Eine weitere Zeichnung meiner Mitbewohnerin, die unseren Freund, Herrn Abendfahl zeigt.
Das ist jetzt schon eine ganze Weile her. Herr Abendfahl denkt sogar manchmal, das habe sich nie zugetragen, so unwirklich scheint es ihm mitunter. Aber er hat ja noch diesen bemerkenswerten Stein …
Den Stein von dem Mädchen mit der Rakete.
Es ist ein Tag in einem Herbst. In der zweiten Hälfte eines Herbstes, die mit der oftmals goldenen ersten nichts mehr zu tun hat. Ist es zunächst noch sinnlich, durch das trockene, herabgefallene Laub zu tapern, wird es irgendwann eher ungemütlich – der Winter wirft seine Schatten voraus. Es ist kalt und windig, als Herr Abendfahl in einem Park Unterschlupf vor dem Regen sucht. In der Ferne beobachtet er einen Hund, der wohl dasselbe tut und ahnt nicht, dass er diesen Hund bald schon wiedertreffen wird.
Doch es ist nicht der Hund, der Herrn Abendfahls Aufmerksamkeit beansprucht, sondern das Mädchen, das der Regen nicht anficht.
„Hallo?!“, ruft Herr Abendfahl dem Mädchen zu und stellt fest, dass „Hallo“ ein Universalwort ist, das aber immer noch höflicher als ein „Hey!“. Hätte er ja auch rufen können. Ja, warum eigentlich nicht, denkt er.
„Hey!“
Das Mädchen blickt sich um, sieht Herrn Abendfahl, der ihm nun zuwinkt und noch einmal ruft:
„Hallo!“, betont freundlich, das Mädchen soll ja keine Angst bekommen.
Bekommt es auch nicht. Es zeigt sich unbeeindruckt von dem Herrn im Anzug, dessen Hutkrempe völlig durchnässt herunterhängt, was jetzt auch Herr Abendfahl realisiert.
„So ein Schlamassel! Der Hut ist hinüber. Wie kann denn so etwas ausgerechnet mir passieren?“
Er nimmt den Hut ab, hält ihn in Richtung des Mädchens, während es aus Kübeln gießt (Nicht das Mädchen gießt etwas, sondern das große, das unbestimmte Es.). Mit seiner anderen Hand deutet er auf den Hut und ruft:
„Mistwetter!“
Das Mädchen verzieht zunächst keine Miene, lässt seinen Blick dann an sich selbst herunterwandern, um dann wieder zu Herrn Abendfahl zu gucken.
„Ja, stimmt. Ich hab wenigstens einen Hut. Aber du, du hast du nur ein Kleidchen!“
Unpassender könne man sich für ein solches Wetter nicht anziehen, denkt Herr Abendfahl und beschließt, zu dem Mädchen hinüberzugehen.
„Wenn du nicht kommst“, ruft er, „komme halt ich!“
Etwas ärgerte ihn das schon, da er es bislang vermeiden konnte, spürbar nass zu werden. Das Mädchen hingegen hatte nichts zu verlieren, es war schon nass.
„Dann werde ich eben auch nass!“
Ein sonderbares Persönchen, denkt sich Herr Abendfahl, fast schon etwas wütend. Was zur Hölle treibt dieses vielleicht zehnjährige Mädchen alleine im Regen in jenem Park?! Großer Gott, vielleicht ein frühes Opfer eines Drogenrausches, malt er sich aus. Das passe ihm gerade überhaupt nicht in seinen weiteren Tagesablauf. Aber einfach ignorieren?!
„Na? Mit wem habe ich die Ehre?“
„Hä?!“
„Wie heißt du?“
„Luise. Aber ich darf nicht mit fremden Männern sprechen.“
„Ich vermeide das selbst auch immer. Überwiegend Idioten dabei. Ich will dich – und vor allem mich – auch gar nicht lange aufhalten. Aber es ist ungünstig, dass du hier bei diesem Wetter, ich meine, dieses Kleid nur, also, ist dir nicht kalt? Was machst du überhaupt hier? Und vor allem: Was ist das da?!“
Herr Abendfahl schließt nach dem Vokal seinen Mund nicht mehr, da er staunt, während er auf etwas zeigt, das aussieht wie eine …
„Rakete. Das ist meine Rakete.“
Natürlich. Rakete, denkt Herr Abendfahl bei sich und sagt: „Das wird mir hier gerade aber eine Spur zu unwirklich.“
Aber ja, es sieht aus wie eine Rakete. Nicht groß, aber groß genug für das Mädchen, das ins Plaudern gerät: „Ich fliege gleich auf den Mond.“
„Hahahahaha! Ja“, sagt Herr Abendfahl. Und schweigt. Sieht sich die Szene noch einmal genau an. Und hält es nun für möglich, dass er hier Zeuge von etwas ist, dass man „Spielen“ nennt.
„Du meinst, du spielst, dass du gleich zum Mond fliegst?!“
„Was? Nein. Ich fliege häufig auf den Mond. Hier, guck, Mondgestein“, erklärt es und reicht Herrn Abendfahl, mit dem sie gar nicht sprechen dürfte, einen Stein. Der Stein ist hellgrau, vielleicht sogar weiß.
„Den hast du vom Mond mitgebracht? Den Stein? Von dem Mond da oben?“, hakt Herr Abendfahl kritisch nach und deutet dabei auf den leuchtenden Halbmond.
„Ja. Nicht direkt mitgebracht. Er hat sich unter meiner Rakete verfangen. Muss schon bei der Landung passiert sein.“
„Vermutlich. Ja. Altes NASA-Problem. Luisa, sag mal …“
„Luise!“
„Was?“
„Ich heiße Luise, nicht –sa.“
„Oh, Verzeihung. Also, Luise. Wenn du zum Mond fliegst, was tust du dann da oben?“
„Ich denke nach.“
„Dazu muss man aber doch nicht gleich auf den Mond?!“
„Doch. Hier kann ich nie zuende denken. Es kommt immer wer und stört. Wie du zum Beispiel gerade.“
Herr Abendfahl lacht ob soviel Chuzpe auf: „Und wieder bitte ich die kleine Luisa um Verzeihung.“
„Luise.“
„Ja. Luise. Aber ich suchte lediglich Unterschlupf vor dem Regen. Der dir offensichtlich völlig egal ist.“
„Ich habe einen Ofen in meiner Rakete. Ich wärme mich gleich auf.“
„Da passt kein Ofen rein, Luise. Da passt gerade einmal du rein. Und das war’s dann auch schon.“
„Es ist sehr geräumig. Ich würde dich ja mitnehmen, aber dann sind wir zu schwer. Das schafft mein Antrieb nicht.“
„Luisa, se!, darf ich dir etwas anvertrauen?“
„Ja.“
„Ich nehme Tabletten. Blutdruck. Nichts besonderes eigentlich. Aber nun habe ich die Sorge, dass Halluzinationen eine Nebenwirkung sein könnten. Darum frage ich dich jetzt ein einziges und letztes Mal: Bist du das Produkt meiner Einbildung?“
„Vielleicht soll ich nicht mit fremden Männern sprechen, weil sie komische Fragen stellen. Ich habe dir den Stein gegeben. Wenn du ihn morgen noch immer bei dir hast, bin ich echt. Wenn nicht, bin ich eine Nebenwirkung.“
Herr Abendfahl weiß, dass er weit davon entfernt sein müsste, dem Mädchen Glauben zu schenken. Doch das ist er nicht. Er erwischt sich dabei, wie er dem Mädchen glauben will, obwohl sein Kopf sich dagegen wehrt. Sein ganzes Leben lang fährt Herr Abendfahl die rationale Schiene, auf der er sich alles erklären kann. Doch dieses Erlebnis entzieht sich jeder Erklärung. Denn diese Rakete, sie sieht aus, als, ja, als könne sie wirklich abheben.
„Wie lange dauert ein Flug zum Mond, Luise?“
„Eine halbe Stunde etwa.“
„Ha! Nie im Leben! Jetzt hab ich dich! Drei Tage bräuchte man!“
„Ich schaffe es immer in einer halben Stunde.“
„Und wie lange bleibst du dann?“
„Solange die Luft reicht.“
„Ja, die Frage war dumm. Worüber denkst du dann nach? Auf dem Mond?“
„Darüber, wie gut ich es habe.“
„Also keine Drogen?!“
„Was?“
„Nichts. Warum hast du es gut?“
„Weil ich einen Freund habe.“
„Erzähl ihm nichts von der Mondnummer. Dann hast du ihn nicht mehr.“
„Er weiß davon. Denn er wohnt auf dem Mond.“
Es hört auf zu regnen. Da ist dieses junge Kind. Das eigentlich noch nicht fähig zu Ironie sein dürfte. Doch pariert es trocken jede Frage Herrn Abendfahls, als sei es das normalste der Welt, zum Mond zu fliegen.
„Luise. Es hat mich gefreut, dich kennengelernt zu haben. Vermutlich glaubst du wirklich, dass du gleich zum Mond fliegst. Warum auch nicht. Wenn es hilft. Ich wünsche dir eine gute Reise. Ich werde deinen Mondstein mitnehmen und gut auf ihn aufpassen.“
„Was ist mit deinem Hut?“
„Mein Hut? Der Regen. Er wurde nass.“
„Ist er kaputt?“
„Ich glaube.“
„Mein Freund kann ihn reparieren.“
„Der Mondmann?“
„Er ist Hutmacher.“
Herr Abendfahl antwortet nicht. Er ist überfordert. Und reicht dem Mädchen den Hut.
„Und wenn wir uns wiedersehen, gebe ich dir den Hut zurück.“
Herr Abendfahl nickt dem Mädchen zu, dreht sich um und geht. Und denkt:
„Wenn ich jetzt zurückblicke, sehe ich vermutlich, wie sich die Rakete in die Luft bewegt …“
Herr Abendfahl zögert, dreht dann doch seinen Kopf und sieht, wie …
Mehr aus dem Leben Herrn Abendfahls.
Mehr aus meinem: hier. Und etwas seriöser geht es hier zu:
… mhhhh – da bin ich ja gespannt was Herr Abendpfahl beim Zurückblicken entdeckt? ;-)
lg die-zuzaly
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“ Herr Abendfahl zögert, dreht dann doch seinen Kopf und sieht, wie … “
***
sich die RAKETE des vom Alter her nicht näher bezeichneten Mädchens als VIBRATION ent“puppt“e !
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“ Vibrator “ richtigerweise
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Verehrter Sankt-Xzypressus, -a, -um! Ich bin total verliebt in deine kleine Prinzessin. Ich glaube, sie hat eine große Zukunft und wir sollten alle unseren Hut vor ihr ziehen.
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Hat dies auf Die Erste Eslarner Zeitung – Aus und über Eslarn, sowie die bayerisch-tschechische Region! rebloggt.
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Sehr süß die Kleine (Nebenwirkung)
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