sargnagel

Hoerbar_haare
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Er schreibt vermutlich wieder über den Tod. Hat Methode bei ihm, vermutlich seine Art, ihm in die grauenhafte Fratze zu lachen. Den Tod mit gespreizten Kiefern auf eine Bordsteinkante zu legen, um hernach mit einem bestiefelten Fuß draufzutreten.

Nein, es geht mir eher um Stefanie Sargnagel an diesem Samstagmorgen, an dem ich etwas von ihr gelesen habe. Sie heißt eigentlich „Sprengnagel“ und wer sich einen Künstlernamen zulegt, ist per se schon einmal ziemlich ich-bezogen, was ja keine Wertung meinerseits ist und dem Künstler an sich, wenn Frau Sargnagel als solcher zu betrachten ist, ja durchaus eigen. Ich nenne mich ja auch selten „Sebastian“.

Ich las gerade von Stefanie Sprengstoffgürtel einen zweiseitigen „Zeit“-Artikel, in dem sie ihren Besuch der Bayreuther Festspiele beschreibt. Ich bin Experte auf dem Gebiet der Bayreuther Festspiele. Nicht etwa, weil ich Wagner-Fan wäre, sondern weil ich mir aus einer seltsamen Tradition heraus seit etwa 20 Jahren jeden jemals erschienenen Zeitungsartikel über die ewig langweiligen Festspiele mit ihren Dramen drumherum, um die es ja viel eher geht, reinprügele, auch wenn sie mich noch so langweilen, was sie zweifelsfrei täten, würde ich sie mir antun. Und mir entgeht auch ihr Bedeutungsverlust nicht, möglicherweise auch ihr qualitativer Verlust nicht, dessen Herbeischreiben durch die Kritik vermutlich aber auch Methode hat.

Beim Lesen Sargnagels Textes wurde mir eines bitter bewusst: Sie schreibt wie ich. Mit einem Unterschied, den ich aus dem Nichts heraus erstaunlich selbstüberzeugt meiner neben mir liegenden Mitbewohnerin umgehend mitteile:

„Ich mache das besser.“

Sargnagels Methode ist unerträglich durchschaubar. So durchschaubar, dass es mich schmerzt, denn ich wende sie ebenfalls an, was mir erst jetzt durch diesen durchschaubaren Sargnagel’schen Text bewusst wird: Wir beide suchen uns eine vermeintliche Rahmenhandlung, um die eigentlichen Nebensächlichkeiten unterzubringen. Doch irgendwie gelingt es uns – und ich meine das durchaus negativ konnotiert -, dass diese Nebensächlichkeiten in den Vordergrund rücken, wo sie aber gar nichts zu suchen haben. Den Kern einer Geschichte vergewaltigen wir, um selber die Hauptrolle zu spielen, was mir noch sie so bitter aufstieß wie in diesem Moment. Um Missverständnisse direkt zu vermeiden: Ich werde nichts ändern. Aber wie egozentrisch muss man sein, um ernsthaft zu glauben, dass das niemand bemerken würde?! Unmöglich kann ich erwarten, dass das jemand gut findet! Bin ich privat auch so egozentrisch? Oder doch eher der Zurückhaltende?

„Aus der Zurückhaltung folgt die Konzentration auf das Beobachten“, berichte ich meiner Mitbewohnerin. Und da ist etwas dran. Ich nehme mich gern zurück, beobachte und bereichere dadurch womöglich meine Fähigkeit zur Empathie. Auskotzen tue ich mich dann beispielsweise hier. Ich muss nicht zu jedem Scheiß meinen Senf dazugeben, denn meist habe ich einfach mal nichts zu sagen. Zu allem eine Meinung zu haben, ist ein falsches Ideal, denn eine Meinung kann ich mir nur dann bilden, wenn keine Informationsasymmetrie herrscht – und meist tut sie das. Darum sind Volksentscheide kein probates Mittel der Demokratie, sondern ihr Untergang, wie das britische Referendum über den Verbleib in der EU sehr deutlich gemacht hat. Es gibt zu viele Menschen, die nicht nur zu allem eine Meinung haben, sondern auch wahrhaftig glauben, jeder wolle sie hören! Ist das nicht die wahre Egozentrik? Wie häufig lag mir schon auf der Zunge der Satz:

„Verzeihung, nein, ich will deine Meinung gerade gar nicht hören, sie ist vollkommen irrelevant für mich.“

Das jedoch ist gesellschaftlich nicht gern gehört, obwohl es so richtig ist. Vieles tue ich, weil ich es für angezeigt halte und warte nicht erst auf die Bestätigung von außen, da die oftmals gar keine Rolle für mich spielt.

 

Zwar tut Sprengsatz so, als würde sie den Besuch der Oper beschreiben, tatsächlich aber legt sie dar, wie sie in einem Aufzug den Hoden ihres Begleiters durch die Hose streichelt. Und ich frage mich beim Lesen, warum sie mir das mitteilt. Nicht, dass mich das schockieren würde, zumal ich mir selber gerne die Hoden auch ohne Textil darüber kraulen lasse und bei Bedarf auch selbst kraule – aber warum teilt sie mir das mit, wenn es doch um Wagner gehen soll?! (Nebenbei erahne ich in solchen Textstellen immer einen gewollten Tabubruch. Der Leser soll staunen über ihre Offenheit! Einen Scheiß wird er, denn das ist abgedroschen. Es wurde alles bereits geschrieben. Ohh, Hoden kraulen! Wie verblüffend selbstverständlich sie darüber schreibt! Es ist eben nicht verblüffend, es ödet nur an. Mehr überrascht hätte das Vollspritzen des Aufzug-Bedienfeldes mit Sperma.)

Aber ich tue es ja auch, das Missbrauchen des scheinbar vordergründigen Gegenstandes. Nur besser. Ich informiere meine Mitbewohnerin nach Lektüre weiterer Absätze:

„Ich kann es besser. Ich stehe wenigstens dazu, dass es um mich geht und ich keinen neben mir dulde, der mir die Hauptrolle streitig machen könnte.“

„Ich bin nur eine Nebenrolle für dich?!“

„Es geht jetzt hier gerade mal um mich.“

 

Dieses schillernde Unbehagen angesichts dieser mediokren Schreibleistung einer gefeierten Autorin weicht mir nicht mehr aus den Gliedern. Wenn ich sie so schnell durchschaue und dabei angewidert bin, müsste ich nicht dann auch von mir angewidert sein? Ich bin es. Ich fühle mich ertappt. Und rechtfertige mich meiner Mitbewohnerin gegenüber mit:

„Hier stehe ich und kann nicht anders!“, was Luther übrigens nie gesagt hat, ich hingegen schon, wofür ich dennoch nicht gefeiert werde, sondern jemand, der es nie ausgesprochen hat. Denn ich kann in der Tat nicht anders. Ich habe auch nie die Entscheidung getroffen, es exakt so zu tun, wie ich es mache. Ich habe einfach gemacht.

Meine Mitbewohnerin weiß im Übrigen nicht ansatzweise, worüber ich mit ihr spreche, was sie schon lange nicht mehr anficht. Ich habe ihr eben aufgenötigt, den Artikel von Sargdeckel zu lesen, damit sie erkennt, dass ich besser schreiben kann als diese 30-Jährige, von der ich viel zu wenig weiß, als dass ich sie kritisieren dürfte, was mir auch aus zwei Gründen egal ist: Sie hat nicht darum gebeten und meine Meinung ist nicht von Relevanz. Auch das wissen viele nicht, dass ihre Meinung irrelevant ist. Aber wenn ich höre, sie habe ihren ersten Erfolg gehabt mit einem Buch über ihre Arbeit in einem „Call-Center“ denke ich wieder an mich. Abermals eine Parallele. Unterscheiden tut uns allerdings die Tatsache, dass sie für „Vice“ schreibt, während ich für das seppolog 14 Euro pro Zeile erhalte. Bei Vice lese ich immer die Artikel, die irgendwie mit Sex und Porno zu tun haben. Weiß vice das, darum schreiben sie ja darüber. Vice ist das journalistische Zentrum der Egozentriker, wobei Vice mit Journalismus nicht viel zu tun hat, denn Journalismus sollte sich niemals der Klick-Optimierung unterwerfen, bereits dann ist er kein Journalismus mehr. In solchen Dingen bin ich sehr militant, habe aber die Wahrheit auf meiner Seite.

Was nun jedoch ein ernsthaftes Problem für mich darstellt, ist der Umstand, dass ich Schmerzen dabei empfinde, wie Sargnagel den eigentlichen Gegenstand ihres Textes als ihr Trampolin benutzt. Sie sieht sich die Oper an, denkt dabei aber erneut ans Kraulen der Hoden nun Hitlers durch Winifred Wagner, denn Wagner ohne Hitler ist unvorstellbar; wer über Wagner schreibt, nimmt den Ball immer wieder gerne auf. Und wieder denke ich, wie billig. Zu einfach. Hitler ins Spiel zu bringen. Später soll noch die AfD folgen. Hoden. Hitler und Hoden. Inzwischen schon ein Begriffspaar, das so unfassbar abgedroschen ist.

Hitler hatte nur einen Hoden!

Ja, man kann es nicht mehr hören. Es ist ein seltsam populäres Wissen. Dass er womöglich nur einen Hoden hatte. Aber wann das Deutsche Reich kapituliert hat, das weiß man dann eher weniger.

Und wie kann eine 30-Jährige Hitler für sich vereinnahmen?! Es wirkt naiv auf mich. Sie kennt ihn nicht. Sie hat diese grauenvolle Cait nicht erlebt. Aber es wirkt natürlich irgendwie aufregend intellektuell, wenn man ihn in Bayreuth ins Spiel bringt. Aber bitte, eine 30-Jährige! Was weiß denn die?!

Verdammich. Wieder selbst ertappt. Ich bin ja gar nicht viel älter als Sprengkommando! Ich mache es genau wie sie! In jedem siebten Text von mir ist Hitler zu finden, selbst sein verzogener Hund, Blondie mit späterer Gesangskarriere, spielte hier dereinst eine Rolle!

Warum aber zur Hölle druckt die „Zeit“ diesen unerträglich selbstdarstellerischen Artikel ab? Weil er vermutlich ziemlich gut ist.


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