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Blut und Gedärme ab 14 Uhr heute! (Kleiner Anreißer für neue Leser …)

Wie ich hier und da dezent einfließen ließ, laufe ich seit einigen Wochen mit einem Leistenbruch herum. Heute ist Tag X, der Tag, an dem die Stelle mit einem „X“ markiert wird, an der gegen 14 Uhr operiert wird. Dieses X ist wichtig, denn ich möchte nicht aus der Narkose aufwachen und feststellen müssen, dass mir versehentlich ein Körperteil abgenommen wurde. Ich bange da im Speziellen um meinen Penis. Selbst wenn meine Ärztin das X trifft, was ich ihr natürlich zutraue, bewegt sie sich damit in einer Region, die wichtig wird für mein Vorhaben, mich zu duplizieren unter Hinzunahme einiger Fremdgene, derer nämlich meiner Mitbewohnerin. Da liegen Harn- und Samenstrang, da liegen den Hoden versorgende Blutgefäße, da liegt für die Menschheit sie rettendes Potenzial. Wir haben am Wochenende noch eimerweise meiner Spermien eingefroren (Bei Interesse kurze Mail an kontakt@seppolog.de. Ich verspreche Hochleistungsmenschen mit tollen Fähigkeiten und Eigenschaften! [In seltenen Fällen kann es zu Realitätsverlust und überzogener Selbstwahrnehmung kommen.]).

Noch eine Stunde darf ich essen und trinken, denn vier Stunden vor dem ambulanten Eingriff habe ich nüchtern zu sein. Da ich ohnehin nicht frühstücke, ist das kein Thema. Nur ums Trinken tut’s mir leid. Ich fahre mit dem Auto hin, meine Mitbewohnerin fährt uns wieder zurück. Sie überlegte allen Ernstes, während des Eingriffes shoppen zu gehen! So sind sie, die Frauen: Konsum schlägt Liebe.

Auf meinem Handy-Display sah ich eben nach dem Aufwachen Anrufe meiner mich umsorgenden Arztpraxis. Ich rief also zurück mit der Frage, was die jetzt noch kurz vor der OP von mir wollten? Haben sie herausbekommen, dass sie heute einen TV-Megastar aufschneiden?! Damit eine gewisse Verantwortung tragen?! Millionen Zuschauer von NRW.TV gehen nämlich heute nicht gewohnt routiniert ihrem Tagwerk nach, sie sind in Gedanken bei mir. Bei einem Menschen, der so gar nicht zur Selbstüberschätzung neigt.

Meine Kollegen haben mich im Vorfeld gewarnt: „Seppo, Dir ist klar, dass wenn Du aufwachst, wir da mit einer Kamera stehen und schon die ganze OP mitgedreht haben!“ Natürlich, das wären Bilder, die bewegen, den Zuschauer abholen und ihn im Herzen berühren. Aber tatsächlich sind die Kollegen heute auf einem anderen Dreh, der mehr Quote verspricht als ein popeliger Leistenbruch. Und wenn es Menschen gibt, die ich unmittelbar nach dem Erwachen nicht sehen möchte, dann meine Kollegen. ;) Zwei von ihnen schrieben mir bereits heute Morgen netterweise persönlich. Die eine riet mir, in den zwei Wochen, in denen ich krankgeschrieben bin, nicht einmal die Sendung zu gucken, bei der ich sonst mitwirke. Und auch die andere schrieb „Denk nicht an uns!“. Das sind Kolleginnen, die ich sehr schätze und in der Tat plane ich zwei Wochen der absoluten Entspannung, wobei ich vor allem seelische Entspannung meine. Es gibt Dinge, an die ich nicht mehr denken müssen muss. Denken müssen muss?! Ist das korrekt?! Denken müssen will, muss es heißen. Wenn die OP ohne Komplikationen verläuft, danke ich meinem Schicksal geradezu für diesen Leistenbruch, der mir zwei freie Wochen beschert. Wobei es natürlich einfacher gewesen wäre, mir zwei Wochen Urlaub zu nehmen. Ach, hab‘ ich ja. Direkt nach dem Krankfeiern! Hurra! Möchte man da rufen! Man ruft heutzutage gar nicht mehr „Hurra!“. Warum eigentlich nicht? Ich richte von meinem Krankenbett aus eine Online-Petition ein mit dem Titel „‚Hurra‘ statt ‚Guten Tag'“. Ich werde viel bewegen von meinem Bett aus in den nächsten 14 Tagen. Nur nicht mich. Ich sehe mich da als John Lemon und Yoko Ono in einer Person. Natürlich, er hieß nicht „Lemon“. Johannes Zitrone. War ein deutscher Straßensänger, der den Fehler machte, stets in Einbahnstraßen aufzutreten, was schlecht fürs Geschäft ist. Sein Vetter, Lutz Limone, hat es besser machen wollen und stand an Autobahnen. War aber auch nicht viel ertragreicher.

Ich rief also in der Praxis zurück, noch leicht verpennt. „Ich hatte Ihre Nummer auf meinem Display.“ Immer ’ne super Info. Leider hatte ich eine Mitarbeiterin am Apparat, die nur sehr gebrochenes Deutsch spricht. Was völlig in Ordnung ist. Man muss es ja in diesen Tagen betonen. Ich finde das toll! Absolut problemlos. Gut, ich verstehe sie nicht, aber das ist egal, ich freue mich, dass sie unser Land, das derzeit einige erhebliche Schwächen in der Willkommenskultur offenbart, die es sich angesichts der Jahre nach der Weimarer Republik an sich nicht leisten dürfte, mit ihrer Kompetenz bereichert. Ich meine das nicht einmal ironisch. Denn irgendwann flüchten wir möglicherweise auch mal. Dann wird der ein oder andere, der derzeit braun und unreflektiert rumpöbelt, aber Augen machen! Also irgendwie begriff sie dann, dass ich wissen wollte, was man von mir wissen wollte und sie bat um einen Moment Geduld und drückte eine Taste an ihrem Telefon, was mir ein Piepton („Tastenquittungston“) signalisierte. Dann sprach sie mit einer Kollegin. Ich glaube, sie dachte, die Stummschalttaste gedrückt zu haben, denn als sie sich wieder mir zuwandte, drückte sie abermals eine Taste: „Herr Flotho? Hören Sie? …“ Ich tat freilich so, als hätte ich nicht das Gespräch belauscht und tat ebenso, als sei für mich neu, dass ich bereits eine halbe Stunde früher im OP-Zentrum erscheinen solle. Und ob ich noch fragen hätte. Hätte, nein, hatte ich nicht. Ich will ja die Schrumpfhoden-Nummer nicht noch einmal ansprechen.

Rasieren darf ich ich übrigens nicht. Also nicht da unten in meiner „Area 51“. Das machen die im OP-Zentrum. Gerne, wenn ich in der Narkose liege. Hintergrund ist der, dass man die Haut dabei leicht verletzt und Verunreinigungen riskiert, die nach der OP ein Problem für die Wundheilung werden könnten .

Es ist halb zehn, ich darf nur noch eine halbe Stunde lang etwas essen und trinken. Trinke also die doppelte Menge Kaffee.

Da ich nicht weiß, ob ich heute Abend nach der Narkose willens zu schreiben bin, wird das ein oder andere in Video-Form hier erscheinen. Kommt heute gar nichts mehr im seppolog, wäre das kein gutes Zeichen. Ich wünsche uns allen angenehme zwei Wochen. Ich weiß nicht, was Ihr tut, aber ich gucke Netflix zuende!

Update

Ich bin etwas überrascht ob der Glückwünsche, die mich erreichen. Vielen Dank dafür. Es ist letztlich natürlich nur eine Routine-OP, die ich gnadenlos aufbausche. Aber was machen wir uns vor?! Noch heute kann es mit mir zuende gehen. ;) Und wenn dem so ist, wird mancheiner sagen „Das hat er genau so geplant, damit er bloggen kann ‚Ich bin tot – Teil I'“. Ich verspreche, ich blogge nach meinem Tod nicht mehr. Dann vlogge ich.