Morgen in einer Woche geht es los, das Abenteuer Rutztekostan! Schon vor zwei Jahren unternahmen meine Mitbewohnerin und ich das erste Mal den Versuch, in das leicht despotisch geführte Land einzureisen; wir waren kurz vor dem Ziel, als Verstimmungen zwischen Deutschland und unserem Reiseziel dazu führten, dass selbst Deutschen keine Ausnahmegenehmigung mehr erteilt wurde: Niemand kommt rein in das Land und raus ohnehin nicht. Nicht bestätigten Informationen der Deutschen Gesellschaft für rutztekostanische Beziehungen (DGRB) zufolge, halten sich dennoch rund 20 Bundesbürger in dem Land auf – offenbar in Haft. Viel bekannt über die Zustände in rutztekostanischen Haftanstalten ist nicht, doch dass Folter und Misshandlungen dort an der Tagesordnung sind, ist ein offenes Geheimnis. Spätestens seit dem Film „Rutztekostan – eine Reise ins Land der Tyrannei“ von Til Schweiger mit Madleine Manish in der Hauptrolle als eine Deutsche, die versucht, die rutztekostanischen Schopalappen, jenem Hochgebirge in der Region, zu durchqueren, wobei sie in Gefangenschaft gerät und später als Sex-Sklavin des Staatsoberhauptes Grinston Grczyk missbraucht wird, ist klar: In diesem Land herrscht ein Tyrann. Auch wenn die Echtheit der „wahren Begebenheiten“, auf denen der Film angeblich beruht, nie verifiziert werden konnte. Und ja, es gibt durchaus Menschen, die Rutztekostan für ein durchaus freies und weltoffenes Land halten, das einfach ein sehr schlechtes Image hat. Daher ist es auch die AfD, die beste Beziehungen zum Führungszirkel jenes Staates pflegt.

Wir blieben dran an unserem Ziel, das Land für zwei Wochen zu bereisen, uns selbst ein Bild davon zu machen, ob dieses Land zu Recht oder Unrecht von der Weltgemeinschaft als tyrannische Diktatur gebrandmarkt wird. Denn eines stimmt auch: Insbesondere Deutschland unterhält zahlreiche bilaterale Beziehungen zu Rutztekostan – gerade im Rüstungssektor.

Vor etwa einem halben Jahr bekamen meine Mitbewohnerin und ich die Einreiseerlaubnis. Viel Zeit für uns allein werden wir wohl nicht haben, da uns ein „Reisebegleiter“ zur Seite gestellt wird, in dessen Haus wir auch die Nächte verbringen werden. Czrikos heißt der Mann, wobei wir nicht wissen, ob es sein Vor- oder Nachname ist. Vermutlich ist es ohnehin nicht sein korrekter Name.

Leser des seppologs wissen freilich, dass ich schon lange Beziehungen zu der Autokratie pflege. Also nicht zur Autokratie als Staatssystem, sondern zu dem autokratischen Rutztekostan. Seit rund 30 Jahren versucht das Land – so sagen westliche Geheimdienste und Militärs -, zur Atommacht aufzusteigen. Und es sind ausgerechnet meine Kenntnisse in Bezug auf Raketenforschung, die mich seit etwa vier Jahren für Grczyk und seine rutztekostanische Raketenforschung interessant machen. Ich bin verkürzt dargestellt eine Art Wernher von Braun, sieht man davon ab, dass man heute weiß, dass von Braun weit weniger Ahnung von Raketen hatte, als er es selbst immer darstellte: Sein Anteil an dem amerikanischen Weltraumprogramm ist deutlich übersichtlicher, als man viele Jahrzehnte glaubte. Der Mann mag Visionen gehabt haben – die er auch in den Dienste des NS stellte -, aber von der Umsetzung dieser hatte er kaum eine Idee, folgt man jüngsten Erkenntnissen.

Bei mir ist das anders. Das Bestücken von Raketen mit Atomsprengköpfen war schon immer mein Steckenpferd. Ich möchte so weit gehen zu sagen: Bestücken ist mein Leben.

Offiziell ist es also eine Forschungreise, auf die wir uns begeben werden. Doch eines unserer Ziele ist die Befreiung von Berta Brot. Berta Brot ist jene Deutsche, die sich seit dem Fall der Mauer in Rutztekostan aufhalten soll. Die Ostdeutsche hatte sich damals bei der Flucht aus der DDR über den plötzlich offenen ungarischen Grenzzaun zu Österreich den Knöchel vertreten, den Anschluss verloren und schließlich verlaufen. Versehentlich bog sie falsch ab – links statt rechts – und landete unglücklicherweise in Rutztekostan; vom Regen in der Traufe. Bis heute ist völlig offen, warum nicht ihr Schicksal mit Madleine Manish in ihrer Rolle verfilmt wurde. Manche glauben, dass noch Helmut Kohl dieses Filmvorhaben vereitelt habe, um die Beziehungen zu Rutztekostan nicht zu belasten. Denn eines ist klar: Ohne Rutztekostan hätte es die deutsche Einheit nie gegeben.

„Ich muss noch ein bisschen Uran anreichern“, sage ich zu meiner Mitbewohnerin, die sich an das Schreiben einer Packliste für kommende Woche macht. Dabei fällt mir ein:

„Setz den Langhaarschneider auf die Liste. Und deine Haare müssen wir auch noch abrasieren. Frauen mit langen Haaren fallen dort auf.“

„Dürfen die da noch immer kein Haar tragen?“, fragt sie.

„Sie vergewaltigen sie erst und rasieren dann das Haar ab. Naja, an sich reißen sie die Haare aus. Aber ich nehme an, das willst du nicht.“

„Laufsachen. Schreib Laufsachen drauf. Laufmütze auch. Es wird frisch im Oktober dort“, sagt sie.

Wir machen ganz nebenbei einen Sporturlaub. Es gibt in Rutztekostan – und ich lüge nicht – exakt eine Parkour-Anlage. Und in deren Nähe werden wir wohnen. Sofern uns Czrikos, unser Reisebegleiter, denn lässt. Denn Sport ist in Rutztekostan an sich verboten. Lediglich die politische Elite darf Sport treiben – und mit genau der werden wir uns die Sportanlage teilen. Kein Sport – kein Uran!, hatte ich damals in der Botschaft gesagt und damit hoch gepokert … und gewonnen. Uran gegen Sport, das klingt nach erkaufter Teilnahme an den Olympischen Spielen. Klappt ja auch.

Die rutztekostanische Botschaft befindet sich nicht in Berlin. Rutztekostan erkennt Berlin nicht als lebenswerte Stadt an, da die Menschen dort seltsam unfreundlich seien. In diesem Punkt stimme ich mit dem Regime überein. Und nun raten Sie mal, wo sich die Botschaft befindet!

Richtig. Ich weiß, seltsamer Zufall. Redet und schreibt nur noch von Münster, dieser eierköpfige Möchtegern-Intellektuelle, und nun sitzt die rutztekostanische Botschaft auch noch in der heimlichen Hauptstadt NRWs, in der Metropole der Herzen. Manches kann man sich einfach nicht ausdenken! Und was liegt da für mich näher, als eine Karriere als Doppelagent anzustreben?! Richtig: keine Karriere als Doppelagent anzustreben. Aber vielleicht tue ich es dennoch? Was für ein Verwirrspiel! Das müssen Sie mir nachsehen, denn ich kann ja hier unmöglich öffentlich zugeben, dass ich Doppelagent sei. Wäre! Wir wissen es ja nicht! Ich meine, Rutztekostan liest hier vermutlich mit. Oder? Zwar gibt es dort kein Internet in unserem Sinne, aber dass das Regime Zugang zu diesem hat, kennen wir ja auch von China. Nihao! Übrigens, China, hast Du mal Lust auf eine Propaganda-Sendung hier im deutschen Fernsehen? …

Auf der anderen Seite ist es ja so, dass dieser Blog seine besten Caiten hinter sich hat und sich in Abwicklung befindet. Glaube also kaum, dass die rutztekostanische Regierung ihn auf dem Schirm hat. Vermutlich liest eher Garbor Steingarts Ergüsse, der sich ja die angeblichen Wirtschaftsreformen Rutztekostans auf seine publizistischen Fahnen geschrieben hat. Insofern kann ich es ja sagen: Langfristig plane ich nicht nur die Befreiung von Berta Brot, sondern auch die des gesamten Landes! Indem ich es zur Atommacht mache, verändere ich das Land aus dem Inneren heraus. Am Ende steht die Ermordung Grzcyks, des Führers dort also, durch meine Hand. Und so werde ich zum Held des geknechteten Volkes der Rutzteken! Ich spinne nur so rum, aber womöglich könnte ich mir dann endlich den Traum der Bundesseppoblik Deutschland auf rutztekostanischen Boden erfüllen! Klingt ein wenig nach Hitler. Aber Hitler ist ja wieder salonfähig. Heute ist man nicht mehr schlimmer als Hitler, heute ist man schlimmer als Höcke, eine Aussage, die ihn stark emotionalisieren könnte. (Können wir nochmal anfangen?)

Verehrte Leser, in Balde erwartet Sie also hier ein mehrteiliger Reisebericht, auf den Sie sich freuen können! Anders als früher schreibe ich hier im seppolog aber nicht mehr in Echtzeit, sondern finde nur noch wochenends Zeit dazu, sodass ich auf Halde schreibe. Auch dieser Artikel entstand am Sonntag, dem 22. September. Ich werde das in der Regel dazuschreiben, um Verwirrungen in der Zeitachse zu vermeiden.

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