
Samstagmittag auf der B54 in falscher Richtung: nämlich aus Münster raus. „Ganz schön windig“, stellt meine Mitbewohnerin gerade fest, nachdem unser Auto unter Einwirkung einer Windboe auf die Gegenfahrbahn geraten ist. Nur haarscharf verfehlen wir den roten Fiat Panda, der uns dort entgegenkommt.
Wir fahren heute nach Ostwestfalen, wo wir auf einer Hochzeit gastieren. Ich bin wie sooft Stargast und habe vor einigen Minuten beim Ankleiden eine Entscheidung getroffen, die mir vor Augen hält, dass ich mich nun im 41. Lebensjahr gefunden haben.
„Ich sehe unverschämt kacke aus in dieser Stoffhose“, erkläre ich meiner Mitbewohnerin, die ihrerseits die passenden Schuhe für ihr Kleid raussucht.
„Die hellen oder die dunklen?“, bittet sie mich um Rat.
„So unfassbar scheiße“, sage ich.
„Welche? Die hellen?“
„Ich habe eine seltsame Körperform. Sah ich in Stoffhosen schon immer so grandios scheiße aus?! Das hätte man mir ruhig mal sagen können!“
„Beide. Ich nehme beide mit und entscheide vor Ort.“
Ich gehe in Schlafzimmer und ziehe die Adidas-Turnschuhe an.
„Sieht noch beschissener aus. Ich muss wohl doch die schicken Schuhe anziehen.“
„Oder soll ich das andere Kleid anziehen? Dazu würden die dunklen Schuhe auf jeden Fall passen.“
„Ich fange von vorn an“, sage ich und entledige mich der Schuhe und der Hose. In meinem Hosenstapel suche ich nach einer möglichst dunklen Jeans.
Ein Kleiderschrank wäre nicht schlecht, denke ich, während ich mir die bequeme Jeans anziehe.
„Mitbewohnerin, ich scheiß auf Etikette, ich gehe in Jeans. Merkt in Ostwestfalen eh keiner.“
Und nun sitze ich also im Auto und stelle fest, dass mir wieder ein bisschen mehr egal ist, was andere denken. Bei der letzten Hochzeit im Sommer erschien ich immerhin in kurzer Hose. Man muss es nur galant kombinieren und es souverän als Stil verkaufen, dann sagt keiner was, war so mein Gedanke und freilich bin ich nicht der erste, der auf diese Idee gekommen ist. Wobei, in dem speziellen Fall war es die Idee von Sabrina USA, einer in den USA lebenden Freundin. Und bei 30 Grad im Schatten war mir der Neid der Anzugträger ohnehin sicher. Wenn ich bei hochsommerlichen Temperaturen einen Anzug trage, sieht das nach 30 Sekunden in der Sonne ohnehin nicht mehr schick aus; vielmehr müsste ich die nassen Flecken an meinem Gesäß und zwischen den Beinen erklären.
Wenn das eine Begleiterscheinung des Älterwerdens ist, dann freue ich mich jetzt schon auf die 60! Spüre ich erste, sehr frühe Anzeichen einer gewissen altersbedingten Gelassenheit? Oder werde ich nur immer egoistischer?
Als Frage an den Leser gerichtet: Ist jemand unter Ihnen, der gerne Stoffhosen trägt? Diese Anzughosen, deren Beine mindestens einen halben Meter zu kurz ausfallen, was dann zutagetritt, wenn man sich hinsetzt und die Beine übereinanderschlägt?
„Schaut, ich zeige Euch heute meine kräftigen, weißen Waden umhüllt von einem Hauch von Kniestrumpf!“
Der Strumpfsaum „frisst“ immer die Beinhaare, wodurch sich im Laufe des Abends Rötungen ergeben, die durch leichtes Jucken auf sich aufmerksam machen.
Als ich eben meine Stoffhose aufs Bett warf, war mir irgendwie klar, dass ich sie nie wieder tragen werde. Ich habe durch diese Geste ein Kapitel abgeschlossen. Ich fühlte mich wie der Junge aus „Wunderbare Jahre“. Fast hörte ich auch diese angenehme Stimme des Ich-Erzählers aus dem Off, der sagte:
In diesem Moment war mir klargeworden, wo mein Platz war.
„Wunderbare Jahre“, S3F2
Warum soll ich mir das antun, wenn ich mich in einer herkömmlichen Jeans aus Bangladesch wohler fühle? Pflegeleichter ist sie auch. In rund zwölf Stunden bin ich mindestens betrunken, da will ich nicht darauf achten müssen, dass meiner Stoffhose kein Unglück in Form von Weinflecken oder sonstigen Verunreinigungen widerfährt. Eine Jeans hingegen, die hält das aus!
„Hmmm, ich wäre anders gefahren“, sage ich gerade beiläufig zu meiner Mitbewohnerin mit Blick aufs Navi.
„Du willst mich jetzt nur verunsichern, oder? Immerhin bin ich es, die hier fährt!“
Ja, das wollte ich. Einen auf miesen Beifahrer machen.
„Hast du noch vor zu bremsen oder soll ich schon mal den ADAC anrufen?“, setze ich nach.
„Sobald du abgeschnallt bist, bremse ich“, kommt zurück.
„Die linke Spur überlässt du heute also den anderen?“, frage ich.
„Ich überlasse dich gleich der Leitplanke.“
Es ist sehr warm im Auto. In unserem Ehevertrag steht geschrieben, dass stets der Fahrer über Innenraumtemperatur und Musikauswahl während der Fahrt bestimmt. Dafür darf sich der Beifahrer betrinken. Wir prüften die umgekehrte Konstellation, doch merkten wir schnell dass man beim Fahren schlecht trinken kann, da man nicht immer eine Hand frei hat.
Natürlich trinke ich gerade cainen Alkohol. Soweit bin ich noch nicht, dass es mir egal wäre, was die anderen darüber dächten, käme ich in das Gotteshaus hineingetorkelt, obwohl mir diese Vorstellung in der Theorie sehr gefällt. Mein Ruf wäre dann natürlich uriniert, aber beim nächsten Mal wären doch alle enttäuscht, wenn ich nicht torkelte!
Mein persönlicher Wunsch für heute ist ein volltrunkener Pastor. Sicher, dem Brautpaar würde das die Zeremonie vermutlich versauen, aber man würde sich ein Leben lang daran erinnern!
„Weißt du noch damals, als Pastor Papenmann bei unserem Ja-Wort auf den Altar gereiert hatte?!“
„Ja, was haben wir da gelacht! Es war wirklich unser schönster Tag!“
„Und als er dann plötzlich den Koran …“
Nach der kirchlichen Hochzeit geht es dann zur Lokalität, wo gefeiert wird. Die gute Nachricht: Das Brautpaar, das sich heute übrigens zum ersten Mal sieht, legte bei der Planung Wert darauf, dass jedes denkbare Getränk im Preis inbegriffen ist. Das bedeutet für mich als Bier-Verächter, dass ich auf meinen „Captain Morgen“ nicht verzichten muss. Und schon bin ich versöhnt mit dem Umstand, dass ich diesen Jahrestag in OWL verbringe.
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Auf die altersbedingte Gelassenheit darfst du dich freuen, davor gibt es aber noch einige Kröten zu schlucken, die mindestens so schlecht wie eine Stoffhose den Hals herunterrutschen. Abgesehen davon, Hochzeit in OWL ist doch prima, da wird mindestens so viel getrunken wie im Sauerland. Und im Gegensatz zum Oktoberfest hat man sogar einen Sitzplatz. Bei Oktoberfest fällt mir ein, wäre nicht so eine Krachlederne die ideale Allzeitbekleidung für dich? Fragt sich, Korrekturarbeit vermeidend, Frau Heming
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So sieht es aus, wenn du dein Blog abwickelst? Dann muss ich mir wohl caine Sorgen machen, noch lange was zum Lesen zu haben. Gott und Münster sei Dank.
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Eine solche von dir beschriebene Szene bei der Kleiderwahl muss wohl auch dem Loriot irgendwann mal das Vorbild für den Sketch gegeben haben, oder? Gut auf den Punkt gebracht :-)
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Wenn ich so genauer darüber nachdenke, komme ich zu dem Schluss, dass Alkohol so ziemlich das Einzige ist, was einen mit dem Umstand eines Aufenthaltes in OWL versöhnen kann … :-)
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dünnes Eis ;)
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Ich weiß. Ich liebe das Risiko, Leben am Limit und so. ;-)
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