multiversum

Die Theorie der Paralleluniversen – in ihrer unendlichen Gesamtheit „Multiversum“ genannt –  ist für mich eine der faszinierendsten, aber auch eine der begreiflichsten, da sie so simpel und naheliegend ist. Obwohl, simpel?! Wenn das Universum unendlich ist, wiederholen sich zwangsläufig seine Bedingungen, sodass es irgendwo ein Universum gibt, in dem ein deutscher Staat von der AfD regiert wird, wobei Kanzlerin Petry, die eine Ehe mit Bernd Lucke führt, jeden Migranten mit einem Blumenstrauß herzlich begrüßt.

Wenn es unendlich viele Planeten geben sollte, dann ist es nur zwangsläufig, dass trotz der vielen Variationsmöglichkeiten von Molekülen sich irgendwann Variationen oder Kombinationsmöglichkeiten wiederholen. Da könnte es eine Welt geben, in der die Nazis gewonnen haben, aber auch eine Welt, in der Hitler sein Ei nicht verloren hat und vielleicht deshalb sich auf andere Interessen abseits der Völkervernichtung konzentriert hat. Allerdings hänge ich nicht der These an, dass Hitler nur wegen des (vermeintlichen) Hodenverlustes zum Monster geworden ist.

Es gibt da draußen also Kopien von uns, aber auch im Detail abweichende Variationen. Irgendwo gibt es eine Welt, in der ich mit Pferdeschwanz rumlaufe, in der ansonsten aber alles ist wie auf dieser Erde, wo ich vieles für möglich halte, nicht aber das Tragen eines Zopfes. Die Seppo-Variante mit Zopf würde ich gerne mal kennenlernen, um sie zu fragen, was sie sich bei dem Zopf gedacht habe. Zopf-Seppo würde mich vielleicht fragen, warum ich meine, einen Bart tragen zu müssen.

Ich habe mir viele Dokus reingezogen, in denen man versucht, dem Zuschauer die Relativitätstheorie nahezubringen. Wirklich verstehen tue ich sie nach wie vor nicht. Raum. Zeit. Dieser Zusammenhang. Er wird in diesen Dokus immer vorausgesetzt, aber nicht wirklich erklärt. Möglicherweise bin ich aber auch einfach zu doof, was ich sehr ernsthaft nicht ausschließe. Die Multiversum-Theorie – von denen es zahlreiche gibt! – verstehe ich zumindest in ihrer Annahme, aber auch nur, wenn man akzeptiert, dass das Universum unendlich ist. Was der menschliche Geist an sich ja nicht erfassen kann. Denn: Ist es nicht unendlich, was ist dann dahinter? Das Nichts ist einfach nicht vorstellbar. Was nicht bedeutet, dass es das Nichts nicht gibt. Ein Hund begreift ja auch nicht Funktionsweise einer Waschmaschine, dennoch gibt es Waschmaschinen. Leider sind wir Menschen nicht das Maß aller Dinge. Nur kennen wir das Maß aller Dinge, vielleicht die Weltformel?, noch nicht.

Da ich derzeit Urlaub habe und überdies Strohwitwer bin, habe ich Zeit und mir die Mühe gemacht, alle möglichen Paralleluniversen durchzunummerieren, was einfach ist, denn ihre Zahl ist unendlich. Wir hier leben in Universum eins. Ich hielt es für sinnvoll, bei uns mit dem Zählen zu beginnen. Es ist nun elf Uhr am Vormittag und ich bin bei Universum 134 angekommen. In Universum 134 kaufe ich mir heute keine neuen Laufschuhe, anders als in Universum eins. Denn in U134 laufe ich nicht mal. Ich lehne Sport in U134 rundheraus ab.

Beim Blick durch mein Teleskop war ich entsprechend erschrocken, als ich sah, dass ich auf jener Erden-Variante rund zehn Kilogramm mehr wiege und allen Ernstes jeden Abend ein Feierabendbier trinke. Das würde ich hier nie tun, da ich selten Alkohol trinke. Aber wenn, dann richtig. In U134 sitze ich mit Plauze auf der Couch, die der hiesigen verblüffend ähnlich sieht, und lasse mir von meiner dortigen Mitbewohnerin Bier ins Wohnzimmer bringen. Ich trage dort keinen Bart, der mir aber gut tun würde, da ich ein aufgedunsenes Gesicht habe, möglicherweise vom Alkohol oder von anderen physikalischen Gegebenheiten in jener Welt. Allerdings meine ich, dass die Physik in jedem Paralleluniversum dieselbe ist. Das müsste ich jetzt googeln, habe aber keine Lust. Das kann ich in einem anderen Universum tun.

Sympathisch bin ich mir auf den ersten Blick jedenfalls nicht und bin gespannt auf meine dortige Mitbewohnerin, die mir allen Ernstes nun Bier bringt. Und ich bin überrascht. Sie sieht ganz anders aus als der Typ Frau, der mich auf dieser Erde in Wallungen bringt. Ich kann es kaum fassen. Diese Frau verschafft mir dort Schmetterlinge im Bauch, Erektionen in der Hose und Erleichterung im Bett?! Das muss ein kosmischer Irrtum sein. Derzeit begründe ich Fehlentwicklungen in meinem Leben immer mit „kosmischen Irrtümern“. Das hat den Vorteil, dass ich dadurch jede Eigenverantwortung auf den Kosmos abschieben kann. Aber oftmals entziehen sich ja Entwicklungen im Leben der eigenen Kontrolle, zumindest der rationalen Kontrolle, da ich davon ausgehe, dass vieles uns unterläuft, weil es sich auf tiefen Ebenen abspielt, die wir eben nicht verstehen. Ich bin mitunter Dauergast in diesen Tiefen.

Meine Mitbewohnerin in U134 sieht nicht übel aus. Ganz im Gegenteil. Aber sie hat nichts, was mich hier reizen würde. Ich zoome an ihre Augen heran und sehe auch darin nicht viel und die Beziehung scheint mir auch keine glückliche zu sein, denn ich als Bier trinkender Couch-Proll bin ja nun auch kein Hingucker. Aber vielleicht täuscht mein erster Eindruck.

„Du solltest dir einen Bart stehen lassen!“, sagt plötzlich U134-Mitbewohnerin zu U134-mir.

„Was?! Ich mache doch nicht jeden Trend mit! Außerdem würde mich ein Bart zehn Jahre älter machen. Nichts liegt mir ferner als Bart zu tragen und dann am besten noch in meinem Blog darüber zu schreiben! Narzissmus liegt mir nicht!“

„Wie läuft dein Blog eigentlich?“

„Ich habe schon zehn Abonnenten! Einige kochen meine Rezepte auch nach!“

Ah, jetzt verstehe ich! Ich bin zehn Kilo schwerer, weil ich offenbar einen (erfolglosen) Koch-Blog betreibe in jenem Universum! seppokocht wird es wohl heißen, nehme ich an.

 

Wie oft stellen wir uns vor, dass wir im Lotto gewönnen? Gut, ich selber müsste dazu erst einmal Lotto spielen, das würde die unwahrscheinliche Wahrscheinlichkeit von sechs Richtigen enorm erhöhen. Ich habe, kommt es hoch, dreimal gelottot in meinem Leben und jedes Mal nicht den Jackpot geknackt. Da scheint ein System dahinter zu stecken. Aber gerade könnte das Lottospielen wieder attraktiv für mich werden und mir ist auch völlig klar, was ich mit dem Geld mache. Derzeit geht es wohl um 75 Millionen Euro. Ich würde vielleicht einen kleinen Fernsehsender aufkaufen und den Rest des Geldes auf mein Sparkassen-Sparbuch legen, da ich absolut risikoavers bin, was Geld angeht. Und alles andere. Ich würde nicht groß in Immobilien investieren, in Aktien sowieso nicht, weil ich das nicht durchschaue. Ich würde es keinem Finanzberater anvertrauen, der es dann eh veruntreuen würde, sondern es einfach auf ein Sparbuch legen, wo der Wert langsam schrumpft. Bei 75 Millionen Euro aber derart langsam, dass es mir egal sein kann. Ich würde mit der Sparkasse vereinbaren, dass ich pro Monat nur soundsoviel vom Geld abheben kann, damit ich es nicht verprasse. Für weitere Zeitungsabos oder Bügelspray. Ich würde mir irgendeinen Volkswagen kaufen, vielleicht sogar den Phaeton, den absoluten VW-Flop, den ich aber optisch sensationell finde. Da man mit dem aber keinen Parkplatz findet, würde ich es vielleicht bei einem Golf belassen. Autos interessieren mich nicht.

In U134 sehe ich ebenfalls mehrere Gazetten im Wohnzimmer rumliegen. Ich erkenne den „Focus“, den ich hier zu Erden auf keinen Fall lesen würde, da er so etwas wie ein gehobenes Boulevard-Magazin ist. Außerdem sehe ich dort den – was?! – den „Wachtturm“! Bin ich Zeuge in U134?! Ist es vielleicht dort die Weltreligion? Bin ich da überhaupt religiös? Und dann Zeuge?! Universum 134 ist mir nicht sympathisch.

Das muss man sich vor Augen halten. Denn neben dem Wunsch, im Lotto zu gewinnen, wünsche ich mir gelegentlich andere Umstände. Und überlege, was in einem der unzähligen Paralleluniversen vielleicht besser läuft. Wo ich Fehler vermieden, die ich hier sehenden Auges begangen habe. Und dann wünscht man sich dahin und vergisst, dass dort andere Dinge schief laufen könnten. Und man vergisst natürlich, dass der U134-Seppo nicht ich ist, sondern lediglich aus ganz ähnlichen Molekülen zusammengesetzt ist, sodass er nur eine abgewandelte Kopie von mir zu sein scheint. Ich weiß nicht einmal, ob ich mich mit ihm verstehen würde, träfen wir uns einmal.

Während ich die beiden Varianten von uns so beobachte, stelle ich fest, dass wenig gelacht wird. In diesem Beobachtungszeitraum hätte ich meine Mitbewohnerin hier schon mehrfach, wie soll ich sagen, „verarscht“ wäre zu hart, „geneckt“ würde es wohl treffen, auch wenn es etwas veraltet klingt. U134-Mitbewohnerin tut mir etwas leid, hier hätte sie mehr zu lachen, bilde ich mir doch etwas darauf ein, dass mir bei Frauen zumindest das gelingt, einer meiner wenigen Pfründen, vielleicht meine einzige Pfründe. Und jetzt wird es philosophisch, was meinen Philosophie-Lehrer interessieren könnte, der mir immer eine Gnaden-Vier gab, nur weil ich es ablehnte und ablehne, inhaltslos über irgend etwas zu schwadronieren. Auch, wenn das im seppolog manchmal anders wirkt … Aber ich stelle mir die Frage, ob es sich bei U134-Seppo überhaupt um eine Variante von mir handelt. Sind Varianten von uns überhaupt noch wir? Wann sind wir nicht mehr wir? An wie vielen Stellschrauben muss man drehen, bis man nicht mehr sein Selbst ist?

Bevor ich gleich einen Blick in U135 werfe, kaufe ich mir nun erst einmal neue Laufschuhe.


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