Ich brauchte keinen Arzt. Überhaupt: Niemand braucht mehr Ärzte, um an belastbare und absolut zuverlässige Diagnosen zu gelangen. Es gibt ja nun ChatGPT, jene künstliche Intelligenz, der ich aus gegebenem Anlass diese Frage stellte:

Nabend. Folgende Situation: Ich habe Rücken, unteren Rücken, kann nur noch im rechten Winkel gehen. Was könnte die Ursache sein? Habe mich am Wäschekorb verhoben; ich weiß, sehr unsexy Verletzung, aber so spielt das Leben.

„Nabend“ schrieb ich, denn ich bin grundsätzlich auch ChatGPT gegenüber höflich, obwohl mir rational natürlich vollkommen einleuchtet, dass das eine Perle vor die Sau ist. Aber womöglich hat mir die KI auch nur deshalb prompt die Diagnose geliefert, die ich brauchte – ohne in einem Wartezimmer warten zu müssen. Und die meinerseitige Höflichkeit, sie findet in ChatsGPTs Anwort dann auch Widerhall:

Guten Abend! Es tut mir leid zu hören, dass Sie Rückenschmerzen haben. Rückenschmerzen im unteren Rückenbereich können verschiedene Ursachen haben, einschließlich Muskelverspannungen, Bandscheibenproblemen oder Verletzungen der Wirbelsäule. Eine plötzliche Verletzung wie das Verheben eines schweren Gegenstands, wie in Ihrem Fall mit dem Wäschekorb, kann zu Muskelzerrungen oder Muskelverspannungen führen, nicht selten ist davon der Ischias-Nerv betroffen.

Natürlich ist die Bezeichnung „Künstliche Intelligenz“ bei ChatGPT meiner Meinung nach irreführend und sogar falsch, denn die Software reproduziert lediglich, was der Mensch schon einmal erdacht hat. Aber faszinierend ist die KI ja dennoch: Vor einigen Wochen bat ich sie um eine Interpretation einen meiner Texte, die hier im seppolog erschienen sind. Ich wollte insbesondere wissen, welche Eigenschaften ChatGPT dem Ich-Erzähler, also im Zweifel meiner Person, zuordnet, und ich musste feststellen, dass das Programm sehr richtig lag, auch wenn es wenig Schmeichelhaftes über mich zu berichten hatte. Das aber erspare ich dem Leser an dieser Stelle, da ich ihm zutraue, sich längst ein eigenes Bild gemacht zu haben. Außerdem richten wir hier den Blick auf mein schweres Leiden, das ich gar nicht an die große Glocke hängen will.

„Ich habe Ischias“, teile ich die unumstößliche Diagnose meiner Verlobten mit. Und vielleicht, weil sie sich Leid und Jammerei soweit wie möglich ersparen will, finden wir uns wenige Stunden später auf dem Parkplatz des hiesigen Supermarkt-Konglomerats aus Aldi und E-Center mit angehängtem Ernsting’s Family, dem wiederum ein DM angehängt ist, wieder. ChatGPT hatte ja nun eindeutig Wärme empfohlen, sodass meiner Verlobten Wärmepflaster in den Sinn kamen.

„Meine Oma schwört auf die!“, sagte sie.

Tja, nun ist es so weit; ich gehöre jetzt zu der Altersgruppe, die nie um ein Smalltalk-Thema verlegen ist: altersbedingte Malessen. Ich kenn’s ja von meinen Eltern, die dem Ende der Lebenspanne allerdings schon deutlich näher sind als ich. Über Ischias sind sie schon hinweg, bei ihnen geht es mittlerweile eher darum, wie sich ihr soziales Umfeld ausdünnt. Ischias – ist nur der Anfang.

Auf der Suche nach einem eingangsnahen Parkplatz …

„Flothos parken immer am Eingang“, murmele ich …

… sehe ich mich absolut im Recht dazu, einen der breiten Behindertenparkplätze anzusteuern, die ich sonst freilich immer freilasse.

„Sind wir also schon behindert?“, fragt mich meine Beifahrerin, „Der Ausweis liegt im Handschuhfach, nehme ich an?“

„Ich brauche keinen Behindertenausweis, meine ganze Körperhaltung spricht Bände“, sage ich, als ich versuche auszusteigen. Meiner Verlobten gelingt das natürlich schneller als mir und wieder zeigt sich, dass es die Frauen sind, die länger fit bleiben.

„Warte auf mich!“, krächze ich und hoffe inständig, dass ich gerade keinen Vorgeschmack aufs Alter erlebe. Zwar kriege ich mein linkes Bein behände aus dem Auto gehievt, doch der angehängte Körper will einfach nicht und verharrt im Hausfrauenauto, das ich fahre. Also überlege ich, aus diesem zu gleiten und dann, einmal draußen angekommen, die nächsten Schritte anzugehen. So löst man große Probleme: Man zerlegt sie in Teilprobleme und nennt sie übrigens nicht Probleme, sondern Herausforderungen! Das ist positives framing! Und so liege ich vor dem Auto, hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken, und definiere meine nächste Herausforderung: Aufstehen, denn ich liege auf einem freien Parkplatz.

Ein Auto naht, das ich als unerwartete Herausforderung identifiziere – in der Welt der Videospiele vielleicht eine Nebenmission – und ich rufe panisch meine Verlobte um Hilfe, da ich nicht ganz unbegründet befürchten muss, der Fahrer wolle exakt da parken, wo ich gerade im Aufrichten inbegriffen bin. Sie eilt herbei und signalisiert dem Fahrer, dass es sich noch um ein Weilchen handelt könne, bis ich den anvisierten Parkplatz freigebe.

Der Fahrer fährt sein Fenster herunter und ruft: „Billige Nummer, hier einen auf behindert zu machen, nur um den breiten Parkplatz zu besetzen!“

„Ich BIN behindert!“, rufe ich unter Schmerzen und politisch – ich weiß! – nicht korrekt. Doch für politische Korrektheit ist weder Zeit noch Platz. Hier geht es ums nackte Überleben, denn ich habe Ischias.

Traurig und gebrochen liege ich auf dem mit Münsteraner Sorgfältigkeit gepflasterten Parkplatz und möchte doch nur ein Wärmepflaster bei DM kaufen. Meine Verlobte ruft dem verärgertem Fahrer „Pflegestufe 3!“ zu und hebelt mich vom Boden. Souverän zwar, aber im rechten Winkel, bewege ich mich in den DM. Während ich so rechtwinklig laufe, tue ich so, als würde ich etwas auf dem Boden suchen, da mir meine Geodreieck-Attitüde etwas peinlich ist. Und ich finde auch etwas. Einen Cent. Ich rufe demonstrativ „Ahhh, da ist er ja!“ und will mich bücken, um ihn aufzuheben. Schwerer Fehler. Durch die Gewichtsverlagerung nach vorn kippe ich mit der Schädeldecke, mit meiner, auf das Pflaster, während mein Winkel unverändert bleibt. Und so stehe ich als Dreieck auf dem Parkplatz an der Friedrich-Ebert-Straße.

Meine Verlobte eilt herbei und richtet mich wieder auf. Nun stützt sie mich auf dem weiteren Weg, da der DM nur bis 19.00 Uhr geöffnet hat. Es ist 15.00 Uhr. Sie traut mir nichts mehr zu.

Gegen 15 Uhr 30 stehen wir am Regal mit mit den Wärmepflastern, gleich neben den Doppehlherz-Produkten.

„Jetzt ist es also so weit. Mitte 40 und ich stehe vor Doppelherz und ABC-Wärmepflastern“, stelle ich fest.

„Nicht mehr lange, und wir stehen vor den Slipeinlagen für Männer“, ergänzt meine Verlobte.

Das Aussuchen von passenden Wärmepflastern ist gar nicht so einfach. Ich brauche natürlich ein möglichst großflächiges und frage mich, wie schmerzhaft es sein wird, wenn ich es wieder von meiner Steißregion abziehe. Und solche mit lustigen Motiven, die mir Trost spenden könnten in diesen schweren Stunden, die gibt es leider auch nicht. Aber ich staune trotzdem, denn offenbar spenden die Dinger rund zwölf Stunden Wärme! Angesichts der anstehenden Wärmewende in unserem Land eine tolle Alternative zur Wärmepumpe, wenn man nur genug Pflaster kauft. Man pflastert sich winters einfach von oben bis unten zu und lächelt Putin süffisant ins Gesicht.

„Damit hat Putin nicht gerechnet“, sage ich, während eine ältere Dame mit Rollator angerast kommt. Gekonnt dreht sie diesen um, setzt sich auf die Ablagefläche, nimmt ein Pflaster der Marke „S-O-S“ aus dem Regal und rät mir: „Nehmen Sie diese. Die kommen nicht direkt auf die Haut, die kleben Sie einfach auf Ihre Miederware. Dann tut’s Abreißen nicht weh und vor allem versengen Sie sich nicht die Haut!“

Spricht’s und eilt davon.

„Rollator … vielleicht brauchst du einen Rollator …“, überlegt meine Verlobte für meinen Geschmack zu laut, zumal ich noch über Miederware nachdenke. Trage ich Miederware? Muss ich jetzt vorher ein Korsett kaufen? Aber wird wohl auch auf dem Unterhemd gehen, Feinripp von „Dieckies“.

Nach nur zwei Stunden sind wir wieder zuhause, wovon die Autofahrten nur rund 15 Minuten ausmachten. Die restlichen 2,75 Stunden gehen auf die Kappe meines Ischias. Mit schmerzverzerrtem Gesicht studiere nun ich die Bedienungsanleitung meines Pflasters mit „XXL-Wärmekammer“ und ignoriere die Warnungen vor eventuellen Brandwunden. Druck solle man beim Tragen nicht auf die beklebte Körperregion ausüben, was schwierig wird, sobald ich mich abends bette: Genau das solle man aber eben nicht tun, schreibt der Hersteller. Ich schlage das in den Wind, denn was ich brauche, ist genau das: massive Wärme – eben und auch nachts.

„Sie schreiben das ja nicht ohne Grund drauf“, gibt meine Mitbewohnerin zu bedenken.

„Ach, das müssen sie wegen eventueller Regress-Forderungen. So warm wird das wohl kaum werden. Wo soll denn die Hitze auch herkommen?! Was keinen Strom hat, wird auch nicht richtig heiß.“

Wagen wir einen Zeitsprung. Es ist zwei Uhr in der Nacht, ich wecke meine Verlobte mit „Feuer!“-Rufen. Unsere Matratze „Emma One“, Testsieger 2021, scheint in Flammen zu stehen. Ich empöre mich über unseren Rauchmelder, der offensichtlich nicht funktioniert. Muss ich denn erst brennen, um den Ausbruch eines Feuers festzustellen?!

„Ich sach noch …“, schlaftrunken meine Mitbewohnerin, die mir nun hilft, in die Bauchlage zu kommen. Sie reißt mir das Unterhemd hoch und staunt nicht schlecht: „Wir brauchen Brandsalbe. Das sieht nicht gut aus, recht rot, würde ich sagen, hier und da sogar Pusteln.“

Während sie einen Hautlappen (nur die obere Hautschicht!) von meinem Steiß zieht, beschreite ich in der Theorie den Rechtsweg. „Ich verklage den Hersteller!“, rufe ich gequält, „Man hätte mich warnen müssen!“

Den Rest der Nacht schlafe ich also halbnackt und mit Sonnebrand. Brandsalbe hatten wir sogar noch, da ich mich vor einigen Monaten erheblich am Bügeleisen verbrannt hatte, als ich dessen Funktionstüchtigkeit untersuchen wollte. Eine andere Geschichte …

Liegen mit Ischias, übrigens, ist kein Problem. Man kann sich halt nicht ohne Weiteres umdrehen, sodass man in der Liegeposition aufwacht, in der man acht Stunden vorher eingeschlafen war. Das führt dann zu weiteren Verspannungen, die man aber im Bedarfsfall mit weiteren Wärmepflastern behandeln kann.

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