Diesen Artikel erst genießen nach diesem, der den Abend aus Seppos Sicht erzählt.

II

Wenn einem der mit Abstand tollste Mann der Welt einem Vonda Shepard-Konzertkarten besorgt, die ihm sein Promi-Status ermöglicht, dann schlägt man ihm natürlich gerne vor, dass er einem zu Weihnachten nichts mehr zu schenken braucht. Aber mit dem Vorschlag kommt er mir zuvor und bietet sogar an, mir auch die kommenden Jahre nichts mehr zu schenken.

Als wir die Karten an dem Kassenschalter des Düsseldorfer „Savoy-Theaters“ abholen wollen, gibt er sich auffällig große Mühe, möglichst leise zu erwähnen, dass wir eben jenes Konzert besuchen wollen, schreit aber geradezu heraus, dass ER AUF DER GÄSTELISTE STEHE!, damit jeder mitbekommt, dass er etwas Besonderes ist. Und so dreht er sich auch zu mir um und flüstert mir zu:

„Ich bin etwas Besonderes.“

Ich überlege kurz, ihm seinen kleinen Finger zu brechen, zumal er mir heute bereits zweimal den Daumen brechen wollte. Ich habe den Eindruck, er kommt nur mir zuliebe mit aufs Konzert. Ich frage ihn also danach und er:

„Ja, also … es ist nicht unbedingt meine Musik … also Stimmung macht sie ja schon … nein, also ich gehe selber gerne … ja, doch, nur für Dich! Wenn es Dich glücklich macht, dann auch mich!“

Das betont er an diesem Abend noch sooft, dass ich fürchte, er glaubt, mir damit einen Gefallen zu tun. Aber er vergisst nicht, zu erwähnen, dass er auch seinen Spaß hat.

Er wirkt müde. Verkatert. Er war am Montagabend auf einer Art Weihnachtsfeier und hat sich heute auch noch mit „El Greco“-Lieferfraß vollgefressen. Hoffentlich hält er durch. Sein Plan:

“Ich werde Frau Shepard bitten, etwas leiser als sonst zu singen, dann könnte ich ja vielleicht schlafen.”, verrät er mir.

Das Schlimme ist, ich traue es ihm zu. Vielleicht schlage ich ihn auch einfach bewusstlos. Ich drohe ihm genau das an und er tut, was er immer tut, wenn ihm die Argumente ausgehen: Er versucht, mir den Daumen zu brechen. Armer Irrer, er sollte doch längst wissen, dass ich dann stets seinen kleinen Finger verbiege, was ihn aufkreischen lässt.

„Nur ich biege hier Finger!“, mahnt er.

Mein Mitbewohner, Seppo, ist nicht der einzige Mann hier. Geht doch. Gibt wohl auch noch Männer, die gerne mit ihrer Freundin mitziehen. Und so sehe ich viele Männer, die auf ihre Uhr gucken, weil sie den Beginn des Konzertes gar nicht mehr abwarten können. Doch da ist zunächst der „Supporting Act“, den Seppo stets „Vorakt“ nennt, um bloß nicht Englisch zu sprechen. Vermutlich versteht er auch nicht ansatzweise den Dialekt des englischsprachigen Singer/Songwriters.

„Was hat er gesagt?“, will er wissen.

„Dass er jetzt aufhört, weil er noch den Zug erwischen will!“, verarsche ich ihn und mein Eindruck ist, dass er es mir glaubt. Und passenderweise packt der Künstler auch recht zügig seine Sachen zusammen und verschwindet von der Bühne.

Auftritt Vonda Shepard. Sie ist 52 Jahre alt, sieht aber deutlich jünger aus! Ich mag ihre Musik und erfreute mich jüngst über eine handsignierte CD von ihr. „To Mitbewohnerin“ stand darauf. Also mir allein gewidmet. Ich will ein Video machen, während Seppo neben mir als so ziemlich einziger sitzen bleibt. Hoffentlich bleibt er sitzen, sonst tritt er beim Aufstehen meine Cola-Flasche um. Er guckt sich irritiert um und stellt offenbar fest, dass nur noch er sitzt.

Und steht auf. Dabei klappt sein Sitz an seinen fantastischen Po und natürlich – er kreischt vor Schreck auf. Eine Flüssigkeit, die Cola, fließt in meinen Schuh. Na toll, ich bücke mich, um das Desaster zu begutachten. Er hat denselben Plan, unsere Köpfe stoßen zusammen.

“Du hast mein Video versaut!”, sage ich, jetzt auch im Video hörbar. Kleinlaut entschuldigt er sich und klatscht weiter. Er ist jetzt beim Klatschen zum dritten Mal aus dem Rhythmus geraten. Was läuft da in seinem Hirn falsch?!

Vonda verabschiedet sich, ich rufe „Zugabe“. Seppos Augen verdrehen sich etwas seltsam. Will er jetzt einen Herzinfarkt vorspielen, um der Zugabe zu entkommen? Nein, er ist nur genervt.

Vonda fragt, ob wir Deutsche gerne Bratwurst mit Erdnussbutter essen. Das Publikum lacht, die Frau weiß, wie es geht. Seppo schmunzelt gekünstelt und überheblich. Ich drehe an seinem kleinen Finger. Als Vonda sich mit einem „Dankescheyn“ für den Applaus bedankt, korrigiert Seppo sie allen Ernstes.

“Dankeschön.”

Ich stoße ihm mit meinen Ellbogen in die Seite. Er kreischt auf. Seine Sitznachbarin hält es für einen Schrei der Begeisterung. Wenn die wüsste. Ich plane, nach Vondas nächstem Abgang laut „Zugabe“ zu rufen, damit Seppo es weiter ertragen muss.

„Zugabe!“

Vonda kommt wieder auf die Bühne, während einige voreilige Männer bereits den Saal verlassen wollen. Seppo nicht. Seltsam. Ist er doch nicht so dumm, wie ich dachte?

Der „Supporting Act“ kommt zum großen Finale dazu auf die Bühne. Ob Seppo nun kapiert, dass hier niemand seinen Zug bekommen musste?

“Hat er seinen Zug verpasst?!”, fragt er mich dann tatsächlich.

“Das war ein Scherz von mir.”

“Die Witze in unserer Beziehung mache ich.”, gibt er beleidigt zurück, weil er darauf reingefallen war.

„Das wäre mir neu.“, erwidere ich, was er nicht mehr hört, weil er gerade wieder versucht, in den Takt des Klatschens reinzukommen.

Ich will noch Fotos mit Vonda machen, aber Seppo klärt mich darüber auf, dass er diverse Magenprobleme habe und nun nach Hause müsse. Er erwähnt mehrere Curry-Würste und Burger. Außerdem sei der Abend doch gar nicht mehr zu toppen und ich könne mich ja jederzeit mit ihm, einem TV-Star, fotografieren lassen. Ich erzähle ihm nicht, dass ich mich für seine Arbeit eigentlich sehr schäme.

„Sehe ich heute nicht unverschämt gut aus?“, fragt er mich abschließend.

„Was?! Du siehst völlig runtergekommen aus!“

Offenbar leidet er wieder unter seiner verqueren Selbsteinschätzung, der er mit Kater stets unterliegt.

Und natürlich stammt dieser Text aus meiner Feder und spiegelt nicht die Sichtweise meiner Mitbewohnerin wider. Ähnlich fiktiv geht es im dritten Teil weiter: Das Konzert aus Vondas Sicht!


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