witz2

Zum ersten Teil!

Eben Pavel noch als Dieb beschimpft, gehe ich nun eiligen Schrittes nach Canossa. Aber wie sollte ich ahnen, welche Verwicklungen dazu führten, dass Pavel in den Besitz meiner Sonntagszeitung kommt?!

Ich bin für zwischenmenschliche Kriseleien nicht gemacht, vermutlich zu labil und die Erkenntnis, dass ein sehr guter Freund und sowieso Nachbar, Pavel, mir meine Gazette stiehlt, konnte ich ja nicht einfach so übergehen. Zumal er mich immer wieder verlacht, weil ich überhaupt noch gedrucktes Papier lese. Das sehe ich ja beim „Neuen Wochenend“ durchaus ein, aber nicht, was die gute alte Tageszeitung angeht.

Um die Sache zu klären, ging ich also hoch zu Pavel. Auf seiner Fußmatte vor der Wohnungstür steht „Umkehren!“ geschrieben. Es war mal meine Fußmatte, die potenzielle Gäste abschrecken sollte. Ein Satz, den Gäste von mir nie hören werden, lautet da auch „Bleibt doch noch ein bisschen!“. Weil meine Mitbewohnerin aber mit diesem Satz nur so um sich wirft, passte die Fußmatte thematisch nicht mehr unbedingt, als wir zusammenzogen. Daher hat Pavel sie nun und als er nach Deutschland kam, hatte er noch keinen Begriff davon, was auf der Matte steht. Heute ist er des Deutschen derart mächtig, dass er offenbar sogar meine Sonntagszeitung lesen kann.

Pavels erste Worte an der Tür waren „Bist du hier, damit ich dir den Witz erklären kann?“ – „Nein, den hab‘ ich verstanden, zumal ich ihn in meiner Sonntagszeitung ja nochmal nachlesen konnte.“ erwiderte ich dezent erbost. „Deine? Außerdem ist heute Montag!“ – „Ich lese Zeitungen auch gerne mal mit einem Tag Verspätung. Zumal ich meine Sonntagszeitung gestern ja auch nicht vor meiner Tür liegen hatte. Ich fand sie im Altpapier.“ Recht trocken dann Pavel: „Ja, da hab‘ ich sie gestern wohl reingeschmissen zu Herrn U.s ‚Neuem Wochenend‘.“

Das war mir ’ne Spur zuuu trocken. Kapierte er es nicht?! „Kapierst du es nicht?! Du hast meine Zeitung geklaut!“

Aus unserer gemeinsamen Zeit im Studentenheim weiß Pavel, wie ungehalten ich ob gestohlener Zeitungen reagiere, denn die widerrechtliche Entnahme dieser aus meinem Briefkasten in der Münsteraner „Böselburg“, die es inzwischen nicht mehr gibt, ereignete sich regelmäßig. Aber nicht durch Pavel, sondern durch andere Mieter. Damals sah ich mich irgendwann genötigt, mich früh morgens auf die Lauer zu legen, um den Dieb auf frischer Tat zu ertappen. Aber – klar -, als ich da saß und wartete, stahl sie mir niemand. Ich griff zu einer eher verzweifelten Methode und legte ebenfalls früh am Morgen einen Zettel in meine Zeitung mit dem Text „Anzeige folgt.“ Der Dieb war möglicherweise ob dieser leeren Drohung beeindruckt und ließ fortan meine Zeitung im Briefkasten.

„Die Zeitung lag gestern Morgen vor meiner Tür. Was vor meiner Tür liegt, gehört mir.“ Das war Pavels Verständnis von Privatbesitz. Noch leicht vom Kommunismus geprägt, der Mann. „Es ist noch nicht lange her, da lag ich volltrunken vor deiner Tür, weil ich mich in der Etage vertan hatte. Da hast du mich nicht mal reingelassen.“ – „Weil du mir in die Wohnung gekotzt hättest.“ Das Argument stach, ich musste auf eine andere Linie umschwenken. Allerdings wurde mir klar, dass unsere wirklich sehr freundliche Nachbarin Frau U. es war, die sich offenbar vertan und die Zeitung der falschen Wohnung zugeordnet hatte. Denn sie beglückt alle Mietparteien stets mit der Verteilung der Post an die Wohnungstüren. Wie ich damals betrunken hat sie sich möglicherweise ebenfalls in der Etage vertan mit dem Unterschied, dass sie nüchtern war.

Ein Missverständnis also, das insofern unangenehm ist, als dass ich Pavel hier schon als Dieb dargestellt habe und ich entschuldige mich hier in aller Öffentlichkeit, die natürlich noch recht übersichtlich ist.

Pavel bittet mich rein, lässt meine Entschuldigungsorgie über sich ergehen und zeigt mir stolz eine Sammlung des „Neuen Wochenends“, das eigentlich ja Herr U. im Abo bezieht. „Die klaue ich gelegentlich, denn ich halte es für unwahrscheinlich, dass Herr U. es wagen wird, hier wie du wegen des ‚Neuen Wochenends‘ bei mir zu klingeln. „Pavel, du machst dich über mich lustig, weil ich gedruckte Zeitungen lese und holst dir auf ein analoges Medium einen runter?! Lineares Onanieren!“ Das habe nostalgische Gründe, erklärt er und erinnert mich daran, wie wir mit 14 oder 15 hochroten Kopfes am Kiosk in Hiltrup uns eine „Coupé“ gekauft hatten. Das stellte sich damals im Nachhinein als äußerst peinlich heraus, weil die Kiosk-Besitzerin meine Mutter recht gut kannte. Irgendwann sagte meine Mutter zu mir: „Kleben die Seiten deiner ‚Coupé‘ schon?!“ Als ob ich mich im entscheidenden Moment nicht beherrschen könnte!