Das Kostbare an unserem Staat mit seiner Gesellschaft bzw. unserer Gesellschaft mit ihrem Staat ist ja der sehr weitgehende Liberalismus und die Freiheit. Wer es anders sieht, höre hier auf zu lesen; auf Schwurbel-Diskussionen lasse ich micht nicht ein. Das ist übrigens mein gutes Recht, denn nicht mit jedem muss ich diskutieren. Ich mag unsere Debattendemokratie, die aber nicht bedeutet, dass jeder an jeder Debatte teilnehmen muss; es wäre zu anstrengend, da zu viel. Außerdem haben Schwurbler nicht alle Latten am Zaun. Eigentlich ist das mein hauptsächliches Motiv …

Zur Freiheit, die ich meine, gehört auch, das essen zu können, was man essen möchte. Dieser Punkt ist mir wichtig: Wer beispielsweise gerne Fleisch isst, soll das tun, und zwar mit bestem Gewissen. Ich habe selbst rund 43 Jahre enorme Fleischmassen verschlungen und mitnichten waren es immer glückliche Tiere vom Nachbar-Bauernhof. Ich aß das Fleisch der tierverachtenden Massentierhaltung. So, wie die meisten es tun, gerne auch die, die immer raushängen lassen, dass sie natürlich nur glückliches Fleisch essen. Das ist, mit Verlaub, sehr häufig eine widerliche Lüge, um sich über andere zu erheben. Die Absatzzahlen der Massentierhaltung sprechen eine andere Sprache. Ich schenke mir also diese Lüge und stelle fest, dass ich ungeachtet des Tierleides massig Fleisch konsumiert habe.

Seit immerhin 37 Wochen, seit dem 5. September 2022, ist das nicht mehr der Fall. Und auch hier sage ich ehrlich, dass mich keinerlei moralische Gründe dazu bewogen haben. Dass ich seit 37 Wochen einen kleinen Beitrag zum Tier- und Klimaschutz leiste, ist nur ein Nebeneffekt, ein sehr guter!, meines totalen Fleischverzichtes, aber einer, den ich nicht raushängen lasse. Kürzlich noch mit einem Moral-Vegetarier gesprochen, der davon schwärmte, wie oft er um die Welt fliegt. Die Allerwenigsten von uns leben klimafreundlich. Vor allen die, die das von sich behaupten, machen sich verdächtig, denn auch sie lügen in aller Regel. Und so gilt für mich: Auch das Klima ist nicht mein Antrieb.

Um es abzukürzen: Diese ganze Doppelmoralscheiße geht mir auf den Caiger. Ich verzichte auf Fleisch, weil … Reisen wir zurück zum 3. September 2022, als sich etwas vollkommen Unerwartetes ereignete.

Es ist vier Uhr nachts, als ich mit meinem Auto den Hirsch ramme. Mit rund 120 Stundenkilometern habe ich das Tier getötet. Ich schwöre mir, kein Fleisch mehr zu essen.

Nein, Scherz. So pathetisch war es nicht, meinem Verbrenner geht es weiterhin sehr gut. Noch einmal also zurück zum 3. September 2022, jetzt aber wirklich!

Meine Verlobte, damals lediglich meine Mitbewohnerin, und ich unterhielten uns auf einer Geburtstagsparty ihrer Schwester mit beider Tante. Sie und ihr Mann erzählten, wie sie auf ein befreundetes Pärchen trafen, das sie länger nicht mehr gesehen hatten. Dieses Pärchen rammte gegen vier Uhr nachts mit 220 Stundenkilometern ein Kamel. Alles war voller Wasser, denn wir wissen ja, das sammeln sie in ihren Höckern …

Es war anders. Jenes Pärchen, so erzählte uns Mitbewohnerins Tante, habe so blendend und blühend ausgesehen, als wäre es über sehr lange Zeit im Urlaub gewesen. Doch der Grund sei ein anderer gewesen: Es lebte seit vier (!) Wochen fleischfrei. Das habe es so sehr verändert, dass nun auch jene Tante und ihr Mann (Onkel) auf Fleisch verzichteten. Und so habe sich auch bei ihnen dieser Effekt des blühenden Lebens eingestellt. Sie schwärmten richtig davon!

„Verrückt“, sagte ich, „Käme für mich nicht in Frage, ich bin meilenweit davon entfernt, auf Fleisch zu verzichten. Ich esse jeden Tag Fleisch, teilweise ausschließlich. Und meine Blutwerte waren nie besser!“, und während ich das sagte, schob ich mir ein ekelhaftes Mini-Frikadellchen rein, denn machen wir uns nichts vor: Diese Mini-Frikadellen schmeckten noch nie gut. Das sollen sie auch nicht. Es ist ihr Wesen, dass sie im Grunde nicht schmecken. Das weiß man schon in dem Moment, wo man am Party-Büfett nach ihnen greift. Wie Automatenkaffee: Schmeckt scheiße, man trinkt ihn trotzdem. Denn mieser Kaffee ist oftmals besser als gar kein Kaffee.

Das war also ein Samstag. Und am Montag darauf, jenem 5. September 2022, startete ich das Projekt „Fleischfrei unter der Woche„. Ich wollte es wissen: Geht es einem wirklich besser, wenn man auf Fleisch weitgehend verzichtet?

Nach fünf Tagen war mir klar, dass ich komplett auf Fleisch verzichten wollte, also dass es auch wochenends keine Ausnahmen geben würde. Denn ziemlich schnell habe ich festgestellt, dass der Verzicht auf das köstliche Lebensmittel vollkommen problemlos ist. Lediglich meine kohlenhydratarme Ernährung, die ich seit 2016 etwa durchziehe, kam ins Wanken. Lowcarb und fleischfrei zu vereinbaren – das gelang mir erst nach einigen Wochen, als sich ganz neue kulinarische Welten für mich eröffnet hatten.

Ich möchte den Leser nun enttäuschen. Zumindest war ich es ein wenig, also enttäuscht, als ich nach drei Monaten eine Zwischenbilanz zog: Ich habe zwar durchaus ein bisschen an Gewicht verloren (was nie meine Intention war), aber besser ging es mir nicht. Allerdings war ich im Vorfeld schon skeptisch, denn es ging mir ja nie schlecht. Ich hielt es sogar für ausgeschlossen, dass es mir überhaupt noch besser gehen könnte! Ich behaupte also, wenn es Menschen, die auf Fleisch verzichten, dadurch besser geht, ging es ihnen vorher grundsätzlich schlechter. Das war bei mir – toi, toi, toi – nicht der Fall. Auch hatte ich keinerlei gesundheitliche Probleme, selbst mein Cholesterinwert war völlig normal (Nebenbei: Ich glaube ohnehin nicht an die Relevanz dieser ganzen Werte … Doch wegen diverser Umstände hatte ich im vergangenen Sommer ein großes Blutbild machen lassen. Es hätte besser nicht ausfallen können.). Ich hatte sogar die Sorge, meine Gesundheit oder auch mein inneres Gleichgewicht erst recht dadurch zu gefährden, dass ich ohne Not meine Ernährung so radikal umstellte. Die Maschinerie lief doch seit Jahren gut geölt und vollkommen störungsfrei – warum also etwas ändern?

„Was ist, wenn ich durch Fleischverzicht krank werde, weil mein Stoffwechsel im Grunde voll auf Fleisch ausgerichtet ist?!“, fragte ich meine damals noch nicht Verlobte.

„Solltest du abnippeln, spritze ich dir schnell Fleisch direkt in die Venen.“

Ich habe meine Blutwerte seitdem nicht mehr bestimmen lassen, kann aber Entwarnung geben: Mein Fleischverzicht hat mich ganz offenbar auch nach 37 Wochen noch nicht krank gemacht. Und wenn jetzt manch einer nach Mangelerscheinungen fragt: nicht bei Fleischverzicht, da spielen diese keine Rolle. Wer etwas anderes behauptet, ist schlecht bis gar nicht informiert oder will es einfach nicht wahrhaben. Um es auch abzukürzen und nicht in eine nervtötende Ernährungsdiskussion zu geraten: Alles, was Fleisch an guten Nährstoffen bietet – ohne Zweifel übrigens! -, wird locker durch das Verbliebene substituiert. Es braucht keine Pillen und Co.; bei Veganismus sieht das schon anders aus, aber das ist nicht mein Feld.

Als Vegetarier bezeichne ich mich allerdings nicht, da ich mit diesem Begriff eine enervierende Ideologie verbinde, mit der ich keinesfalls in Verbindung gebracht werden möchte. Es ist ja schon schlimm genug, was sich seit 37 Wochen in meinem Supermarkt abspielt. Da stehe ich am Kühlregal für Ersatzprodukte und schäme mich, ziehe mir mein Käppi tief ins Gesicht, damit mich niemand erkennt. Neben mir stehen Studenten der Geisteswissenschaften in khakigrünen Bollerhosen, die schon 10 Zentimeter oberhalb der Fußknöchel aufhören. Oder junge Damen, deren Jeans bis unter den Brustansatz hochgezogen sind, da das ja aus unerfindlichen Gründen derzeit als modisch gilt. Auf die Weise beginnt der Hosenreißverschluss schon oberhalb des Bauchnabels. Nun gut, zur Freiheit gehört ja auch, sich bewusst schlecht kleiden zu dürfen. Aber es gehört auch dazu, sich das abwertend ansehen zu dürfen. Nun, wie dem auch sei, ich stehe dann da in einem Pulk aus Vegetariern und Veganern, dem ich keinesfalls zugerechnet werden möchte. Mir ist es dann doch lieber, man betitelt mich als alten, weißen, privilegierten Cis-Mann, der eben versehentlich kein Fleisch mehr isst.

Meine größte Sorge war lange Zeit, dass Femilia mich dabei erwischt, wie ich auf Fleisch verzichte. Femilia ist Mitte oder Ende 20, genau weiß ich es nicht, oder doch?, 29 vielleicht, und sie ist mein ideologisches Feindbild. Sie gendert, bis keine Sonderzeichen mehr übrig sind, sie trinkt Hafermilch und natürlich isst sie kein Fleisch. Fährt aber ’nen uralten VW Bulli Diesel. Hab ich nichts gegen! Aber ich sach nur, wegen Doppelmoral. Anfang dieser Woche ist sie in den Urlaub geflogen … Aber gut. Ich darf mich dazu ja nicht äußern, da ich ein Mann bin, bzw. sie mich als Mann lese. Ich habe ihr aber bestätigt, dass mein Penis auch meine innere Haltung gut widerspiegelt und dass Penisse nicht böse sind. Für unser Verhältnis ist wichtig, dass ich grundsätzlich ihr in allem widerspreche. Wie kann es also nun sein, dass auch ich kein Fleisch esse?! Sie bekam es erst im März raus. Bei einem Arbeitsessen im hiesigen „Lumina“. Ich bestellte eine Pizza Margeritha.

„Keine Salami wie sonst?!“, fragte sie.

„Ne, geht ja nicht. Ist ja Fleisch. … Ach, verdammt!“

„Du isst kein Fleisch mehr?! Seit wann?!“

„Das ist jetzt nicht das Thema. Ich wollte mir mit dir die aktuellen Zahlen ansehen.“

„Du bist Vegetarier geworden?! Ausgerechnet du?!“

„… in die Analyse gehen. Nachschärfen …“

„Dass ich das noch erleben darf! Seppo isst kein Fleisch mehr!“

„Herrgott, nun schrei es nicht so raus! Muss ja nicht gleich jeder wissen. Ich habe einen Ruf zu verlieren!“

„Und trinkst du jetzt auch Hafermilch?!“

„ICH TRINKE NUR ECHTE MILCH!“

Nochmal: Ich finde es super, wenn jemand unter meinen Lesern Fleisch isst. Weiter so! Es schmeckt ja auch so lecker! Allein, ich vermisse meine Burger! Ich vermisse kein Rinder- oder Schweinehack. Ich vermisse keine Steaks oder Hühnchen, auch der Verzicht auch meine geschätzte Billig-Grillwurst ist locker verkraftbar und Aufschnitt war ohnehin meine Sache nie. Was ich aber vermisse: Burger-Patties!

Wenn ich solche „Projekte“ angehe, dann ziehe ich sie durch. Was ich nicht durchziehe, gehe ich erst gar nicht an. Und so war mir – ich kenne mich ja – von Beginn an klar, dass das nicht nur eine „Phase“ sein würde. Nein, ich würde diesem alles unterordnen und keine Kompromisse oder Ausnahmen zulassen. So wie ich meinen Sport betreibe, so betreibe ich auch diesen Fleischverzicht. Innerhalb kürzester Zeit machte ich mich schlau über die Auswirkungen auf den Körper. Darüber, wie ich gewisse Dinge substituieren kann, darüber wie viele Rinder und Schweine ich rette. Und darüber, wie gesund eigentlich Fleischersatzprodukte sind.

Und auch hier kürze ich ab. Sie sind deutlich gesünder als Fleisch. Erwischt man den richtigen Hersteller, braucht man sich keine Gedanken über seltsame Zusatzstoffe zu machen, die am Ende dann doch wieder ungesund sein könnten. Sicher, es gibt ungesundes Gepansche, was sich als vegetarisches Pattie anbiedert, aber es gibt auch die gesunden Alternativen. Bisschen schlaumachen hilft, mehr ist es gar nicht. Und so fand ich nach einigen Wochen vegetarische Burger-Patties, die in Geschmack und Konsistenz dem Fleisch-Pattie unglaublich nahekommen. Und ich fand auch solche, die kein bisschen wie Fleisch anmuteten, die aber dennoch fantastisch schmeckten!

Ich sage aber auch: Wer einen richtigen Burger essen will, wer ordentlich grillen will: der kann unmöglich auf Fleisch verzichten! Am zurückliegenden Wochenende hatte ich eine vegetarische Grillwurst auf dem Grill liegen. Nach dem ersten Bissen war klar: nie wieder. Die, pardon, totale Scheiße. Aber das ist der entscheidende Punkt: Kann ich damit leben, auf diese Dinge zu verzichten? Ja. Und zwar vollkommen problemlos, denn auch wenn es nicht die moralischen Pluspunkte sind, die mich antreiben, so ist es doch die Gewissheit, dass Fleisch am Ende ungesund ist. Ob wir alt werden, ob wir vor allem auf eine gute Weise alt werden, liegt im Gros gar nicht in unserer Hand, denn LKW übrerfahren auch Vegetarier und auch Veganer bekommen tödlichen Krebs oder fallen von Dächern, aber wenn wir über unsere Lebensspanne und -qualität auch nur ein Mü (My) mitentscheiden können, dann ergreife ich dieses kleine Mü und will es ausnutzen. Damit ich am Ende an der Pforte sagen kann: Also an mir lag’s jetzt nicht!

(Das Beitragsbild zeigt vegetarische Burger meines 16. fleischfreien Tages.)

Epilog

Für mich ist diese Umstellung ein massiver persönlicher Paradigmenwechsel, den ich nie für möglich gehalten habe. Daraus habe ich ein, zwei Dinge gelernt: Egal, wie sicher etwas erscheint, wie dogmatisch man es lebt: Es kann jederzeit der Zeitpunkt gekommen sein, Paradigmen ohne Mühe über Bord zu werfen. Nichts ist für die Ewigkeit, nicht einmal das, das es zu sein scheint.

Und daraus folgt für mich: Was ist wohl noch alles möglich, das ich für unmöglich halte?

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