
Wie jede Illustration der Geschichten um Herrn Abendfahl ist auch diese neueste aus der Feder meiner Mitbewohnerin.
Der schwarze Labrador-Retriever hört einfach nicht.
„Bello!“, wiederholt geduldig Herr Abendfahl, während er sich seinen beigen Mantel umstreift.
Der Rüde hebt immerhin seinen Kopf, hält dies aber offenbar für eine völlig ausreichende Reaktion auf die Rufe seines Gefährten, und senkt diesen wieder auf den Boden herab.
„Herbstblues, was?“, schmunzelt Herr Abendfahl und greift zu der Hundeleine, die wie sein Hut auch an dem alten Garderobenständer hängt. Er schüttelt die Leine in der Hoffnung, der Hund begreife nun, dass es vor die Tür geht.
„Bello! Wir gehen in die Pilze!“, frohlockt er. Oder versucht zumindest zu frohlocken. Doch Bello bleibt stur, fühlt sich nicht angesprochen. Denn Bello heißt gar nicht Bello. Das jedoch weiß Herr Abendfahl nicht.
Dieser verschwindet in der Küche, was wiederum sein Hund mit Wohlwollen registiert, denn er kennt das Spielchen. Und so nimmt er auch das erwartete Geräusch der sich öffnenden Kühlschranktür wahr und es geschieht, was immer geschieht: Herr Abendfahl kehrt zurück in die Diele – mit einem Stück Wurst in der Hand. Bello, der nicht Bello heißt, springt auf.
„Na geht doch!“, murmelt Herr Abendfahl, schnappt sich die Hundeleine, befestigt sie an Non-Bellos Halsband und setzt sich seinen Hut auf.
„Ich habe dich denkbar schlecht erzogen“, sagt Herr Abendfahl zu seinem Hund, als sie in den Wald gehen, „Im Grunde habe ich dich ja gar nicht erzogen! Ich muss allerdings sagen, dass du dich dafür wiederum recht gut benimmst.“
Eine schwarze Katze kommt des Weges. Sie bleibt stehen. Guckt neugierig und katzentypisch unbeteiligt gleichzeitig zu Herrn Abendfahl und seinem Hund herüber.
„Wo hat sie wohl ihren weißen Flecken?“, fragt Herr Abendfahl seinen Hund, während er die Leine unbewusst fester umklammert, was unnötig ist, da sich der Hund vorwiegend für die Salami interessiert, die Herr Abendfahl in seiner Manteltasche mitführt.
„Wusstest du, dass ich Katzen auch mag?“, fragt Herr Abendfahl, dem nun einfällt, dass er seinen Korb vergessen hat.
„Bello, wegen deiner Anstellerei habe ich den Korb für die Pilze vergessen. Da gehe ich einmal im Jahr in die Pilze und vergesse den Korb. Du kannst froh sein, dass ich Pilze nicht mag, sodass auch kein Grund besteht, die gesammelten Pilze überhaupt mit nach Hause zu nehmen. Wir lassen sie einfach im Boden. Wir gucken dann eben nur.“
Wind zieht auf, der an Herrn Abendfahls Hut zerrt. Mit seiner rechten Hand zieht er dessen Krempe noch etwas tiefer ins Gesicht, sodass ihn der ebenfalls einsetzende Nieselregen kaum stört.
„So schön das Blattwerk in seinen Farben aussehen mag, so sehr ist diese Jahreszeit auch immer ein wenig ein Sterben.“
Herr Abendfahl beobachtet, wie sich seine Schritte ins nasse Laub am Boden drücken, teilweise rutscht er leicht weg. Einige Blätter bestehen nur noch aus ihren Adern und jeder Schritt Herrn Abendfahls zermalmt sie im Zusammenspiel mit kleinen Steinchen noch mehr.
„Eben noch hingen sie über uns erhaben über unseren Köpfen, jetzt liegen sie da und werden wieder zu Erde. Und zum Nährboden zum Beispiel für diesen Steinpilz! Da, Bello! Steinpilze voraus!“
Bello reagiert nicht, doch das ist Herrn Abendfahl gleichgültig. Dieser beugt sich über die Pilze.
„Ein Dickröhrling! Unverkennbar. Fast schon nicht mehr seine Jahreszeit. Möge er sich nun von mir gesammelt fühlen.“
Hund und Mann gehen weiter und übersehen beide die dottergelben Hüte der Pfifferlinge am Wegesrand. Bello, weil er nach wie vor der Salami anhängt, und Herr Abendfahl, weil er einen Geistesblitz hat.
„Du heißt gar nicht Bello!“
Herr Abendfahl fasst sich an seinen Kopf und bückt sich zu seinem Hund hinunter, der ihm vor drei Jahren zugelaufen war.
„Seit wir Gefährten sind, gehorchst du mir nicht! Es kann nur daran liegen, dass du einfach nicht Bello heißen willst! Und wer will es dir verübeln?! Aber wie heißt du dann?“
Herr Abendfahl bricht ein Stück der Wurst ab und will es dem Hund geben, der jedoch bereits das andere Ende der Wurst geschnappt hat und sie hastig verschlingt.
„Hunde können einfach nicht genießen, wenn sie essen!“, lacht Herr Abendfahl und verschlingt nun seinerseits das abgebrochene Stück.
„Wie nennen wir dich denn nun?“
Der Hund leckt sich das Maul und erblickt einen Fliegenpilz.
„Ah, ein Fliegenpilz!“, registriert nun auch Herr Abendfahl, „Der einzige, den ich optisch appetitlich finde. Man hält ihn hierzulande für giftig. Sein Glück, denn woanders gilt er als Spezialität. Das, mein Lieber, gilt übrigens auch für Hunde!“, lacht Herr Abendfahl. Und verstummt augenblicklich.
Er steht auf und geht tiefer in den Wald hinein.
„Hund, siehst du das? Ein Körbchen! Mit Pilzen! Hier scheint noch jemand zu sein. Halloooooo?“
Der Hund bellt auf.
Keine Antwort.
„Sieh nur. Randvoll mit Pilzen. Perlpilze. Und Gifthäublinge! Gott, wer sammelt denn die?“
„Ich!“
Herr Abendfahl blickt auf und seinem Hund entgeht nicht, dass sein Gesicht ganz fahl wird.
„Du?!“
„Ja. Hallo.“
„Luise?!“
„Du weißt noch meinen Namen?“, fragt das Mädchen.
„Ja, natürlich! Wie könnte ich das Mädchen mit der Mondrakete vergessen! Warst du inzwischen auf dem Mond?“
„Natürlich. Darum habe ich ja meine Rakete. Und jetzt sammle ich Pilze für die Mondmenschen. Weißt du, da oben haben sie keine Pilze!“, erklärt Luise.
„Aber das sind giftige Pilze, die du da hast!“
„Du Dummerchen! Nicht für die Mondbewohner!“
„Natürlich nicht. Wie konnte ich das nur annehmen!“, lacht Herr Abendfahl unsicher.
„Ich muss weiter. Ich muss noch viele Körbe füllen!“, spricht das Mädchen, ehe es im Wald verschwindet.
„Warte!“, ruft Herr Abendfahl, „Fällt dir ein passender Name für meinen Hund ein? Er will nicht Bello heißen!“
Doch das Mädchen scheint ihn nicht mehr zu hören.
Der Regen nimmt zu. Herr Abendfahl beschließt, wieder umzukehren.
„Wie kriegen wir dich gleich trocken? Und wie kriegen wir meinen Hut trocken? Mistwetter. Aber was für ein seltsamer Tag. Dieses Mädchen … Es ist merkwürdig. Mondrakete …“
Der Hund bellt laut auf.
„Was ist denn los?!“, wundert sich Herr Abendfahl und legt noch eine Schippe Wunderns drauf, als er wie sein Hund den Korb vor seiner Haustüre sieht.
„Ein Korb voller Pilze! Moment, das sind Fliegenpilze. Und ein Zettel. Es steht ‚Hupe‘ drauf. Hupe?!“
Herrn Abendfahls Hund bellt und wedelt plötzlich heftig mit seinem Schwanz.
„Hupe … HUPE! Natürlich! Du heißt Hupe! Aber woher hat das Mädchen das gewusst?!“
Also ich könnte Herrn Abendfahl einen orangefarbenen Labrador borgen (aber nur borgen), der sofort reagiert, wenn man nur in die Nähe der Leine kommt.
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Klasse Kurzgeschichte. Die Sprache hat mich sofort gefesselt. Super! Macht Lust auf mehr!
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