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Ich behaupte ja immer, dass auf die Beziehung zwischen meiner Mitbewohnerin und mir wenige Klischees zutreffen. Dem ist auch so. Unser Verhältnis bewegt sich nahe an der so genannten „perfekten Beziehung“, die es aber laut meiner Mitbewohnerin nicht gibt. Nicht geben kann. Nun, ich sehe es anders, ich lebe schließlich in einer solch perfekten Beziehung. Wobei sie dann halt nur einseitig perfekt ist, aber halt für die richtige Seite. Nichts ist eben perfekt.

Dennoch können wir nach elf Jahren eine kleine Zwischenbilanz ziehen: Wir haben noch nicht einmal gestritten. Wenn ich das erzähle, glaubt es mir kaum einer. Aber es verhält sich genau so. Die Gründe liegen auch klar auf der Hand: Wir beide wollen es nicht. Ich sowieso nicht, ich gehe Konflikten mit einer Energie fressenden Sturheit aus dem Wege, sodass ich mit einer ähnlich gepolten Freundin bereits beschloss, einen „Arschloch-Kurs“ zu belegen. Dazu ein anderes Mal mehr. Das wird sehr persönlich. Und oft höre ich dann das Argument, Konflikte müssten aber doch aus dem Weg geräumt werden. Korrekt. Aber zwischen uns gibt es keine Konflikte. Ich entschuldige mich dafür sogar inzwischen, aber wenn da nun einmal kein Problem ist, aus dem ein Streit erwachsen könnte, dann kann man es auch nicht erzwingen.

Ich schränke das an dieser Stelle direkt ein. Es gab da mal eine Krise. Wir umrundeten gerade den „Unterbacher See“, einen See, den viele Düsseldorfer für einen Ozean halten. Irgendwie kamen wir im Gespräch auf das Thema Rechtsüberholen auf Autobahnen. Ich sagte, das sei unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Sie sah das anders und regte sich furchtbar über Rechtsüberholer auf, die ich nun auch noch verteidigte. Im Normalfall kann man diese Dinge dann googeln und irgendeiner hat dann eben Recht. Meistens ich, natürlich. Dieses Mal jedoch hatten wir das Internet zuhause gelassen. Kein Handy. Mal entspannen. Es war ein Fehler. Entspannung nicht möglich. Die Frage der Legalität des Rechtsüberholens konnte nicht geklärt werden und schwebte über uns. Die Stimmung eiskalt, das Wasser am Ufer des Sees gefror leicht. Ich hochgradig erregt, weil ich es hasse, wenn mir das offensichtlich Wahrhaftige nicht geglaubt wird. Weggehen ging nicht, aus dem Wege gehen auch nicht, der See war nicht einmal zur Hälfte umrundet. Was also tun? Leute ansprechen? Mit in den Konflikt hineinziehen? Vielleicht Unfrieden in anderen Beziehungen stiften? Ich dann gewohnt und sehr diplomatisch:

„Wechseln wir das Thema. Klären wir zuhause.“

„Rechtsüberholen. Geht nicht.“

„Klären wir zuhause.“

„Was gibt es da zu klären? Es wird rechts nicht überholt.“

„Was machen wir am Wochenende?“

„Du kannst ja jemanden rechts überholen.“

Das sind dann die Momente, wo ich weiß, nichts geht über Schweigen. Fresse halten. Wenn die Mitbewohnerin ein Pulverfass ist: Schnauze halten, zurückziehen. Wirkt Wunder. Mit stringent durchdachten Argumenten, mit Logik gar ist Frauen ja ohnehin nicht beizukommen, wenn ihre Lunte brennt. Puh. Hier geht’s heute noch rund nach so ’nem Satz. Mal sehen, ob er es durch die Zensur schafft.

Die Restumrundung des Sees verlief dann auch eher schweigend. Nun kam auch mir der See vor wie ein Ozean. Die Frage des Rechtsüberholens ist natürlich inzwischen geklärt. Und wir haben es auch so geklärt, dass jeder irgendwie Recht bekommen hat (wobei ich mehr Recht hatte).

Das war unser einziger Streit. Mit fliegendem Geschirr kann ich nicht dienen, auch drücken wir uns nachts nicht die Kissen aufs Gesicht. Es ist ein friedliches Miteinander. Unsere Beziehung ist ein Pfarrgemeindefest. Aber eines mit Sex. Nicht zwischen Pfarrer und Messdiener. Ganz legaler Sex. Obwohl ich Messdiener war. Aber da lief nichts. Alles gut. Kein Skandal. Nicht einmal der Pfarrer wollte mit mir schlafen. Was hat man als Jugendlicher falsch gemacht, wenn nicht einmal er … egal. Ich wollte unbedingt immer von diesem Pfarrer getraut werden. War ein großes Ziel von mir, allerdings müssten wir dazu erst einmal heiraten. Das liegt noch in weiter Ferne und mein Pfarrer ist bereits im Ruhestand.

Nun werde ich dann oft gefragt, ob ich denn Streit an sich nicht vermisse. Man müsse doch mal was rauslassen. Man brauche doch ein reinigendes Gewitter. Nun, das mag ja alles sein, aber es gibt nichts rauszulassen. Es gibt nichts zu reinigen. Ich kann mich immer wieder nur entschuldigen, wir finden keinen Konfliktpunkt. Wir wollen uns ja streiten. Aber dann doch wieder nicht. Es ist so anstrengend. Ich bin Freund der Harmonie. Bis zu einem gewissen Punkt. Ich schlucke viel, bevor ich explodiere.

Noch heute überhole ich gerne auf Autobahnen rechts, um sie zu ärgern. „Ich darf das gerade. Weil der ist zu langsam.“ Ich riskiere da natürlich einiges, aber nichts spricht für ein wenig Feuer in einer Beziehung. Ich werd’s demnächst noch einmal ausprobieren, wenn’s zu einer Hochzeit in Münster geht. Wobei, dann fährt sie. Denn ich fahre nicht gerne. Mir ist langweilig, wenn ich fahre. Und bei Langeweile schlafe ich ein. An sich ein toller Mechanismus, im Auto aber nur begrenzt möglich. Für Mikrosekunden vielleicht. Aber da ich einen eher leichten Schlaf habe, würde ich wach werden, wenn sich die Leitplanke durch unser Auto zieht.

Ich bin ein ausgesprochen toller Beischläfer -fahrer. Ich bin Beifahrer der Jahre 2011, 2012 und 2014. 2013 nicht. Denn da hab‘ ich ihr zu oft tolle Ratschläge gegeben, wenn sie fuhr. Ich stehe noch heute zu Ratschlägen, wie:

„Lass‘ Abstand zum Vordermann unser Motto sein!“

oder

„Wenn der jetzt bremst, sitzt der danach zwischen uns im Auto!“

oder

„Bei Gelb muss man nicht unbedingt halten. Gelb heißt: Vollgas!“

oder

„Die Lücke ist eindeutig zu eng. Nichts für Frauen.“

Der letzte Spruch dürfte Protest bei Leserinnen auslösen. Vollkommen zurecht. Das Ding ist nur, ich weiß, wovon ich rede. Denn ich parke wie eine Frau ein. [Ironischen Emoticon einzufügen, nicht vergessen, sonst heftige Proteste.] Ich habe oft auf Frauenparkplätzen gestanden, da ich glaubte, sie seien breiter als die normalen. (Haha, ich kann es selber nicht glauben!) Bis ich den eigentlichen, durchaus begrüßenswerten Zweck dieser ausgangsnahen Plätze verstanden hatte. Das ist fast zwanzig Jahre her, ich habe mich inzwischen hier und da weiter entwickelt. Wie auch meine Mitbewohnerin, die nur noch ausgewählte Kurven im vierten Gang nimmt. Das ist sportlich, das ist völlig in Ordnung, ich halte inzwischen meine Klappe, während ich mich im Beifahrersitz festkralle, kurz bevor wir durch das Kiesbett fahren. „Gibt ’ne Zeitstrafe“, sage ich dann betont locker und ernte doch nur einen Schulterblick mit sich drehenden Augen von ihr.

Streit lässt sich meiner Meinung vermeiden durch weitreichende Freiheiten in Beziehungen. Ich will mich im Grunde für nichts rechtfertigen müssen. Wenn ich meine, mir einen drei Meter langen Bart wachsen lassen zu müssen, dann ist das so. Und dann fällt die Beantwortung der Frage „Bart oder Beziehung“ auch sehr eindeutig aus. Solange Grundwerte wie Treue, Ehrlichkeit und so weiter in der Beziehungsverfassung fest verankert sind, die nur durch Einstimmigkeit verändert werden kann, dann sollte alles andere in Ordnung gehen. Und ich denke, bei uns funktioniert das weitestgehend.

Leider ist es ja so, dass wenn der Mann gerade von seiner Beziehung schwärmt und der felsenfesten Überzeugung ist, dass alles fantastisch läuft, die Frau bereits innerlich die Koffer packt. Das ist im Grunde die einzige Sorge, die mich umtreibt: dass ich das drohende Ende nicht bemerke, weil ich zu sehr mit einer unumstößlichen Zufriedenheit beschäftigt bin.

Ich habe gerade nachgefragt. Sie versichert mir, alles sei in Ordnung. Ich habe bei der Gelegenheit auch gefragt, warum eine Bartschere neben dem Bett liege. Sie:

„Heute noch nicht in den Spiegel geguckt?“