humHercules war der stärkere von beiden, daher nannte er sich „Hercules“, obwohl er schlicht Stefan heißt. Stefan hat mir eines voraus: Er wagt sich ins Fitness-Studio und sieht auch absolut danach aus. Ich gehe ja selber nicht ins Fitness-Studio, obwohl ich noch nie so kurz davor war wie jetzt, zumal ich keinen weiten Weg dahin hätte. Und ja, trotz einer gewissen Reife lasse ich mich in diesen Studios von denen abschrecken, die ganz offensichtlich schon lange Kunde dort sind. Da käme ich als Hänfling vorbei, womit ich mitnichten den Singvogel meine, und eiferte den Boliden nach. Doch mehr als das hält mich von einem Vertragsabschluss ab, dass ich es für bequemer halte, Kraftsport zuhause zu betreiben, wobei ich dann „Sons of anarchy“ oder „Sad Samuel“ bei „Netflix“ gucken kann, wobei letzt genannte Serie erst noch geschrieben werden muss. Ich bin da aber guter Dinge. Hercules:

„Komm‘ doch zumindest einmal mit!“

„Ich gehe wohl kaum mit jemandem ins Fitness-Studio, der sich selber ‚Hercules‘ nennt. Kommt deine Optik bei Frauen eigentlich an?“

„Ja, also nicht bei allen natürlich. Aber exakt die, die immer betonen, sie bräuchten ein weiches Bäuchlein, um sich gemütlich anlehnen zu können, lassen sich recht zügig vom Gegenteil überzeugen!“

Ich denke an meine Mitbewohnerin, die mir das auch stets versichert. Ich glaube ihr. Verweise dennoch jeden Abend auf meine Trainingserfolge, die sie sehen kann. Irgendwo unter der Schicht meiner nur in Andeutungen gesunden Ernährung schlummert ein Waschbrettbauch.

Dann ist da „Sägemann“. Wir nennen ihn so, weil er beim Holzschlagen im Urlaub vor Jahren einmal sagte:

„Gib mir mal die Säge, man!“

… wonach er sich seinem kleinen Finger mittels der ihm gereichten Säge halbierte. Während ausgerechnet Hercules angesichts des Blutes kollabierte, umwickelte ich Sägemanns Restfinger mit, naja, meiner Socke, da wir keinen anderen Stoff zur Hand hatten und ich ungern mein Hemd opfern wollte.

„Niemand hat damals meine abgetrennte Fingerhälfte gesucht! Man hätte sie annähen können!“, beklagt er sich in aller Regelmäßigkeit und vielleicht liegt er damit auch gar nicht so falsch. Doch mir schien es damals Priorität zu haben, den Blutschwall zumindest in geordnete Bahnen zu lenken. Und Hercules war ja ausgeknocked.

Nun muss man wissen, dass Hercules und Sägemann nicht nur beste Freunde sind, sondern auch ein Paar. Und das Klischee über Schwule besagt ja, dass sie besonders auf ihr Äußeres Wert legen. Das tue ich im Übrigen auch. Auch, wenn das derzeit etwas unkoordiniert auf meinem Haupt zugeht. Hercules allerdings lässt sich auch mit Frauen ein, sodass er als bisexuell durchgeht, was er aber erstaunlicherweise abstreitet.

„Ist dir das eigentlich egal, Sägemann? Habt ihr da eine Abmachung?“

„Ja. Eine sehr offene Beziehung. Ich schlafe ja auch mit anderen Typen.“

Sägemann erfüllt das Klischee des gut aussehenden Schwulen nicht, womit er das Klischee vollkommen berechtigt zum Klischee macht. Er sieht durchschnittlich aus, würde ich sagen. Männer tun ja immer so, als könnten sie das nicht beurteilen, aber ich maße mir das durchaus an. Man guckt sich ja auch was ab, filtert das subjektiv ungünstige heraus und lässt sich vom Positiven inspirieren.

Sägemann geht nicht ins Fitness-Studio, spielt aber Clarinette und beharrt darauf, dass man „Clarinette“ mit „C“ schreibt, was aber falsch ist. Ich verweise dann immer auf den „Duden“, was er mit dem leider zutreffenden Argument abschmettert, der „Duden“ schreibe ja nicht vor, er bilde lediglich ab. Also belassen wir es bei „Clarinette“. Nun, wie verträgt sich die Clarinette mit einem halben Finger?

„Gar nicht. Ich muss auf Tonfolgen verzichten, die ein vermindertes ‚a‘ beeinhalten.“

Das schränkt seine zu spielenden Musik-Stücke sehr ein, was man aber nur dann bemerkt, wenn man krampfhaft auf das verminderte „a“ wartet. Tut man dieses nicht, fällt einem dieser kleine Makel gar nicht auf. Und ich weiß auch gar nicht, ob ich ein vermindertes „a“ raushören könnte. Ich tue mich bereits beim herkömmlichen „a“ sehr schwer.

Hercules und Sägemann wohnen bei mir in der Nähe in der Höhenstraße. Sie sind zumindest optisch ein sehr ungleiches Paar, wenn man sie so zusammen flanieren sieht. Da hält ein muskelbepackter Typ Händchen mit einem Clarinetten-Spieler, der nur an einer Seite seines Gesichtes Bart trägt. Möglicherweise ein Trend, von dem ich noch nichts gehört habe.

„Werdet ihr manchmal blöd angeguckt, weil ihr Händchen haltet? Angefeindet?“

„Ja, hier in Oberbilk auf jeden Fall. Ansonsten ist das völlig normal.“

Ich bin erleichtert darüber und Hercules und Sägemann auch.

Sein Geld verdient Hercules übrigens als Essenslieferant. Auf dem Fahrrad. Es gibt hier in Düsseldorf einen Lieferservice, der gesundes Essen ausliefert und das auch noch auf dem Fahrrad. Wir lernten uns kennen, als ich ihn – kein Witz – fast überfuhr. Mit dem Auto. Denn in Düsseldorf ist das mit dem Radfahren so eine Sache. Ich selber komme aus der Welt-Fahrradhauptstadt Münster. Dort haben Radfahrer Vorrang und vor allem eigene Wege. Wir nennen sie „Radwege“. Diese gibt es vereinzelt auch in Düsseldorf, oft enden sie aber im Nichts, völlig abrupt auf der Straße. Ich habe hier etwa zwei Wochen lang versucht, Rad zu fahren, aber da der Schulterblick unter Düsseldorfer Autofahrern nicht bekannt ist, wird man relativ zügig übersehen und erfasst. Wenn man nicht vorher in den Gleisen der Straßenbahnen hängenbleibt. Aber das ist mein Fehler. Da ich natürlich aus Münster besseres gewöhnt bin. Nämlich Radwege.

Ich fuhr damals von der Arbeit nach Hause und sah Hercules auf seinem schicken Liefer-Fahrrad nicht, weil ich auch das Rad an sich übersah. Ich verfluche diese Arschwichser, die ohne Beleuchtung unterwegs sind – auf der Straße wohlgemerkt – und sich darauf verlassen, gesehen zu werden. Werdet Ihr meist, aber das entscheidende Mal eben nicht. Und Hercules hatte kein Licht. Was die Polizei schnell feststellen konnte, womit er den Großteil der Schuld bekam.

Ich ramme also Hercules, der sofort zu Boden geht. Mein Auto rumpelt und ich bremse sofort. Setze zurück, es rumpelt, ich bremse. Steige aus und frage:

„Alles okay?“

Die Frage ist doof gewesen, sollte aber auch nur ein Gesprächseinstieg sein. Während Hercules quälend langsam antwortet: „Jaaaaaaaaaa …“, rufe ich mit tattrigen Händen die Polizei und bitte sie, einen Fachmann für Körperverletzungen mitzubringen.

„Graf-Adolf-Straße, Ecke Hüttenstraße! Am ‚Maredo‘.“ Da war ich kürzlich noch mit meiner Mitbewohnerin essen. Gucke dann immer aus dem Fenster und sehe den Unfallort. Und lache. Denn ohne Hercules zu überollen, hätte ich ihn nie kennengelernt.

Hercules ging es soweit ganz gut. Warum? Wegen seines Panzers aus purer Muskelmasse. Hat ihm vermutlich das Leben gerettet. Und nun schließt sich der Kreis. Denn wer war einer der Sanitäter? Richtig, Sägemann. Nennt mich Amor.


Seppo_medien_klein_haare