Ich habe einen neuen personal trainer. Er wohnt bei „Youtube“ und nennt sich dort Coach Eddy, vermutlich weil er Eddy heißt und coach ist.

Abseits von Fachliteratur suche ich permanent nach neuen Inspirationen, nach neuen Ansätzen für meinen täglichen Kraftsport, da fehlende Abwechslung zu einem negativen Trainingseffekt führt. Dazu eignet sich – mit Einschränkungen – Youtube als Quelle ganz gut. Man gibt dann beispielsweise einfach „schulter workout“ in die Suchmaske ein und schon stößt man unter anderen auf Coach Eddy, der das komplette Gegenteil von mir ist: sehr offen, sehr sympathisch, sehr locker und vor allem das Fünffache von mir, was die Ausstattung mit … Äh, ob ich das nun schreibe? Nein, besser nicht … Muskeln angeht. Alles andere wäre ja auch unglaubwürdig, etwa so, als würde ein Schwerleibiger Werbung für „Almased“ machen.

Grundsätzlich verhält es sich bei mir so, dass ich mich durch diese unübersehbare Kraft zunächst einmal in meinem Verständnis als Mann bedroht fühle, derart beeindruckt bin ich von Coach Eddy, der wirklich, ich muss es noch einmal erwähnen, unfassbar sympathisch ist. Ich meine das mitnichten ironisch. Ich will nicht einmal ausschließen, mich verliebt zu haben, was das bisherige Konzept meiner Sexualität völlig durcheinanderbringt. Er sagt oft „ja, cool“ und lacht dabei! Und ich stehe vor meinem Handy mit Hanteln in der Hand und lache dann auch. Weil er so sympathisch und motivierend ist. Ach, Eddy!

Manche Videos kommen direkt aus seinem Wohnzimmer. Sehr geschmackvoll eingerichtet. Dort habe er auch den Kraftsport angefangen, erzählte er mir: Zuhause – überhaupt nicht in einem gym, wie er es nennt. Ich bin also so, wie Coach Eddy einmal war! Das verbindet uns!

Wegen vorgezogener Arbeitszeiten musste ich heute ein Stündchen früher aufstehen, um mein tägliches Sportprogramm, dem ich alles unterordne, durchführen zu können: Fier Uhr. Viel mir nicht einmal schwer, da ich vorabends entsprechend früh im Bett war. Zudem genieße ich diese Stille früher Morgen, sieht man von dem unerträglichen Vogelgezwitscher einmal ab. Vier Uhr ist es bereits hell, wenn auch noch unter leicht gedimmter Sonne und auf den Straßen findet noch kein Verkehr statt. Jene Atmosphäre beim Laufen habe ich selten, es beflügelt einen, sodass jede Müdigkeit einer Euphorie weicht. Und dann komme ich nach Hause und denke

„Gestern bin ich um diese Zeit erst losgelaufen!“

Mixe mir einen Proteinshake und dazu ein Gemisch aus Zink und Magnesium, das ich dann versehentlich umstoße und es eiligst von der Arbeitsplatte in der Küche schlürfe, da „echtes“ Zink in Abgrenzung zu diesen billo und wirkungslosen Brausetabletten teuer ist. Und dann kommt der Kraftsport. Mit Coach Eddy. Diesem beeindruckenden Mann.

Über die Maßen beeindruckt sogar!, verschreckt gar, auf der einen Seite, doch auf der anderen Seite würde ich mir auch keine Trainingsprogramme ansehen, die ein Hemd wie ich online stüllte, für den der Begriff „skinny strong“ vielleicht zutrifft. Den Begriff habe ich mir gerade ausgedacht. Googelte ihn nun und finde:

„Jennifer Cohen: ‚Strong ist das neue skinny!'“

Geil, ich bin beides.

Bin aber Sexist. Fiel mir gestern auf, als ich bei Youtube „abs workout“ eingab. Und wenig überraschend kommen als Suchergebnisse für Übungen, die sich der Bauchmuskeln, also der abs, annehmen, überwiegend solche, die von Frauen vorgeführt werden. Die sind zwar in aller Regel sehr nett anzusehen, aber mein Unterbewusstsein ruft mir zu:

„Willst du jetzt ein Bauchprogramm einer Frau durchackern?!“

Mein tiefstes Inneres ist also der festen Überzeugung, dass Frauen offenbar ein frauenspezifisches workout anbieten, das Männer unterfordern würde. Ich wagte den Test. Gestern. Ich entschied mich für ein 30-minütiges Programm mit Chloe Ting.

Chloe war nicht gut drauf, so schien es mir. Sie guckte sehr böse, aber vielleicht war ihr das Training auch zu anstrengend. Mich hingegen hat es unterfordert, womit sich mein Unterbewusstsein bestätigt sah:

„Ich sach noch …“

Es gibt freilich auch Programme, durch die ein Mann und eine Frau führen. Warum? Um die Zielgruppe zu erweitern? Vielleicht, doch den meisten ist gemein, dass die Frau grundsätzlich immer die „Frauenvariante“ der Übungen durchführt, der Mann hingegen die harte Nummer durchzieht. Und leider verhält es sich so, dass mit „Frauenvariante“ eine einfachere, abgespeckte Version einer Übung gemeint ist.

„Nichts anderes habe ich gesagt! Außerdem labern die Frauen immer so viel in den Videos!“

In dem Punkt hat mein Unterbewusstsein Unrecht. Tatsächlich fiel mir auf, dass es die Männer sind, die, bevor sie sich überhaupt auf die gut eingeleuchtete Trainingsmatte begeben, erstmal fünf Minuten reden. Coach Eddy kann ich davon ausnehmen. Aber die meisten theorisieren vor sich hin, während ich bereits mit den Hanteln in der Hand dastehe und darauf warte, dass sie loslegen. Die Frauen hingegen liegen bereits auf der Matte, wenn ich komme und fangen umgehend an.

Dennoch ist das personal trainer-Geschäft bei Youtube eine Männerdomäne. Sie erklären auch mehr, muss ich zugestehen, denn beim Training mit Gewichten kann man große Teile seines Körpers zerstören – durch falsches Training und in der Regel trainiert man erst einmal immer falsch, weil man vielleicht übermotiviert ist oder einfach unwissen. Daher empfehle ich, sich vorher intensiv in die Nummer einzulesen und von Coach Eddy weiß ich auch, dass insbesondere die Schulter sehr verletzungsanfällig ist. Auch ich konnte schon einmal über mehrere Tage meinen rechten Arm nicht mehr anheben, weil mein Schulterblatt ungünstig zwischen zwei Rippen gerutscht war.

Heute Morgen brachte Coach Eddy mich wieder einmal zum Lachen, als er zu einer Übung sagte:

„Diese macht ihr am besten mit leichten Gewichten, da der Ellbogen hier sehr beansprucht wird. Ihr seht, ich habe gerade auch nur fünf Kilo auf meiner Hantel.“

Ja, das sehe ich tatsächlich. Was Eddy nicht weiß: Ich nahm für die Übung mein leichtestes Hantelset: zwei Kilo und kam mir damit ziemlich blöd vor. Also entschied ich, auf mein schweres Set umzusteigen und versuche zweimal zwölf Kilo nur mit Kraft meiner Schultern seitlich hochzuheben. Keine gute Idee, da nun mein Ellbogen schmerzt.

„Es muss brennen! Ich erlebe immer wieder Leute, die mit dem Training aufhören, wenn es brennt. Dann könnt ihr es gleich lassen!“, sagt Coach Eddy und lacht danach; nicht hämisch, sondern gewohnt sympathisch. Was ihn noch sympathischer macht: Er ist sich nicht zu schade, seine Anstrengung zu zeigen. Er schnauft und stöhnt genau wie ich, was mein Zimmernachbar vor einigen Wochen mit dem Stöhnen der Lust am eigenen Körper verwechselt hatte. Ich gebe aber zu, beide Arten zu stöhnen sind sich relativ ähnlich, nur dass das finale Brüllen ausbleibt.

Ich gebe zu, man fühlt sich durchaus etwas geil, wenn man jeden Morgen so vor sich hinpumpt, es vor allem einigermaßen richtig macht. Anfangs habe ich so ziemlich alles falsch gemacht, doch inzwischen weiß ich, was ich tue. Gebannt warte ich nun auf das Eintreffen des Muskelkaters, heute in den Schultern, da er eine im Übrigen durchaus gesunde Reaktion des Körpers ist, eine, die mir bedeutet, dass ich ausreichend trainiert habe.

Und morgen, da coache ich dann meine Mitbewohnerin. Und streue hin und dann ein „ja, cool“ ein. Und rasiere mir endlich mal wieder den Kopf. Nach zwei Jahren.