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Zwischen den Jahren. Es ist nicht 2015 und es ist noch nicht 2016. Streng genommen ist natürlich sowas von 2015. Aber irgendwie schweben wir im Nirgendwo. In einer Zeit, wo kaum einer fernsieht und kaum jemand im Netz unterwegs ist. Meine Blog-Statistiken wissen, wovon ich rede.

Also trinkt man Wein, während die Mitbewohnerin Plätzchen backt. Und dann stoße ich völlig unvermittelt auf völlig vergessene „Tagebücher“ Hitlers meiner selbst aus dem Jahre 1994.

Es ist also ein Artikel außer der Reihe. Der nie mitgezählt wird. Er findet statt in einer Zeit im Nirgendwo. Im Nichts. Zwischen den Jahren eben. Nicht zu verorten. Man liest ihn vielleicht, aber vergisst ihn. Und das, obwohl das demokratische Internet, das es gar nicht mehr ist, nie vergisst. Doch diesen Artikel wird es vergessen.

Früher nutzten wir Löschpapier als Datenträger. Was heute der Windows-Papierkorb ist, war damals Löschpapier. Obwohl Löschpapier nie etwas gelöscht hat, wenn man mal genauer darüber nachdenkt. Doch Denken ist meine Sache gerade weinbedingt nicht.

In meiner Situation kommt man irgendwann auf die Idee, die Leute aufzusuchen, die einen genau so toll finden, wie man sich selber. Doch finde ich mich wirklich so toll?! Ein wenig. Ist ja auch nicht verwerflich. Man stelle sich vor, ich fände mich scheiße. Ja, wo sollte das hinführen?! Das kann ja wohl kaum die Alternative sein.

Heute war ich in meiner Heimat, Weihnachten war Anlass. Ich war dort, wo anno pief meine Videothek war, als man sich noch VHS-Kassetten auslieh. Mit 18 lieh ich mir dort den ersten Porno aus und geriet in Verlegenheit, als ich mit meiner damaligen Freundin einen weiteren, unverfänglichen, Film, auslieh und man mir sagte: „Sie haben ja noch einen Film zuhause…“

Nun gut, die notgeile Zeit ist vorbei, obwohl an Pornos nichts schlecht zu finden ist.

Gerade fand ich also oben erwähntes Buch, das ich 1994 beschrieb. Ich las es meiner Mitbewohnerin vor. Es geht dort um einen Dänemark-Urlaub mit meinen Eltern 1994. Damals schrieb ich noch handschriftlich und offenbar so etwas wie ein Tagebuch. Ich las auch ihr vor, was mir selbst nach so vielen Jahren neu war. Ich beschreibe dort meine ersten Erfahrungen mit einer ersten Verehrerin. Tini hieß sie. Natürlich erinnere ich mich an sie und schrieb schon damals, dass sie mit 14 zu jung war, während ich offenbar 16 war. Das war damals scheinbar ein zu großer Altersunterschied.

Ich lese meiner Mitbewohnerin plötzlich Zeilen vor, die ich vor 21 Jahren schrieb und erinnere mich an die dort geschilderten Kleinigkeiten. Unglaublich. Meine ersten sexuellen Erfahrungen. Die ersten Abwägungen, ob die Frau was für mich wäre. Und ich werde melancholisch. Unfassbar. Mir war aber nicht bewusst, dass ich schon damals jeden Aspekt meines Lebens niederschrieb. Ihr könnt nur erahnen, was das eben in mir ausgelöst hat. Es ist unfassbar. Wirklich unfassbar. Da lese ich Handschriftliches aus meiner Feder, das 20 Jahre alt ist. Meine Mitbewohnerin kommentierte mit:

„Du hast schon damals so geschrieben wie heute.“

Und sie hat Recht. Die Witze etwas flacher, etwas gewollter als heute, aber letztlich erkenne ich mich wieder. Was ganz ernsthaft und uninteressant für Euch mal echt interessant ist. Da erkennt man sich selber wieder. Ich bin eh seit einigen Tagen auf einem Trip durch meine Vergangenheit. Doch irgendwann erinnert man sich nur noch an die Erinnerung, nicht mehr an das Ereignis selber. Wir werden – im besten Fall – so alt, dass wir uns nicht unser selbst erinnern, sondern nur unserer Erinnerung.

Jetzt, an Weihnachten, machte ich viele Fotos von der „Bescherung“ und sagte meinem Vater: „Alles muss festgehalten werden.“ Er sagte: „Wann wirst du dir diese Fotos ansehen? Im Alter tust du es nicht mehr.“ Er hat Recht. Will ich mit 70 sehen, wie fidel ich noch mit knapp 40 war?! Ich habe jetzt schon Probleme, mir Fotos anzusehen, die zehn Jahre alt sind. Ich bin da sehr melancholisch. Aber es gehört dazu, dass ich jedes Heiligabend als Video festhalte. Und das passt eben, dass ich ungern solche „Tagebücher“ lese, die ich 1994 geschrieben habe. Weil ich dann denke: „Das ist 20 Jahre her!!!“ Ich kann das nicht begreifen. Dass man dann doch so alt ist. Ich weiß, dass das ältere Leser von Euch sehr gut nachvollziehen können.

Das Video der diesjährigen Bescherung mit meinen Eltern hat es verdammt lorioteskes. Während meine Mutter darüber sinniert, ob es im Januar wohl viel Regen gebe (Meinem Vater wurde ein Regenschirm geschenkt!), sagt mein Vater angesichts der vielen ihm geschenkten Bücher: „Ich lasse mir gerne mal was zum Lesen schenken.“ Und man sieht in seinen fragenden Augen die Abwägung, welches der Bücher er tatsächlich lesen wird und welches er weiter verschenkt.

Ich war heute an meiner alten Grundschule. Schrieb ich schon? Keine Ahnung. Was für ein Schwall von alten Erinnerungen überkam mich da. Gar nicht fassbar, nicht begreifbar.

Es gab damals an meiner Grundschule so ein Geländer, wo wir uns als Kinder irgendwie reinhingen, Ihr müsst das jetzt so hinnehmen. Und heute, 30 Jahre später, hing/hängte (Wein) ich mich wieder in das Geländer. Was für ein Gefühl. Nach so vielen Jahren zurück an alter Wirkungsstätte. Unglaublich. Und da erinnerte ich mich an eine Szene, wo ich vor dem Eingang und um der Belustigung meines Freundes wegen meinen Mund wie ein Geistesgestörter verzog, ohne mich über Geistesgestörte lustig machen zu wollen. Nur kam damals meine Klassenlehrerin von hinten, die mich dann leider wirklich für leicht gestört hielt, als sie sah, wie kurios ich meine Fresse verzog. Sie hatte das damals leider nicht als Scherz verstanden. Übrigens war der Freund neben mir damals mein Kumpel Pavel, der heute noch hier und da eine Rolle im seppolog spielt.

So ist das mit Erinnerungen, man vergisst manchmal das Große, aber erinnert sich kleiner Dinge, die eigentlich völlig unwichtig sind.

Wird man Weihnachten nachdenklich? Ja. Ich sowieso. Allerdings auch außerhalb von Weihnachten. Ist es vielleicht so, dass wir nur zu Weihnachten über uns nachdenken? Und wie wichtig sind wir eigentlich, dass wir über uns nachdenken? Tatsächlich sind wir doch alle für sich genommen völlig unwichtig. Das Leben geht auch für die meisten ohne uns weiter. Ich kam in den letzten Tagen an vielen Häusern meiner alten Nachbarschaft vorbei, in denen Menschen meines Alters das Leben gegen den Tod getauscht haben. Lungenembolien sind bei uns sehr verbreitet. Und dennoch geht es weiter, das Leben. Ist das nicht eine riesige Scheiße? Ich bin an Häusern vorbei gelaufen, wo ich wusste, hier sind 2015 Menschen gestorben. Hier, hinter diesen Mauern. Und dennoch wird irgendwie auch dort Weihnachten gefeiert.


In Wort und Bild tickere ich mein Weihnachten übrigens auf meiner Facebook-Seite!

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