
Ich finde ja nichts lächerlicher als miefigen Lokalpatriotismus. Wenn da Menschen auf etwas stolz in ihrer Stadt sind, das dem Rest außerhalb dieser an der Körpermitte vorbeigeht. Die Düsseldorfer sind da ganz groß drin, die denken stets nur im Superlativ und vergleichen sich grundsätzlich mit internationalen Metropolen und Köln. Mir hingegen würde sowas nicht passieren. Ich habe es nicht nötig, über Monate hinweg heraushängen zu lassen, wie toll angeblich dieses Provinzdorf Münster ist, in das ich gezogen bin, was womöglich noch nicht jeder mitbekommen hat. Ich erzähle auch nicht jedem, dass der hiesige Aasee der größte innerstädtische See der Welt ist, zumal ich glaube, dass das gar nicht stimmt. Ich penetriere auch nicht jeden mit der Information, dass der Hindenburgplatz, der so nicht mehr heißen darf, die zweitgrößte innerstädtische Freifläche Europas ist, weil das wirklich nur Münsteraner beeindruckt.
Nein, ich weiß, wann ein Thema durch, wann der Leser genervt ist. Mir liegt es fern, Dinge zu überstrapazieren oder gar überzustrapazieren.
Kürzlich kommentierte jemand auf meiner Facebook-Seite eine meiner nicht enden wollenden „ultimativen Lobhudeleien“ (Zitat Götz Alsmann, freilich Münsteraner) so:

Soll wohl heißen: Wir wissen es ja, ist gut, Seppo. Ich glaube aber, dass mein Lokalpatriotismus noch bei Weitem nicht deutlich genug geworden ist und lege jedem, der sich durch mein privilegiertes Leben belästigt fühlt (wodurch ihm sein beklagenswertes Leben erst bewusst wird), nahe, mir einfach zu entfolgen und weise auch darauf hin, dass ich ein Jahr lang ebenso permanent Fotos aus der Stadt Düsseldorf gepostet habe, woran sich auch keiner ausweilich einer entsprechenden Aussage gestört hat, obwohl Bilder aus der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt nun wirklich eine optische Belästigung darstellen. Interessiert eigentlich niemanden, dass eigentlich Münster die Landeshauptstadt ist? War? Bevor wir mit dem Rheinland zwangsvereinigt worden sind allerdings nur.
Uuuund ich weise auch darauf hin, dass ich Münster als Thema hier so lange penetriere, bis es mir und eben nicht anderen zum Halse raushängt; dieses ist ja schließlich mein Blog! Jeder kann jederzeit auf Diät- oder DIY-Blogs ausweichen.
Tag 45: Heute wieder zwei Kilo mehr auf der Waage. Was mache ich nur falsch?!
Du frisst zuviel.
Heute habe ich eine Tulpenvase aus Tonpapier gebastelt und möchte Euch erklären, warum sie nicht wasserdicht ist.
Nimm Löschpapier.
Der langen Einleitung mit Seitenhieb kurzer Sinn: Heute startet das seppolog endlich mal wieder eine knaller Serie!
Das Masematte-Lexikon
Masematte ist nicht ein, sondern der Münsteraner Soziolekt. Die Münsteraner sind unerträglich stolz darauf, also bin ich das auch, denn – viele haben es noch nicht gemerkt: Ich bin ja auch Münsteraner. Zumal ich es als in Münster aufgewachsener Jugendlicher freilich auch gesprochen habe, dieses Masematte, wenn auch nicht vollumfänglich.
Eine klassische Vokabel aus diesem slang ist zweifellos der Ausdruck jovel, der über die Grenzen dieser unvergleichlichen Stadt hinaus inzwischen verbreitet ist und lediglich „gut“ oder „schön“ meint. Wobei ja heute alles eher „nice“ ist, was ich extrem befremdlich finde und mir eine ordentliche chronische Kotzerei eingehandelt hat. Jovel allerdings habe ich nie verwendet, ebenso wenig wie die zweite repräsentative Vokabel Leeze für Fahrrad, womit ich die „Leezenheroes“ keineswegs vergraulen will, auch wenn ich meinen Finger auf das „heroes“ legen muss.
Eingang in meinen Wortschatz hingegen fanden Begriffe wie Plinte für (Unter-)Hose oder Patte für Portemonnaie. Auch diese beiden Beispiele sind überregional vertreten, was eben auch daran liegt – Nazis aufgepasst! -, dass Masematte viele jiddische Anleihen in sich trägt, wessenthalben die alten Nazis Masematte nicht so dolle fanden und viele der Sprecher mit ihren gängigen Methoden verfolgt haben (Deportation, Vergasung. Auch daran sollten wir in diesen Tagen öfter einmal denken und bitte nicht verleugnen, da das schon mehr als ein „Vogelschiss“ war). Darüber sollte sich jeder Münsteraner, der bald sein Kreuzchen bei den neuen Nazis machen möchte, vorher Gedanken machen.
Ein „Sieg heil, Schauter“ würde zum Beispiel bedeuten: „Sieg heil, Mann“, wäre aber eben dann doch ein seltsamer Widerspruch, der in Verfolgung enden könnte, wenn denn alles so schlimm kommt, wie ich es mir ausmale …
Masematte war letztlich eine Händlersprache, erstmals bezeugt Ende des 18. Jahrhunderts. Zumindest zu meiner Jugendzeit war es sehr „angesagt“, möglichst viele dieser Begriffe zu benutzen, bis sie irgendwann „normal“ wurden. Und so sage ich auch noch nach zehn Jahren im Rheinland:
„Ich geh mal eben zum Schont„,
wenn ich einen Toilettengang antrete. Dazu muss ich nicht einmal schicker sein, also betrunken, denn Schont ist für mich ein völlig normaler Begriff und jedes Mal vergesse ich, dass außerhalb Münsters niemand versteht, was ich damit ankündige, wobei die Frage legitim ist, warum ich das überhaupt ankündigen muss …
Künftig werde ich mir in loser Folge einen der rund 500 Begriffe des Masematte vornehmen und so tun, als wäre er Anlass eines Artikels hier, missbrauche ich ihn doch eher nur als Aufhänger für das Schreiben über diese sagenhafte Stadt, die nach zehn Jahren wieder meine Heimat sein wird, was viele vielleicht nicht wissen. Am vergangenen Samstag stürzten meine Mitbewohnerin und ich uns so auch in das vermisste Münsteraner Nachtleben und sofort fiel mir ein Bild auf, das ich vollkommen vergessen hatte: Ab frühen Abend hat wirklich jeder Radfahrer, von denen es in Münster bekanntermaßen sehr viele gibt, eine Bierflasche in der Hand. Sofort fühlte ich mich an meine damalige Zeit dort erinnert, als das auch für mich völlig normal war. Jeden Tag entdecke ich derzeit Dinge, oft nur Kleinigkeiten, wieder, die mir zeigen, dass ich wie auch meine Mitbewohnerin hier hin gehören. Und wäre ich nicht vor 14 Jahren randvoll mit meiner Leeze vor ein fahrendes Auto gefahren, würde ich nun auch wieder mit einer Lowine in der Hand durch Münster radeln.
Schautermann ist mein Lieblingsbegriff dieser Umgangssprache. Zwar bedeutet er lediglich so etwas wie „komischer Kerl“, doch benutze ich ihn als schweres Schimpfwort, was der Beschimpfte natürlich wissen muss, um sich angemessen beleidigt zu fühlen. Auf diese Weise habe ich schon oft Menschen beleidigt, die das gar nicht bemerkt haben. Kann von Vorteil sein.
Und wenn ich schon den Schauter erwähnt habe, darf das Gegenstück nicht fehlen, die Frau. Sie wird im Masematte Schickse genannt, was etwas abwertend klingt und zu naheliegenden Wortspielen einlädt, die ich aber nun Ihnen überlasse, während Sie sich auf den zweiten Teil dieser heiteren Serie freuen, die uns vielleicht erklärt, was Überpani-Murmelbeis meint. Denn die Vokabel ist auch für mich neu.
Herzlichst,
Ihr Sebastian Flotho, künftiger OB-Kandidat des Widerstands.

Auch jeder Nicht-Münsteraner, der bald sein Kreuzchen bei den neuen Nazis machen möchte, sollte sich darüber vorher Gedanken machen.
Im Übrigen finde ich Lokalpatriotismus nur auf ganz kleiner territorialer Ebene wirklich charmant. Wenn im niedersächsischen Dörfchen beim jährlichen Schützenfestumzug die Ortsschilder entfernt und einen Meter weiter in Richtung des rivalisierenden Nachbardorfes wieder in den Boden gerammt werden und man den so erzielten Gebietsgewinn schon mal unter den ansässigen Landwirten aufteilt: DAS ist charmanter Lokalpatriotismus! :-)
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„Jovel“ gehört zu den Worten, die ich mitgenommen habe, wobei ich „schofel“ ja auch mag, vielleicht aus dem Grund, aus dem Du den Schautermann magst. Dafür war der Münsteraner begriffsstutzig beim Feudel.
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Na,den Feudel kenne ich ja sogar 😛
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Münster ist das Zentrum der Illusion * Jan Brandt
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Tss, ostfriese …
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Ja, stimmt. Aber als Schriftsteller echt nicht doof.
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Ist im Aasee nicht gerade dieses fürchterliche Fischsterben?
Die Patte und Schickse kenn ich aber auch.
Fräulein Gänse ist da ganz grauselig.
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Es waren aus Düsseldorf importierte Fische.
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Das wird es gewesen sein. Lach…
Bei der Beschreibung der anderen Blogs musste ich auch laut lachen.
Immer wieder sehr amüsant bei dir zu lesen, Seppo.
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Schickse war das einzige Wort, das mir bekannt vorkam. Und das ist jiddischen Ursprungs. Find ich gut.
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Bin als Ethnologin schon sehr gespannt über weitere Vokabeln und Eigenarten der Münsteraner zu lesen! :-) LG, Merle
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Irgendwie komisch, jetzt hier wieder die Bilder von „zuhause“ zu „sehen“. Wird jetzt noch viel emotionaler werden für mich, Deinen Blog zu lesen, aber ich werde dran bleiben… versprochen. Echt schovel, alles. (Ich kenn nich viele Worte, aber bestimmte werden immer in meinem Wortschatz bleiben, ganz klar…)
… ich weiß einfach nich ob ich neidisch oder nicht sein soll. Anfangs wurde ich hier wo ich jetzt bin immer gefragt, wie ich denn von soo einer schönen Stadt in so ein häßliches Kaff ziehen konnte, so lange bis es mir aus den Ohren wieder raus kam (ja, ich weiß, hier lebt viel braunes Gesöcks und daher reden die auch so, weil sie eine wie mich hier halt nicht wollen, O-ton „Wir wollen hier keine Ausländer“, aber ansonsten war das halt auch nervig, als ob ich gerade so eine wäre), und bis heute bin ich hier nicht heimisch geworden und werd ich auch niemals… Da merkt man halt den Unterschied ob es in einem Kaff eine Uni gibt oder nicht!
Manches hat man einfach nicht in der Hand, so wie ich diesen schmerzlichen Umzug damals, das war halt nicht meine Regie und erklären kann man das eigentlich leider niemandem…
Jovel war doch auch mal eine Disco, oder nicht? Ich glaube ja… kann mich aber auch irren. ;-)
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Und es ist wieder eine Disco!
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Vielleicht solltest Du dem „Münsteraner Kreis“ beitreten.
Wenn ich hier lese, bin ich von den meisten Krankheiten geheilt. Auch bin ich Psychedelisch auf dem neusten Stand.
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Es gibt auch außerhalb Münsters Gegenden, in denen man solche Soziolekte versteht. Unser trierischer (moselfränkischer) Dialekt hat in nicht so feinen Vierteln viele Anleihen am eng verwandten Jenischen. Auch hier achelt der Hauz Bosert vom Keilof und schwächt Bani damit er nicht schickerones wird bevor rönt wat die Osnik schäfft und im Baies schunten geht. Auch in Luxemburg oder in der Schweiz gibt es Orte, in denen man solches Vokabular verknausert.
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