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Ich bin ausgesprochen großer Freund der Weihnachtsfeierlichkeiten und langsam aber sicher rutsche ich in das, was ich „Besinnlichkeit“ nenne. In Weihnachtsstimmung also. Vor einer Woche haben meine Mitbewohnerin und ich unser Anwesen saisonal entsprechend dekoriert, wobei „Tchibo“ und „Nanu Nana“ uns eine große Hilfe waren.

„Guck‘ mal, den Weihnachtsmann kaufen wir!“, sagte ich.

„Das ist kein Weihnachtsmann, das ist einfach irgendein Zwerg. Ein Türstopper-Zwerg.“

Hm, okay. Ein Zwerg. Hat aber eine lustige Mütze auf und einen langen Bart. Im Zusammenhang mit Weihnachten konnte das für mich eigentlich nur der Weihnachtsmann sein. Aber in diesen Dingen weiß sie besser Bescheid. Nun haben wir also mehrere Türstopper-Zwerge, die aber mitnichten irgendwelche aufgehende Türen stoppen, sondern bei uns auf den Fensterbänken ‚rumlungern. Ich finde sie … putzig. Der eine, der spricht mit mir. Habe lange überlegt, ob ich das hier offenbare, denn man könnte mich für wahnhaft halten. Aber was soll man machen, wenn man von einem Weihnachtszwerg auf der Fensterbank angesprochen wird?! Unhöflich ignorieren? Nicht meine Art.

„Hallo. Wohnst Du hier?“, wollte der Zwerg auf der Küchen-Fensterbank wissen.

„Ja. Warum sonst laufe ich wohl hier halbnackt rum?!“

„Hätte ja sein können, dass die Brünette Dich abgeschleppt hat.“

Die Brünette. Damit meinte er wohl meine Mitbewohnerin.

„Die wohnt hier auch. Kurze Frage, bevor ich Kaffee koche: Bist Du ein Zwerg oder ein Weihnachtsmann?“

„Ein Zwerg. Mütze und Bart machen mich wohl kaum zum Weihnachtsmann.“

Er hatte ja Recht.

Weihnachten beginnt heute für mich, da wir Plätzchen backen. Soll ich nun Klischees bedienen und schreiben, dass ich lediglich als Mann daneben sitze und sie macht und tut? Das wäre sehr einfach und würde entsprechend unterhaltsam werden. Daher mache ich es auch so.

Plätzchensorte Nummer eins sind die „Afghanen“. Die bekommt man auch dann hin, wenn man schon drei Viertel einer Flasche Wein getrunken hat. Wir reden hier von mir. Und eigentlich rede nur ich. Von mir. Und eigentlich schreibe ich.

Hinter mir sitzt der Zwerg. Er hat zwar keine Augen oder seine Mütze bis über die Augen gezogen, aber er sieht genau hin. Er macht mir Angst. Gestern ging ich mit einem Messer in der Hand auf ihn zu. Ich war schon soweit. Er sah mich:

„Untersteh‘ Dich. Ich habe viele Freunde. Sie werden kommen.“

Also ließ ich den Zwerg Zwerg sein. Oder Weihnachtsmann.

Im Hintergrund läuft – und das ist kein Witz – „In der Weihnachtsbäckerei“ von Rolf Zuchowski, den man „Zuckowski“ schreibt, was mir irgendwie zu einfach schien.

Plätzchen, die von einigen Irren zunehmend „Cookies“ genannt werden, sind eine zweischneidige Angelegenheit. Sie machen, und da nehme ich kein Blatt vor den Mund, fett.

„Gut, dass Dein Wein Dich nicht fett macht!“, wirft gerade der Weihnachtszwerg nicht ganz zu Unrecht ein.

Weinabfüller verzichten auf die Kalorienangabe auf der Flasche. Warum? Weil diese nicht vorgeschrieben ist, anders als bei anderen Lebensmitteln. Und ja, Wein ist auch ein Lebensmittel. Und würden sie es drauf schreiben, wüsste ich, dass mein Müller-Thurgau 760 Kilokalorien hat. Und ich bleibe mit Sicherheit nicht bei dieser einen Flasche, denn es ist erst kurz vor Acht. Aber noch bin ich in der Lage, Plätzchen „auszustechen“.

Die dazu verwendeten oder verwandten Formen entstammen dem Adventskalender meiner Mitbewohnerin von vor vielen Jahren. Sowas verbindet, Freunde. Das darf ich Euch sagen. In weinseliger Stimmung. Mit Rolf Zuckowski im Hintergrund. Okay, gerade setzt ein Kinderchor ein. Laut. Und schrill. Ich interveniere, wir hören ab jetzt: Ska. Und ja, Biggi Lechtermann hat „1, 2 oder 3“ kaputtgemacht. Aber auch schwierig, Michael Schanzes Nachfolge anzutreten. Plopp.

Spekulatius. Hasse ich. Wer aber meinen Vater glücklich machen will – und wer außer dem Milchmann meiner Mutter will das nicht?! -, der schenke ihm eine Packung Spekulatius aus dem „Aldi Nord“. Wenn ich einen davon esse, kann ich nicht mehr aufhören. Darum fange ich erst gar nicht an.

Oh, die Afghanen riechen. Ging das jetzt gegen das afghanische Volk, das uns Deutsche sehr schätzt? Meinen Deutsche eigentlich, besonders gut zu riechen? Nein, gemeint waren die Kekse, die nun im Ofen sind. Die Afghanen mögen uns aus einer gewissen Tradition heraus. Vor Jahrzehnten haben wir ihnen Lokomotiven gebaut und so weiter. Das Land blühte, dann kam doch alles anders. Und es wird nicht besser. Teile des Westens haben es verhunzt. Und wissen das. Solche Gedanken können einem Weihnachten natürlich ruinieren. Denn natürlich: Während wir demnächst besinnlich unter einem zum Tode verurteilten Weihnachtsbaum konsumieren, verrecken anderswo Menschen, weil sie gerade auf eine Landmine getreten sind. Oh, das geht hier eine ganz miese Richtung. Aber was können wir tun? Das ist das Problem der Kollektivschuld: Individuell sind wir irgendwie nicht so richtig schuldig. Wir sind’s aber. Und dieses Wissen verdrängen wir gerne. Nicht alle. Ich schon. Natürlich. Die meisten. Wer baut unsere Smartphones? Unterbezahlte Menschen, die sich in den Tod stürzen. Verzichten wir deshalb auf „Apple“, „Samsung“ und Ko.?! Natürlich nicht, wir könnten ja einen Anruf verpassen

So depressiv, wie es klingt, bin ich nicht. Denn wie die meisten unter uns verdränge ich. So ziemlich jeder, der was anderes sagt, lügt. Aber die Spendengalas dürften bald wieder kommen. Dann spenden wir uns frei. Was ich übrigens völlig okay finde. Noch besser wäre natürlich ganzjähriges Spenden. Aber wohin? Ich spende regelmäßig an die Düsseldorfer Verkehrswacht. Klingt natürlich völlig albern angesichts des Hungers in der Welt. Aber als Kind auf dem Schulweg nicht vor ein Auto zu geraten, finde ich auch nicht ganz unwichtig. Schulaufgaben wären möglicherweise vortags völlig umsonst erledigt.

Meine Eltern haben ein „Patenkind“ in einem afrikanischen Land. Solange das mir meinen Premium-Platz also Sohn nicht streitig macht, finde ich das eine sehr sinnvolle Angelegenheit, über die ich auch nachdenke. So, wie ich auch zehn Jahre lang über einen Organspende-Ausweis nachgedacht hatte, ehe ich merkte, wie simpel der gestrickt ist. Es spricht nichts dagegen. Zerpflückt mich, wenn es jemanden rettet. Aber bitte feiert mich posthum auch dafür. Ein bisschen was will ich ja auch davon haben. Obwohl, hab‘ ich ja! Wenn ich selber auf eine Spende angewiesen bin!

Pinkeln wir doch Flüchtlinge an. Stecken wir doch ihre runtergekommen Wohnheime in Brand. Uns geht es ja gut. Dass wir unter gewissen ungünstigen politischen Vorzeichen vielleicht selber mal auf der Flucht sein könnte, interessiert viele Arschpisseridioten nicht. Dann stehen sie da. An irgendwelchen Grenzen. Flüchten um ihr Leben und wundern sich, nicht willkommen zu sein. Jetzt mal ehrlich: Dass Frau Merkel sagte, alle seien willkommen, ist das Einzige, was man sagen kann. Und muss. Klar, wird teuer. Na und?! Geld kann kaum besser angelegt sein. Es gibt nicht die Umstände, unter denen man die Grenzen dicht macht. Wenn die Gesamtwohlfahrt darunter leidet, dann nennt man das wohl „Opfer“, das zu erbringen ist. Wir ersticken in Geld, verteilen es nur falsch. Das ist bekannt. Seit Jahrzehnten ist das bekannt. Es ändert sich nur nicht. Sollen Flüchtlinge ihr Leben lassen, weil hier ein paar Spinner die Türen verschließen? Was bilden wir uns ein, wer wir sind?! Unsere Welt ist nicht so sicher, wie sie scheint. Morgen kann alles anders sein.

Weihnachtsstimmung geht an sich anders. Oder doch genau so?! Für mich ist Weihnachten ein Rückzugsort. Weihnachten interessieren mich nur Menschen, die keine unguten Gefühle bei mir auslösen. Das ist egoistisch. Aber ich gebe ja auch. Da ich mit solchen Menschen zusammen bin, von denen ich weiß, was sie sich wünschen.

Sich Materielles zu wünschen, ist oftmals einfacher. Denn diese Wünsche können erfüllt werden, wenn das Portemonnaie es zulässt. Die wirklichen Wünsche sind kaum zu erfüllen. Gesundheit. Leben. Frieden.


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