster zurückkehrten, fühlt es sich wie ein Heimkommen an. Und wenn ich noch ein bisschen weiter in die Zukunft blicke, wartet da ein abermaliges Heimkommen auf uns, sofern uns ein entsprechend langes Leben vergönnt ist. Wie schnell es enden kann, ist ja bekannt. Aber es sind ja nicht die großen, sondern die kleinen Träume, die die Gegenwart so lebenswert machen. Hiltruper sind wir, tausend Liter Dosenbier.

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