Zweifelsohne sind wir von Weihnachten noch einigermaßen entfernt, auch wenn uns die Supermärkte schon seit mehreren Wochen mit Lebkuchen zu beglücken versuchen, was sie wohl auch mit Erfolg tun, denn andernfalls täten sie es ja nicht.

Ich bin kein Weihnachtshasser. Das absolute Gegenteil ist der Fall und ich behaupte auch, dass man anti Weihnachten sein kann, ohne es zum einen jedem mitteilen und zum anderen sich von Weihnachten belästigt fühlen zu müssen. Ich mag zum Beispiel keinen Karneval, womit ich in Düsseldorf relativ einsam dastehe, beklage mich aber auch nicht über den Auflauf, von dem ich gestern, am 11.11. also, nicht einmal etwas mitbekommen habe. So ziemlich jedem Hype kann man problemlos aus dem Weg gehen, ohne es den Gehypten schlechtzureden. Wer also Weihnachten nicht mag, wird die kommenden Wochen durchaus überstehen können.

Wohl wegen der Menschenmassen bin ich kein Freund von Weihnachtsmärkten, sehe ich von den Glühweinständen einmal ab, ohne die die Märkte vermutlich spürbar schlechter besucht wären, wie auch ein Alkoholverbot dem Karneval vermutlich abträglich wäre.

Weihnachten beginnt bei mir immer dann, wenn meine Mutter mich anruft mit der Frage:

„Sebastian, was wünschst Du Dir?“

Denn nach wie vor beschenken wir uns mit materiellen Konsumgütern, die mit zunehmenden Alter bei mir auch einen Nutzen stiften, der über bloße Bespaßung hinausgeht. Doch ohne meiner geschätzten Mutter zu nahe zu treten, wiederholen sich alljährlich folgende Vorgänge, die Weihnachten für mich aber durchaus ausmachen: Egal, was ich als Wunsch äußere, sie beschenkt mich direkt mit diesen Sätzen:

„Was?! Simpsons-DVDs?! Guckst Du einmal und dann stehen die im Regal!“ – ein Klassiker meiner Mittzwanzigerjahre, als ich noch Anhänger der „Simpsons“ war. Inzwischen übrigens stehen die entsprechenden DVDs der Staffeln eins bis 16 im Keller.

„Was?! Das ist aber teuer! Denk‘ daran, dann bekommst Du nichts anderes mehr!“ – Klassiker Nummer zwei, gegen den auch keine Gegenrede hilft.

„So einen Unsinn willst Du haben?! Wäre eine Bratpfanne nicht viel sinnvoller?!“ – Absoluter Klassiker. Sie hat nämlich bereits etwas besorgt, das sie mir auf den Gabentisch legen will und vermutlich hat sie gehofft, dass ich mir unbedingt eine Bratpfanne wünsche!

„Was willst Du denn damit?! Bei ‚Tchibo‘ gibt es jetzt Thermo-Lauf-Unterwäsche! Wie wäre es damit?“ – Tchibo. Sie kauft gerne bei Tchibo. Und ich kann mir sicher sein, dass sie auch für 2015 schon ein Geschenk für mich bei Tchibo erworben hat. Bei mir wimmelt es von Dingen mit einem „TCM“-Schildchen. Warum eigentlich „TCM“? Kann ich kurz erklären: Ursprünglich plante „Tchibo“ ein Kundenmagazin mit dem Titel „Tchibo Magazin“, kurz „TCM“. Daraus wurde nichts, „TCM“ aber die Marke für „Tchibo“-Gedöns. Meine halbe Küchen-Einrichtung kommt somit von „TCM“.

Die Bratpfanne ist gar keine schlechte Idee. Denn weil es immer Pfannen von „Tchibo“ und leider zweifelhafter Lebigkeit sind, brauche ich einmal im Jahr eine neue:

„Ja, also wenn Bratpfanne, dann aber bitte nicht von ‚Tchibo‘!“, erkläre ich.

„Muss es denn gleich eine so teure sein?!“, meine Schöpferin erbost.

„Nein, aber eine, die hält, damit nicht jedes Mal eine Pfanne auf dem Gabentisch stehen muss. Wenn Pfanne, dann keine von ‚Tchibo‘!“

„Also keine Pfanne. Was denn dann?! Dir kann man aber auch nichts schenken!“

„Doch, Simpsons-DVDs für den Keller und eine Pfanne!“

In diesem Jahr könnte ich übrigens ein Bügelbrett gebrauchen, da mein altes, ein Billig-Teil aus’m „Praktiker“-Ausverkauf, bei leichtester Belastung in sich zusammensackt, was zur Folge hat, dass das Bügeleisen damt -wäsche auf den Boden kracht. Ich sehe das entsprechende Telefonat bereits vor meinen Ohren:

„Ich könnte ein neues Bügelbrett gebrauchen!“

„Hat ‚Tchibo‘ denn Bügelbretter?“ – Nein, das ist gemein, das würde sie nicht sagen. Sie würde sagen: „Du hast doch erst eines gekauft!“

„Das ist hinüber, da muss ich auf Kniehöhe bügeln!“

„Du bügelst aber doch gar nicht!“

„Eben weil ich bügele, brauche ich ein Bügelbrett! Sonst schenk‘ mir einfach Geld, dann kann ich davon eines kaufen.“

„Wenn Du Geld bekommst, bekommst Du aber nichts anderes mehr!“

„Nein, das kaufe ich dann von dem Geld!“

„Erwarte aber nicht zuviel Geld!“

„Nein, ich freue mich über alles. … Was nicht von ‚Tchibo‘ kommt.“

„‚Tchibo‘ hat jetzt aber Müsli-Schalen!“

„Wir haben hier inzwischen soviele Müsli-Schüsseln, dass wir sie einweg benutzen könnten und wir essen nicht einmal Müsli!“

„Warum sollte ich dir vor zwei Jahren dann Müsli-Schüsseln schenken?!“

„Solltest Du gar nicht! Da wollte ich die Bratpfanne!“

„Du kannst nicht immer neue Bratpfannen kaufen! Du musst die Platte kleiner stellen, wenn die Pfanne erhitzt ist. Und nicht drin rumkratzen!“

Doch geht es mir Weihnachten nicht im Wesentlichen um den Konsum. Und es wäre müßig, das einem vorzuwerfen, zumal ich nicht verhehle, dass der ursprüngliche Gedanke des Weihnachtsfestes mir ebenfalls relativ lungo ist. Mir geht es um einen sehr wesentlichen Punkt:

Weihnachten ist für mich die einzige Zeit im Jahr, in der ich mich völlig entspannt zurücklehne und alles andere vergesse. Wo mir wirklich alles egal ist. Beruflicher Ärger, privater Ärger, es interessiert mich einfach nicht. Das bekomme ich nicht einmal im Urlaub hin. Weihnachten denke ich voller Demut: „Wieder ein Lebensjahr erlebt.“Es sind die wenigen Tage im Jahr, wo keiner von außen an einen herantritt und irgend etwas will, was einem die Stimmung versauen könnte. Es sind die wenigen Tage Ruhe, die von der Gesellschaft noch als solche respektiert werden. Heiligabend ist wohl noch einer der ganzen wenigen Anlässe, an dem kaum Autos unterwegs sind, nur wenn es in die Christmette geht.

Ich penetriere Familientraditionen und so wird noch immer kurz vor der Bescherung das Glöckchen geläutet, kurz nachdem das Christkind also über die Hintertür entflohen ist. Heiligabend 2015 sieht bei uns aus wie Heiligabend 1985. Während meine Eltern also den Gabentisch decken, harre ich in meinem (nun zweckentfremdeten) Kinderzimmer aus und warte, bis das Glöckchen ertönt. Meine Familie hasst mich dafür. Und wenn sie das Glöckchen vergisst, rufe ich aus dem Zimmer:

„Ich komme erst, wenn das Glöckchen läutet!“

Meine Mitbewohnerin, die Heiligabend oft mit mir bei meinen Eltern verbracht hat, betrachtet das mit fasziniertem Argwohn und Kopfschütteln. Doch Weihnachten soll bis zum Tode meiner Eltern unverändert bleiben, die einzige Konstante, die sich über Jahrzehnte zieht. Sollten meine Eltern einmal nicht mehr sein, werden sie ausgestopft wie bei Norman Bates im Wohnzimmer am Gabentisch sitzen.

Zu Weihnachten gehört selbstredend auch der obligatorische Familienstreit. Wenn der auszubleiben droht, zettele ich ihn eben an, sage beispielsweise zu meinem Vater:

„Also was Mama Dir da geschenkt hat, geht gar nicht. Hat sie den Bon noch?“

Und schon wird über Sinn und Unsinn der Geschenke debattiert, während ich mokiere, dass der Griff der „Tchibo“-Pfanne bereits locker sei.

„Du wolltest doch unbedingt eine ‚Tchibo‘-Pfanne!“

„Eben nicht!“

Schwierig ist das Beschenken meines Vaters, denn der habe ja schon alles. Doch wie kann man in einer Konsumgesellschaft schon alles haben?! Weil er eben keine Wünsche äußert, dennoch von mir zwangsbeglückt wird, schlendere ich jährlich vor Weihnachten durch einen Baumarkt und kaufe ihm etwas mehr oder weniger Sinnvolles für den Garten. Vergangenes Jahr gab es so ein Teil mit Gas-Kartusche, mit dem man Unkraut oder auch Kleinstlebewesen wegflammen kann. Das Ding liegt wie auch die Heckenschere (mangels Hecke) nun seit langer Zeit bei ihm im Keller herum wie bei mir die DVDs. Auch habe ich es immer wieder mit elektronischen Geräten versucht, damit er auf der Höhe der Zeit bleibt. Das ist mir misslungen. Als bereits jeder einen Blu-Ray-Spieler hatte, nötigte ich ihm einen Videorekorder auf, eine Technik, die er bis heute als überflüssig erachtet. Doch zumindest hatte uns das Teil über den heiligen Abend gebracht, denn er erfüllte jedes Klischee über die Problematik des Programmierens dieser Dinger. Es hat letztlich nie geklappt, er steht also im Keller rum, gleich neben dem Akku-Bohrer von 1998, den er auch nicht benutzt.

In diesem Jahr hat er allerdings einen Technologie-Sprung gewagt, der Ruhestand ermöglicht ihm mehr Geduld für das Anfreunden mit neuen Geräten. Das ermöglicht mir wiederum, ihm entsprechendes Zubehör zu schenken, das natürlich kein Mensch braucht und er am wenigsten. Anfang dieses Jahres haben meine Mitbewohnerin und ich damit angefangen, mögliche Geschenkideen direkt schriftlich zu fixieren, um nicht kurz nach dem vierten Advent in Panik auszubrechen. Wir haben also eine Liste bei uns im „Janosch“-Kalender, in der wir bislang für meinen Vater folgende Ideen gesammelt haben:

  • Webcam
  • Rosenschere

Die Rosenschere hat er bereits zum Geburstag bekommen, er findet sie bei Bedarf im Keller bei der Heckenschere, nachdem er über den Videorekorder gestolpert ist. Vielleicht schenken wir ihm eine neue Keller-Beleuchtung. Aber wann hielten wir die Webcam für eine sinnvolle Idee?! Was steckt dahinter? Wollen wir ihm ermöglichen zu skypen?! Er selber wird wohl kaum den Wunsch geäußert haben. Telefonieren ist manchmal schon schwierig, weil er ungern ans Telefon geht. Und dann skypen?! Doch allein das Einrichten der Webcam an seinem Rechner wäre eine schöne Beschäftigung für die Weihnachtsfeiertage, die ich – so Gott will – auch bei meinen Eltern in alter Tradition verbringen werde, bis wir alle froh sind, dass ich wieder nach Hause fahre. Es ist ein bisschen so wie bei den Hoppenstedts. Nur eben nicht „ungemütlich“. Sondern besinnlich.