Das Drama um Star-Blogger begann hier! Aber auch unabhängig davon lesbar.

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Bloggen hat den Nebeneffekt, dass man damit Zeit totschlagen kann, mitunter auch Leser. Ich sitze nun im Wartezimmer und wäre fast das erste Mal in meinem Leben zu spät irgendwo hin gekommen, da ich vergessen hatte, dass ich mein Auto wegen chronischen Parkplatzmangels in dieser verfluchten Stadt im benachbarten Stadtteil geparkt hatte. Gerade noch pünktlich muss ich dennoch warten und sitze – ich beschreibe nur die Realität – zwischen älteren Menschen, die an Leibesfülle und Ausdünstungen nicht sparen. Es ist aber auch warm und stickig hier im Warteraum und ich werde heute noch viel warten müssen. Ich schwitze leider auch. Und auch genau da, wo sonst nur meine rechte Hand und meine Mitbewohnerin exklusiven Zugriff haben. Das ist mir vor der Ärztin natürlich leicht unangenehm, aber dann möge sie die Praxis hier klimatisierien. Sie ist jung und hübsch übrigens. Heute ist ihr Glückstag.

Ich habe gestern den Fehler gemacht, mir durchzulesen, welche Komplikationen bei einem Leistenbruch auftreten können. Da können Nervenbahnen durchtrennt werden, Teile des Darms absterben und eine versehentliche Kastration ist auch nicht ausgeschlossen. Das war ein absoluter Stimmungstöter, nachdem man mir bereits von Urinbeuteln statt Penis berichtet hatte.

Ich warte nun seit rund einer Stunde und frage erst gar nicht, warum Ärzte ihre Termine, also meine Termine, so organisieren. In meiner Welt ist es so: 11 Uhr 40 heißt 11 Uhr 40. Einige von meinen Leidensgenossen gehen hier zwischendurch an der Anmeldung fragen, wann sie denn drankämen. Hat das das Warten eines Patienten jemals verkürzt?!

Ich habe derweil alle hier im Raum überlebt und dürfte der nächste sein. Reine Theorie. Vermutlich werde ich eh erstmal nur auf einen Stuhl vor eine Tür verpflanzt, wo ich dann weiter warten darf.

Vor mir sitzt einer, der – ohne das Auslösegeräusch auszuschalten – Fotos der „AutoBild“ schießt, die er durchblättert. Irgendwelche Tabellen zu Motorenleistungen. Ich glaube, er ist nur hier, um der Printjournaille auf diese Weise Schaden zuzufügen. Neben mir sitzt eine, die mitliest, was ich auf meinem Handy schreibe. Hallo. Wartest Du schon lange?

Einige der Patienten hier stöhnen in regelmäßigen Abständen, um uns anderen zu signalisieren: „Ich warte schon sehr lange.“ Wieder ein anderer kämpft mit dem Fenster. Macht es auf, und es fällt wieder zu. Derjenige bin ich. Ich würde gerne meinen Schritt noch einmal durchlüften. Aber je länger ich hier warten muss, desto mehr Lust habe ich, es der Ärztin olfaktorisch zurückzuzahlen.

Nanu, jetzt kam aber jemand dran, der erst nach mir kam! Ein Wutbürger würde nun aufstehen und diesen Umstand lauthals jedem in der Praxis mitteilen. Ich hingegen: die Ruhe selbst. Obwohl ich natürlich kotzen könnte.

Ich muss gleich noch meiner Mitbewohnerin im „Mediamarkt“ einen neuen Rechner kaufen. Wir waren am Samstag bereits im „Mediamarkt“, aber ihre Entscheidungsfreude kennt frühe Grenzen. Sie entschied sich dann zuhause und der kranke Mann mit Leistenbruch würde ihr ja sogar die Welt zu Füßen legen, wenn es denn gewünscht ist, aber er darf nur fünf Kilo heben und zunächst genügt ein Lenovo All-In-One mit gefühlten 40 Zoll (acht Kilo!).

Puh, meine Geduld wird arg strapaziert. Ich hätte gerne schon während dieses Wartevorgangs eine Vollnarkose bekommen.

Die genervten, Augen verdrehenden Blicke meines Gegenübers bringen mich zum Schmunzeln. Ich muss so tun, als läse ich gerade was wahnsinnig komisches auf meinem Handy. Oha. Ihm reicht’s! Er steht auf und beklagt sich. Der kam weit nach mir … Ich werde heute allerdings auch erfragen, ob man hier immer mit dieser Wartezeit rechnen müsse, denn dann würde ich beim nächsten Mal einfach zuhause warten und zwei Stunden später kommen.

Der nächste steht auf. Geht zum Fenster. Öffnet es. Es fällt wieder zu. Wie bei mir. Hätte er wissen können. Wir sind eingesperrt. Eine Schicksalsgemeinschaft. Man überlegt schon, wen man als ersten isst. Ich würde ja sagen, den krankesten. Ich weiß nicht, was sie haben, aber mit einem Leistenbruch könnte ich gute Chancen haben, nicht der erste zu sein. Nun liegt es mir aber auch fern, jemanden zu essen, zumal es hier auch keine Getränke gibt.

Wir sind nur noch zu dritt. Alle anderen sind vorne, sich beschweren. Sie kehren nicht zurück. Offenbar ist es keine gute Idee, sich zu beschweren. Immerhin arbeiten hier Chirurgen, Künstler am Messer also. Und unten im Gebäude ist ein Metzger. Ich schätze überhaupt Filme wie „Delicatessen“, wo ein Metzger Menschenfleisch serviert.

Oh, ich habe mich gerade dabei erwischt, genervt geguckt zu haben. Ja so langsam könnte man sich mal meines Leistenbruch es annehmen.

Nach neunzig Minuten (das übrigens in Düsseldorf in der Neunzigstraße!) bin ich gerade der einzig verbliebene im Wartezimmer. Ohne Witz jetzt, aber alle anderen sind auch weg. Schließt die Praxis gerade? Wurde ich vergessen? Im Ernst. Hier stimmt was nicht.

An sich sollte es hier nur ums Wartezimmer gehen, aber ich bin um eine Erfahrung reicher. Mein Hinterausgang, mein Anus Seppus, bleibt Einbahnstraße. Und ich verstehe, dass man eine anale Vergewaltigung nicht einfach mal so über sich ergehen lassen kann, sie ist definitiv mit schwersten Schmerzen verbunden. Hintergrund der heutigen Enddarmuntersuchung ist der, dass ein Leistenbruch irgendwas mit dem Enddarm zu tun haben könnte. Bei mir nicht. Überhaupt, das war heute alles würdeloser als bei meiner Musterung. Da steckte der Finger einfach reglos drin, dieses Mal hat er irgend etwas getan. Gekreist. Rotiert. Gesucht. Dann liegt man da mit Arsch Richtung Ärztin und Arzthelferin, die ich ausnehmend sympathisch fand, die aber nun meine tiefsten Geheimnisse kennt. Man kann dann nicht mehr unbeschwert flirten. Vorher noch heitere Scherze gemacht, ihr sogar am Rechner geholfen, weil der abstürzte und dann die viel zu frühe körperliche Offenbarung. Aber weibliche Leser, so genannte Leserinnen, wissen das natürlich besser als ich.