kitzlerbild

Ein heiterer Samstagabend, der da hinter meiner Mitbewohnerin und mir liegt. Freunde zu Gast, mit denen die derzeit üblichen Themen wie Flüchtlingskrise, ISIS: Pro und Contra und Dildos abgearbeitet worden sind, wobei ich nach wie vor für mich feststelle, dass ich zu vielen technischen Gerätschaften beim Liebesspiel doch eher abgeneigt bin, aber letztlich bleibt der Frau überlassen, was sie sich wo ‚reinschiebt. Ich hingegen habe nur Aus-, keine Eingänge. „Hier nur Ausgang“ habe ich mir entsprechend tätowieren lassen.

Abgesehen davon, dass unsere Türklingel kaputt ist, stört nur unser Nachbar Herr Kitzler den Abend, als er gegen unsere Wohnungstür bollert. „Ist Ihre Klingel kaputt?!“ ruft er aufgebracht im Hausflur. Das können wir aber nicht hören. Wegen der lauten Musik bei uns. Ich habe es also nur dazu erfunden. Das ist die Freiheit des Dichters. Herr Kitzler trägt auch keine Hose. Was wir aber Gott sei Dank der lauten Musik wegen nicht sehen können.

Das Bollern an die Tür interpretieren wir nach einigen Minuten zum Klingeln um, sodass ich – gerade mal nicht Mittelpunkt der Gespräche, was Wunder nimmt und mich irritiert – zur Tür gehe in der festen Absicht, sie zu öffnen. Und da bietet sich mir mit ein Bild mit Herrn Kitzler als Motiv.

„Hallo, Herr Kitzler!“, begrüße ich den vermutlich Siebzigjährigen.

„Sagen Se mal, Herr Flotho, ist Ihre Klingel kaputt?“

„Ja. Sie klingelt nicht. Wir dachten lange Zeit, es würde auch niemand hier klingeln. Da aber in der letzten Zeit vermehrt an unsere Tür gebollert wird, gehen wir von einer schadhaften Schelle aus.“

Die zwei Schs. Schadhafte Schelle. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie viele Menschen in dieser Welt vor verschlossenen Türen verharren wegen der zwei Schs. Bestimmt viele. Aber erträglich viele im Verhältnis zur Gesamtmenge an Menschen. Vermutlich ist es nicht das drängendste Problem der Menschheit. Es wird Studien geben, die sich damit befassen und zu irgend einem Ergebnis gekommen sind, das nicht Anlass zur Sorge bereitet. Man kann es nur ahnen. Und, Sabrina: Man ist ja jetzt schon müde.

Also. Zurück auf die Bühne, wo Herr Kitzler steht und ich sowieso. Herr Kitzler erhebt seine Stimme, um sein Anliegen druckreif vorzutragen:

„Ich finde Frau Kitzler nicht.“

Herr Kitzler findet Frau Kitzler nicht. Frau Kitzler ist seine Frau. Nicht seine Tochter, nicht seine Tante, nicht seine Mutter, nicht sein Bruder – Frau Kitzler ist seine Frau.

„Sie finden Frau Kitzler nicht?!“ wiederhole ich laut seine Aussage, damit meine Gäste teilhaben können an diesem nicht schlechten Witz. Sarah, die zu Gast ist, bricht als erste in Lachen aus und seltsamen Geräuschen entnehme ich an meiner Wohnungstür stehend, dass sie sich vollkommen zurecht am Sekt verschluckt haben muss, da ihr plötzliches Lachen zu einem ungünstig gewählten Zeitpunkt akut wurde.

„Mit vollem Mund lacht man nicht“, höre ich Sonja sagen, deren Nachnamen ich hier verschweige, auch oder obwohl er dem männlichen Geschlechtsteil sehr nahe kommt. Die arme. Soll aber hier gar nicht Thema sein.

„Ihre Frau ist weg?!“, frage ich Herrn Kitzler.

„Ja. Sie ging vor zwei Stunden und kam nicht zurück.“

„Wohin ging sie denn?“

„Ja, wenn ich das wüsste!“

Meine Mitbewohnerin stößt zu unserer Raterunde dazu: „Ging sie mit Koffern?!“

Ich werfe ihr einen mahnenden Blick zu, denke dann aber, dass die Frage vielleicht der Schlüssel zu ihrer Beantwortung ist.

„Was soll sie mit Koffern?!“, fragt Herr Kitzler.

„Ich hab‘ jetzt so ’nen Reise-Trolley übrigens. Der hat nämlich doch Handgepäck-Größe!“, sage ich.

„Das will Herr Kitzler vermutlich gar nicht wissen!“, mahnt nun meine Mitbewohnerin.

„Ja, aber es fiel mir gerade ein. Es passt doch in den Kontext.“

Herr Kitzler: „Sie hatte keine Koffer dabei. Ich wüsste doch, wenn sie verreisen will. Im März verreisen wir. Wenn Sie da unseren Briefkasten leeren könnten?! Aber Frau Kitzler wird Sie da noch einmal entsprechend einweisen. Ich weiß sowieso nicht, warum wir soviel Post bekommen.“

„Ja, man steckt nicht drin.“, sage ich, weil mir nichts anderes einfällt. „Is‘ sowas.“

„Was soll ich essen?!“

„Nein, meine Oma sagte immer ‚Is sowas‘, wenn irgendwas war, was eigentlich keines Kommentars bedarf.“

Nun kommen auch Sonja und Sarah dazu, was mir nicht gefällt, denn nun ist die Party endgültig gespalten. Ein Teil sitzt in der Küche, der andere schart sich um Herrn Kitzler, der völlig überfordert mit der Situation ist.

„Sie wissen schon, dass die Klingel kaputt ist? Wie sind denn alle hier ‚reingekommen, wenn sie nicht schellt?“, fragt er.

„Sie haben alle an die Tür gebollert.“, sage ich.

„Wenn Sie Frau Kitzler sehen, können Sie ihr dann sagen, dass ich sie nicht finde?“

„Ja.“

Aber warum sollten wir in unserer Wohnung an diesem Abend noch Frau Kitzler sehen? Ich wäre sehr irritiert, wenn sie beispielsweise in unserem Wohnzimmer sitzen würde, während wir in der Küche eine kleine, exklusive Party feiern.

„Sie machen ’ne Sause, was?!“, fragt Herr Kitzler.

„Ja. So in etwa.“

„Sicher, dass Frau Kitzler nicht da ist?“

„Ja, obwohl ich zunehmend unsicherer werde.“

Ich schlage Herrn Kitzler, der wirklich, das muss ich hier mal sagen, ein extrem netter Mann ist, der aber möglicherweise hier und da etwas Abnutzungserscheinungen aufweist, was ich übrigens mit für das Schlimmste überhaupt halte, was einem Menschen widerfahren kann, vor, an einer Wohnungsbegehung teilzunehmen. Aus meinen Jahren in der Altenpflege weiß ich, dass man auch auf die wirrsten Geschichten eingehen muss, um den möglicherweise Verwirrten nicht noch mehr zu verwirren. Also suchen wir Frau Kitzler in unserer Wohnung. Und natürlich ist sie nicht da. Ich bin beruhigt, während Herr Kitzler sich ganz offenbar Hoffnungen gemacht hatte, in unserer Wohnung auf Frau Kitzler zu treffen.

Es ist an mir, nach der Wohnungsbegehung Bilanz zu ziehen:

„Frau Kitzler ist nicht hier, Herr Kitzler.“

Sonja schlägt vor, Herrn Kitzler in die „Sause“ längerfristig einzubinden, bis Frau Kitzler wieder auftaucht.

„Was, wenn das Tage dauert?“, frage ich.

„Sucht er sie oft?“, fragt Sonja.

„Ja. Jede Woche ein bis zwei Mal.“, sage ich.

„Und wo ist sie immer?“

„In den meisten Fällen oder eigentlich immer ist sie tot. Das vergisst Herr Kitzler oft.“

„Wie oft?“

„Ein bis zwei Mal jede Woche.“

Mitsamt Herrn Kitzlers gehen wir in die Küche und setzen die „Sause“ fort. Herr Kitzler darf aber keinen Alkohol trinken, sodass er sich meine Nachdurst-Fanta schnappt, die ich hätte besser verstecken sollen. Auch Sonja ist empört:

„Du hast ja doch noch Fanta, du Arsch.“

„Nenn‘ mich nicht Arsch. Und außerdem ist das Nachdurst-Fanta. Angesichts des Konsums werde ich morgen nur glücklich, wenn ich Nachdurst-Fanta habe.“, deklariere ich.

Meine Mitbewohnerin versucht zu beschwichtigen: „Wir haben noch den Mango-Saft.“

„Ich soll zum Nachdurst Mango-Saft trinken?! Was kommt als nächstes?!“, erkundige ich mich empört.

„Frau Kitzler?“, mischt sich Herr Kitzler ein.

Die Runde schweigt betreten. Frau Kitzler ist zwar schon lange tot, aber ihr Tod eignet sich noch immer als Stimmungskiller.

„Kitzler hin, Kitzler her“, sage ich, „das ist ja nun alles kein Grund, sich hier die Stimmung vermiesen zu lassen.“

Man stimmt mit mir in diesem Punkt überein und setzt das Gespräch über Sex-Spielzeuge fort. Ich soll die Liebeskugeln holen, und komme mit einem Medizinball wieder zurück, den ich für meinen Sport nutze. Heiteres Gelächter und ich freue mich, dass dieser Scherz, den ich bereits am Nachmittag geplant hatte, in der betrunkenen Runde gut ankommt. Nur Herrn Kitzler beschäftigt etwas anderes.

„Wir hören die Klingel doch gar nicht, wenn Frau Kitzler klingelt.“


Das Wochenende ist vorbei. Ein Drama. Die Auswüchse dieses Dramas sind bis auf meine Facebook-Seite zu spüren!

NURBART