Ein heiteres Online-Magazin – und nichts anderes ist das seppolog – wäre kein heiteres Online-Magazin, verfügte es nicht über eine einfallslose „Was macht eigentlich ..?“-Rubrik. Jene Rubrik befasst sich in aller Regel mit Menschen, die einmal ein prominentes Dasein fristeten, jedoch irgendwann in Vergessenheit gerieten. Meist füllt diese Rubrik die letzte Seite eines Magazins zu etwa zwei Dritteln, da das dritte Drittel für das Impressum vorgesehen ist. Dieses hier ist somit die letzte Seite des seppologs, dessen Impressum Sie im Vollbild (in der Regel F11) hier einsehen können.

Zum Premierenauftakt, zur Auftaktpremiere, ist es dem seppolog, das weder unabhängig noch überparteilich ist, gelungen, den vormals hochpopulären Gunstbart Uebergebuer ausfindig zu machen.


Was macht eigentlich …

Gunstbart Uebergebuer?


Gunstbart Uebergebuer ist vielen Deutschen ein Begriff aus einer Zeit, in der Printerzeugnisse noch eine größere Rolle spielten, als es (ungerechtfertigter Weise) heute der Fall ist.

„Bislang habe ich noch keinen adäquaten Ersatz gefunden“, sagt Uebergebuer, der damit deutlich macht, dass der Auflagenrückgang der Tages-, aber auch der der Wochenpresse, bis heute nie kompensiert worden sei. So sei eine Lücke entstanden, die vor allem Facebook als Hort von Verschwörungstheoretikern eine laute Stimme verschafft habe. Facebook dürfe eigentlich nicht mehr als das Produkt eines privaten Unternehmens betrachtet werden, längst sei es ein Allmendegut. Erste Folgen dieser Fehlentwicklung lägen bereits vor:

„Ich verweise nur auf Trump, der – womöglich sogar bewusst – das politische System der USA zunächst unterwandert, um es jetzt schon zu manipulieren, ich verweise dabei auf die Besetzung von Richterposten und so weiter, das ist alles öffentlich und das amerikanische Volk sieht sehenden Auges dabei zu. Und wir raufen uns die Haare wegen Trump?! Wir sollten uns noch ein paar Haare übriglassen – denn der nächste Präsident profitiert von der trump’schen Niveauverschiebung nach unten. Es wird keinen Anlass geben, das Niveau wieder anzuheben. Trump ist jetzt schon das kleinere Übel – was uns allen zu denken geben sollte. Auch hier in Deutschland für unsere Verhältnisse. Es wird jetzt schon viel gejammert. Genau das führt uns ins eigentliche Verderben.“

Doch Uebergebuer beherrschte in seinen Hochzeiten auch den Boulevard. In seinen ersten „Was macht eigentlich ..?“-Rubriken ging es nicht nur um die harte Politik. Überhaupt: Ursprünglicher Zweck der von ihm erfundenen Textgattung war der, die Leser wieder an das jeweilige Printprodukt zu binden.

„Wir wussten damals schon, dass viele Magazine von hinten angefangen gelesen werden. Ziel war es, dass der Leser die letzte Seite aufschlägt und mit einer Person konfrontiert wird, von der er lange nichts mehr gehört hat – und sich dann selbst fragt: ‚Ja, was macht eigentlich ..?‘ und so weiter.“

Der Startschuss der Rubrik fiel 1983 im „Stern“ mit „Was macht eigentlich … Adolf Hitler?“. Begleitet wurde die Markteinführung der Rubrik mit der Veröffentlichung der Hitler-Tagebücher.

„Leider ein Fehlschuss, denn alle konzentrierten sich plötzlich nur noch auf die Tagebücher, während unsere Rubrik, die mindestens genau so gut gefälscht war, völlig unterging.“

Heute lacht Uebergebuer darüber, denn kaum eine Gazette findet heuer ohne diese Leser bindende Rubrik statt. Auch wenn die Marktforschung ergeben hat, dass es die am wenigsten gelesene Zeitungsseite überhaupt ist.

„Denn eines haben wir völlig verkannt: Wir wollten Menschen in den Vordergrund stellen, die in der Versenkung verschwunden sind. Und wir haben völlig unterschätzt, dass die meisten aus gutem Grund dort versunken sind!“

Auf die Frage, auf welche Person das beispielsweise heute zutreffen würde, antwortet Uebergebuer mit einem gönnerhaften Lachen:

„Madleine Manish fällt mir da sofort ein. Gefallener deutscher Kinostar. Früher das Symbol für den absoluten Sex, heute führt sie eine abgeranzte Kneipe. Glaube ich. Ja, sie wäre wohl eine Kandidatin für ‚Was macht eigentlich ..?‘!“

Selbstzufrieden lehnt sich Uebergebuer zurück in seinen Sessel, stopft sich eine zweite Pfeife und schmunzelt in sich hinein. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er sich die Selbstzufriedenheit leisten kann, sie sich hart erarbeitet hat.

Trotz 1991. Trotz dem Jahr, das zum Schicksalsjahr des Journalisten Uebergebuer werden sollte. Uebergebuer bereitete damals ein „Was macht eigentlich ..?“-Spezial vor. Eine Doppelseite sollte es ausnahmsweise werden, fernab des Impressums. Ihn bewegte die Frage:

„Was macht eigentlich Helmut Kohl?“

Die polemische Glosse bereits fertiggestellt als Druckplatte in den Heidelberger Druckmaschinen wird Helmut Kohl zu Uebergebuers Überraschung vom Bundestag wiedergewählt. Die Arbeit von Monaten plötzlich nutzlos geworden, hatte Uebergebuer doch ganz auf Lafontaine gesetzt.

„Mich hätte damals im Januar 1991 das Wahlergebnis aus dem Vorjahr mindestens skeptisch machen müssen.“

Sein politischer Instinkt hatte ihn damals verlassen. Es ist der Anfang. Vom Ende, wie er heute selbst sagt:

„Es war der Anfang. Vom Ende. Wie ich heute selbst sage.“

Die Neunziger, das Jahrzehnt, das das „Ende der Geschichte“ hätte werden sollen, bevor wir 2001 eines Besseren belehrt wurden, waren ein goldenes Jahrzehnt, nicht aber für Uebergebuer, der sich komplett in sein Privatleben zurückzog. Und das erst mit nicht einmal 50 Jahren.

Jetzt aber, im Alter von 73, kehrt Uebergebuer fulminant zurück! Was haben Sie die vergangenen Jahre gemacht?

„Ich habe eine neue gesellschaftspolitische Methode entwickelt!“

Stolz präsentiert Uebergebuer den „Schlag in den Nacken“. Dieser sei bestimmt für solche Wähler, die sich abgehängt fühlen, weil man es ihnen eingeredet hat. Viele von ihnen seien leider zum Werkzeug populistischer Irrer geworden. Ähnliche Beispiele habe es in der Menschheitsgeschichte leider schon sehr oft gegeben. Nicht selten führte es zuverlässig in die Katastrophe.

„Was dabei jedes Mal fehlte, war der ‚Schlag in den Nacken‘, um die Menschen wachzurütteln. Und auch heute spüre ich das Bedürfnis, hier und da mittels Schlägen in den Nacken den einen oder anderen Kopf wieder geradezurücken. Daher habe ich diesen Apparat erfunden, den ich heimlich bereits bei den ‚Montagsdemos‘ im Jahr 2014 getestet habe.“

Uebergebuer legt Wert darauf, dass der Begriff „Montagsdemo“ in Anführungszeichen gesetzt wird, geht dieser doch eigentlich auf die Demonstrationen des Jahres 1989 zurück, als sich das unterdrückte Volk der DDR gegen die Diktatur auflehnte.

„Pegida hat diesen Begriff vereinnahmt und missbraucht“, sagt Uebergebuer, „und das kommt einem ja irgendwie bekannt vor.“

Vergangene Woche dann traf uns die Meldung wie ein Schlag. Noch ein Interviewtermin war vereinbahrt, zu dem es nicht mehr kam.

Gunstbart Uebergebuer macht nun gar nichts mehr. Er verstarb im Alter von 73, nur wenige Tage vor seinem 75. Geburtstag.

Ja, so etwas schaffte nur Gunstbart Uebergebuer. Er würde sich dafür vermutlich selbst einen „Schlag in den Nacken“ geben. Ruhe sanft, kleiner Räuber. Deutschland ist ohne dich ein anderes Land.


Für meine Texte lasse ich mich über Gebühr auch auf meiner Webseite feiern: